andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 27. Mai 2009, 22:58
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einfach einfach

„Das ist einfach so,“ war und ist ein Lieblingssatz meiner Mutter. Da mag so mancher denken, dass dies halt eine individuelle Macke ist, die bei einigen Menschen auf angeborene Verkrustungen im Denkapparat zurückzuführen ist.
Befeuert wird eine solche Meinung dadurch, dass in den letzten Jahren der Streit zwischen den Verfechtern der Vererbung und der gesellschaftlichen Prägung klar entschieden scheint. Nachdem die Fans der Genetik in einigen spektakulären Fällen klar nach Punkten gewonnen haben und sich auch in der Medizin einiges getan hat, das für die körperlichen Aspekte spricht, scheinen die Streiter für die starken Auswirkungen von Erziehung und Prägung nur noch Rückzugsgefechte zu führen. Kaum jemand spricht noch davon, dass Menschen sich durch äußere Einflüsse beeinflussen lassen. Sollte jemand also eine geistige Verkrustung haben und nicht der geforderten Flexibilität entsprechen, so ist das jetzt nach hinlänglicher Meinung angeboren und somit … ähm … “das ist einfach so.“ - Eine seltsame Entwicklung.

Schaue ich mich ein wenig um, so ist der starke Trend festzustellen, dass mit (angeblich) körperlich oder genetisch fixierten Wahrheiten ziemlich viel Unsinn angestellt wird. Überall wird, oft unterschwellig, damit argumentiert. So werden menschliche Urinstikte und –triebe postuliert und von der menschlichen Natur geredet, doch kaum jemand muss es aussprechen. Es ist doch allgemein bekannt und es reicht vollkommen, wenn Begriffe wie “Elite“ und “Leistungsgesellschaft“ in den Raum geworfen werden.
Dabei hat sich der gesellschaftliche Blick sehr eingeschränkt. Da, wo Freiheit dadurch entstehen sollte, dass der Einzelne nicht für alles voll verantwortlich ist, ist stattdessen eine Bewertung entstanden. Jetzt zementieren sich die Unterschiede in körperliche und dadurch nicht zu ändernde Kriterien (ist das einer der Gründe dafür, dass die Schönheitsschnibbelei so zugenommen hat?).
Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass da jemand bei der Genetik nicht aufgepasst hat. Und zwar bei der Lehre der Genetik – und nicht bei der grundlegenden Existenz (die unstreitig ist). Niemals wäre der Mensch so weit gekommen (etwa, sich über solche Sachen Gedanken zu machen), wenn sein Leben in so fest zementierten Bahnen ablaufen würde. Oder besser: wenn nur die Gene den Zement liefern würden, aus denen das menschliche Leben gemauert wird.
Liegt denn der Stellenwert der geistigen Einflüsse so weit abgeschlagen hinten? Sind etwa Mann und Frau eindeutig auf ihre Rollen fixiert und können gar nicht anders, als ihnen zu folgen? Muss eine funktionierende Gesellschaft von harten “Machern“ und “Macherinnen“ (nicht Margarinen lesen, bitte) bestimmt werden? Wird die Natur des Menschen durch unsere Gesellschaft perfekt widergespiegelt?

Heute habe ich einen Artikel über die Mosuo gelesen, einer ethnischen Minderheit im Süden Chinas. Hier existiert das Matriarchat (soweit es so genannt werden kann … matrilineare Gesellschaft könnte passender sein), sprich: hier haben die Frauen das Sagen.
Gewisse Parallelen zeigen sich zu unserer Form des sozialen Lebens, aber vieles läuft völlig anders ab. Dabei sollte man vorsichtig sein zu behaupten, dass die Parallelen auf die Natur des Menschen hinwiesen. Denn: genauso gut könnte man die Unterschiede als nicht erfolgreiche Stilblüten bezeichnen und damit abtun.
Faszinierend ist vielmehr, dass Menschen offenbar problemlos auf andere soziale Prinzipien geprägt werden können. Die soziale Prägung ist also ein ziemlich wichtiger Zement-Lieferant für das Bauwerk Mensch. Und Änderungen zu den angeblich vorgegebenen Normen der Gene sind viel umfassender möglich, als es unsere heutige Gesellschaft zugeben möchte (da verhält sie sich fast wie ein eigenständiges Lebewesen, das sich ja auch als Nabel der Welt sieht). Der Spruch “das ist einfach so“ ist also mehrfach falsch: es ist nicht einmal einfach.

Stellt sich nur die Frage: sollten wir mit der gesellschaftlichen Prägung und der Genetik ähnlich umgehen? Beides sind starke Faktoren zu unserem Ich-Empfinden, aber bei der Genetik (und dem Körper) haben wir inzwischen klare Vorstellungen davon, was gesund oder krank ist (was auch wieder ein heikles Thema ist). Wir haben den Anspruch nicht mehr auszugrenzen, Rücksicht zu nehmen und zu heilen, soweit Einschränkungen oder gesundheitliche Probleme damit verbunden sind. Bei der gesellschaftlichen Prägung sind wir noch auf der Stufe des Verdammens und Ausgrenzens, bei dem “Du musst Dich nur genügend anstrengen“, dem “da musst Du Dich anpassen“ und dem “das ist einfach so“. Allerdings ist hier das Problem, dass gesund und krank noch nicht zu definieren sind und sich vielleicht herausstellt, dass die Mehrheit der Bevölkerung … es ist halt nicht so einfach.

Andreas Gahmann


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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Angelika Dirksen (62)
(28.05.09)
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wupperzeit (58)
(28.05.09)
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