andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 24. Juni 2009, 22:51
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Alles was Recht ist

Schon den Kindern wird eingebläut, dass es richtig und falsch gibt. Es gibt richtiges und falsches Verhalten, richtige und falsche Wörter, eine richtige und eine falsche Ausdrucksweise, den richtigen und den falschen Umgang, richtige und falsche Kleidung und vieles mehr. Im Grunde ist das gesamte Leben von solchen Wertungen durchzogen.
Damit Wertungen aber allgemeingültig werden, muss es Regeln geben. Und diese Regeln werden von unterschiedlichen Menschen aufgestellt, widersprechen sich oft, haben die Lebensdauer eines durchschnittlichen Insekts oder ziehen sich durch weite Teile der Menschheitsgeschichte. Einige sind göttlich inspiriert (oder behaupten es zumindest), einige entspringen dem Wunsch nach Ordnung, einige dem Wunsch nach einer vollen Brieftasche und gar nicht so selten ist sogar Gerechtigkeit angestrebt.
Wobei es so eine Gerechtigkeit natürlich nicht gibt, da sie aus jedem Blickwinkel anders schillert. Was für den einen gerecht ist, ist für den nächsten ungerecht. Das nennt sich Subjektivität. Oder kurz: Leben.

Als Erwachsener wird es leicht, denn nun kann den Kindern erzählt werden, was richtig und falsch ist. Im Laufe der Jahre wurden die Regeln verinnerlicht und abgeprüft, einige fielen durch, andere kamen hinzu, weitere bekamen den Stellenwert loser Richtwerte, die grob über den Daumen angepeilt werden. Trotzdem sind sich die meisten Menschen sehr sicher, dass hinter den einfachen Regeln noch genaue Definitionen lauern, die im normalen Leben kaum einen Nutzen haben, im Extremfall aber herangezogen werden können. Dafür gibt es auch ein Wort: Gesetze.
Es gibt religiöse Gesetze, Naturgesetze, Straßenverkehrsgesetze, Urhebergesetze, Strafgesetze, wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten, Murphys Gesetz, strikte Kochregeln (die nur durch Zufall nicht Gesetz heißen), Gesetze des Marktes und so weiter. Sie sind unumstößlich oder menschengemacht, wobei die Trennung oft schwer fällt. Manche haben auch nur einen leicht spekulativen Charakter, wie Godwins Gesetz (“… Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit Hitler oder den Nazis dem Wert Eins an …“).

Was aber alle Gesetze gemein haben: kaum einer kennt sie genau; egal ob es physikalische Gesetze sind (die nun wirklich massiv unser Leben prägen) oder Ski-Lift-Verordnungen. Es kann sogar gesagt werden, dass die Mehrheit des Lebens in Unkenntnis der dazugehörenden Gesetze abläuft. Naturgesetze kümmern sich nicht darum, klar. Sie laufen einfach so ab und der Mensch muss damit zurechtkommen. Aber wie sieht es mit den Menschengesetzen aus?
Dafür gibt es Fachleute? Ach ja?
Wer würde nach mehr als zehnjähriger Fahrpraxis die Führerscheinprüfung bestehen? Wer kann auf Anhieb sagen, welche Rechte er in einem Supermarkt hat? Wer kennt das Mietrecht genau genug, um beurteilen zu können, ob der Vermieter gerade Bockmist anstellt? Wer kennt sich im Arbeitsrecht so gut aus, dass ihm keine Rechte entgehen? – Unser gesamtes Leben ist durchzogen von durchdachten Gesetzen und Verordnungen, aber fast alle Menschen segeln da im Blindflug durch. Oft zählen nur “gefühlte“ Regeln und irgendwo Gehörtes, ein vages Ahnen und eingefärbtes Vermuten oder schlichtweg: ein sehr grobes Schätzen.
Da geht jemand in der Woche vierzig Stunden arbeiten, schläft mehr als fünfzig Stunden in der “eigenen“ Wohnung, fährt mit dem Auto durch die Gegend, geht einkaufen, surft im Internet, zahlt Steuern, lässt sich von Politikern regieren, sucht eine Arztpraxis auf und … hat keine Ahnung. Ist das blindes Vertrauen, Mut zur Lücke oder was?

Jetzt mag eingewendet werden, dass kein Mensch alle Gesetze und Regelungen kennen kann.
Stimmt, aber sie gelten trotzdem. Wer dagegen verstößt, kann unwissend Unrecht begehen oder erleiden. Denn er kann nicht zwischen richtig und falsch unterscheiden.
Ist das der Grund, warum es zunehmend dazu kommt, dass die paar bekannten Regeln auch noch nach dem persönlichen Gefühl umgestrickt werden? Frei nach dem Motto: wenn mich keiner erwischt, dann mache ich nichts falsch. Oder weitergehend: solange ich damit durchkomme, wird es wohl richtig sein. Oder noch extremer: es kommt nur darauf an, dass es funktioniert.
Da fehlt dann nicht mehr weit zur Argumentation von „die anderen machen es doch auch so“, „das habe ich mir verdient“ zum „das ist gerecht so“. Und den Kindern wird eingebläut, dass es richtig und falsch gibt ...



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wupperzeit (58)
(25.06.09)
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