Schönau, Peter:

Aussegnungskreuzfahrt

Die Castro-Brüder sind schon lange tot, Business as Usual ist zurückgekehrt, die einheimische Bevölkerung hat sich mit Zuzüglern vermischt, es ist eine postmoderne Gesellschaft entstanden, und die Insel wurde in den Händen einer Gruppe von skrupellosen Geschäftemachern zur Keimzelle eines Experiments: Die ultimative technisierte Konsumgesellschaft, gekennzeichnet durch die Priorisierung zivilisatorischer Errungenschaften zu Lasten kultureller, geistiger und menschlicher Werte, deren Domäne auf Bereiche wie Wissenschaft und Technik beschränkt wird, die der Förderung und Erweiterung dieser zivilisatorischen Errungenschaften dienen. Auch Moral und Ethik werden diesem gesellschaftlichen Ziel angepaßt, so wird z.B. ein Eigentumsdelikt, wie Diebstahl oder ein Raub, oder ein Betrug härter bestraft als eine gefährliche Körperverletzung und ein Raubmord strenger geahndet als ein Mord aus Eifersucht oder im Affekt.
An der Spitze des Staates steht der "Herr des Machens der Dinge", obgleich "Dislike", der Minister für innere Sicherheit, die eigentlichen Geschicke des Landes bestimmt...

Daniel Serra kehrt nach 20 Jahren in seine Heimat zurück.
Ein Telefonat mit Eugenio hatte seine Rückkehr entschieden. Eugenio und er waren seit dem Besuch des gleichen Gymnasiums befreundet.
Nach dem Studium hatten sich ihre Wege getrennt. Er hatte die Zukunft im Ausland gewählt, während Eugenio auf der Insel geblieben war.
Sein Vater würde nächste Woche seinen 75. Geburtstag feiern und wollte nicht sterben. Um der Überalterung der Gesellschaft zu begegnen, war ein Gesetz verabschiedet worden, das die Zwangseuthanasie der über 75-Jährigen verfügte. Wer davon verschont bleiben wollte, mußte vor einem Richtergremium einen gesellschaftlichen Nutzen belegen, der sein Weiterleben rechtfertigte.

Schlüsselworte der "neuen" Gesellschaft:

Glücklich leben, glücklich sterben! Darin liegt der Schlüssel zu einem erfüllten Leben.

Stehen Sie kurz vor Erreichen des Euthanasierungsalters?
Krönen Sie Ihr Leben mit einem Abschluß unter Palmen in der Gesellschaft eines Partners, den Sie für diese Gelegenheit ausgewählt haben, auf einer unserer AUSSEGNUNGSKREUZFAHRTEN.

Die Zeit der Kultur ist vorbei, wir brauchen keine Kultur, um uns selbst zu verwirklichen, um glücklich zu sein - im Konsum liegt unser Glück, in der Erfüllung unserer Wünsche unsere Zufriedenheit.

Nur wer jung stirbt, wird betrauert, denn nur die Jugend lohnt das Leben.
Wir stellen den Tod in den Dienst der Jugend

Einkaufszentren waren die Kathedralen der neuen Zeit. Im Foyer des Einkaufszentrums gab es einen elektronischen Einkaufswegweiser. Eine große Wandtafel mit blinkenden Leuchtdioden und einem Grundriß des Gebäudes, in dem alle fünfundzwanzig Geschosse abgebildet waren. Auf einer Tastatur konnte man eine Suche starten oder die Nummer eines Stockwerkes drücken. Sie leuchtete dann auf der Tafel neben dem entsprechenden Geschoß auf, und ein Display zeigte alle sich darin befindenden Läden an.
Daniel benutzte den elektronischen Einkaufswegweiser heute zum ersten Mal. Neugierig gab er das Wort "Buch" in die Suchzeile ein.
Auf dem Bildschirm, der mit der Tastatur verbunden war, erschien eine Meldung: "Buch" > gehen Sie zu "Schul" - oder "Sach"-Buch.
Dann gab er das Wort "Shakespeare" ein. Auch hierauf wußte der Computer eine Antwort: "Shakespeare > Begriff aus der Subkultur > weitere Verweise nicht möglich".
Er fand Gefallen an dem Such- und Antwortspiel. Nach kurzer Überlegung stellte er den Computer erneut auf die Probe, tippte das Wort "Liszt" ein und erhielt die folgende Antwort der Suchmaschine: "Prüfen Sie die korrekte Schreibweise > vielleicht meinen Sie "
Er machte noch einen Versuch und gab "Johann Strauss" ein. Es dauerte etwas, bis er eine Antwort erhielt: "Johann Strauss > Begriff konnte nicht gefunden werden. Unsere Suchempfehlung: suchen Sie unter >Blumen(strauss)


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