BlackHört

Un-Erhörtes aus der Musikwelt


Eine Kolumne von  BLACKHEART

Montag, 29. September 2014, 17:20
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BlackHört feat. ...

BlackHört feat.  Dieter_Rotmund

Musikterrorismus

„Wo gesungen wird, da lass Dich nieder, denn böse Menschen kennen keine Lieder“ . Diesem alte Spruch wurde niemals weniger Hohn gesprochen, diese „Weisheit“ niemals weniger konterkariert als heute.
In den Parks und auf den öffentlichen Plätzen halten sich die aktivsten Vertreter des Musikterrorismus auf. Es sind die, die verharmlosend „Straßenmusikanten“ genannt werden. Zuweilen sogar „Straßenmusiker“, ein verklärender Begriff, der die Pflasterschrammler in die Nähe von Künstler stellen soll. Dabei hält sich heutzutage jeder, der eine Gitarre einfach nur halten kann und sich irgendwo in die Öffentlichkeit stellt, für Straßenmusiker.
Eine hehre nachträgliche Adelung ist es, wenn ein erfolgreicher Popmusikdarsteller in der Vergangenheit auf der Straße „gespielt“ hat. „Spielen“, ein ähnlich irreführender Begriff wie „Straßenmusiker“. Die Gehsteiggeiger spielen nicht. Spielen ist harmlos; Kinder spielen, Schauspieler spielen. Die sog. „Straßenmusiker“ schrammeln irgendetwas runter. Je lauter, desto besser. Gibt es in Berlin eigentlich immer noch die 8-Jährigen, die in den 60 Sekunden zwischen zwei U-Bahnstation auf ihrem Akkordeon irgendetwas hastig herunterdudeln und einem dann einen schäbigen Pappbecher unter die Nase halten?
Der moderne, urbane Mensch geht in seiner Pause gerne nach draußen. Er hat vielleicht hart gearbeitet und sich eine Pause verdient. Nun sitzt er im Straßencafé und schlürft seinen Latte nach den Gnocchi, sein Hefeweizen nach dem Feldsalat mit Putenbruststreifen. Oder er hat nur ein einfaches Pausenbrot in Alufolie und Kaffee aus der Thermoskanne. Doch Erholung ist ihm vergönnt. Denn die Ministranten des Musikterrorismus ziehen durch die Stadt und stellen sich vor das mediteranere Café-Publikum und den erschöpften Pausenbrotesser und dudeln unaufgefordert ihre madigen Mainstream-Melodien.
Wie schön war es noch, als man sich noch über die südamerikanische Panflöten-Combo in der Fußgängerzone lustig machen konnte, bei der dem Gefühl nach jedes zweite Lied „El Condor pasa“ war, intoniert von Menschen mit lustigen Mützen und Bettvorlegern als Oberbekleidung. Diese Zeiten sind vorbei, die Kombination Mark und Bein durchdringende Klarinette und jammerende Quetschkommode machen jedem Schaufensterbummel zu Depressionsfalle. Die ganz unverschämten „Straßenmusiker“ bringen elektrische Verstärker mit (sic!). Dann ist Schluß mit lustig. Die Zivilcourage, sich zu beschweren, hat keiner. Denn gemeinhin wird Musik bis dato noch allenthalben positiv assoziert, als „Sprache, die alle verstehen“, als Ausdruck von Zuneigung und gesellschaftlich engagiertem Protest. Die Protagonisten dieser naiven Vorstellungen nutzen das aus. Sie, die Saxophon-Hisbollah, die Balalaika-Al-Qaida und Mandolinen-Mafia, sie tragen ihr grausiges Geschraddel überall hin und verbreiten ihren auditiven Terror.
Man wünscht sich, dass Leute stehen bleiben und laut „Aufhören!“ rufen, oder wenigstens „Nun ist aber genug!“. Dass Jugendliche die Sammelbox klauen, dass engagierte Wut-Bürger gemeinsam „Uns gehört die Stadt!“ skandieren, bis die Straßenmusikanten einpacken und gehen. Dass ein Überfallkommando der Polizei mit quietschenden Reifen anrückt und die Krachmacher in Handschellen abführt. Damit es aufhört. Für immer.
Die Musik ist Werkzeug der Verrohung und Abstumpfung geworden. Ihre Protagonisten geben sich menschfreundlich, sie sind es jedoch nicht.
Musik ist ein Stressauslöser, Enspannungsverhinderer und Erschöpfungserzeuger. Musik ist immer und überall, ist die auditive Dauer-Hölle. Musik ist das Hintergrundrauschen der modernen, urbanen Lebenswelt. Musik ist der kollektive Tinnitus.

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