Stofftiere bringen Glück - Erzählung V

Text

von  pentz

Warum denkt Gina an knallharten Sex in diesem Zusammenhang?

Gina ist an einem jener Abende wieder einmal sehr, sehr betrunken,
„Aber morgen höre ich auf.“
Loulou war mittlerweile diesen Reden sattsam überdrüssig.
„Du bist für Dich selbst verantwortlich. Du musst es wollen, sonst geht gar nichts.“
Ich staunte Bauklötze über diesen Tenor ihrer Rede, denn die Botschaft war so untypisch für Loulou, dockte sie sich selbst nur allzu gerne an andere Menschen an, um Herr ihrer Probleme zu werden oder davon loszukommen und darin auch die Ursache derselben zu sehen.
„Ich bin umgeben von Trinkern. Wie soll ich da stark sein?“
Aber beide Frauen, es ist ein Wunder und eine Freude, können sich schnell versöhnen.
Nach diesem Sermon von Loulou, von wegen, man muss selbst wollen, sich vom Alkohol zu befreien, als wäre nichts gewesen, setzten sich beide zusammen auf die Schwelle der Tür zur Gasse hinaus, um einträchtig eine Friedenspfeife zu rauchen.
Mich ließen sie allein zurück in der Küche und ich begann die Sachlage zu reflektieren.
Klar, warum Gina gerne moralische Ergüsse von religiösen Sendern über sich ergehen lässt. Entweder Horrorfilme, thrillerartige Krimis zog sie sich vorm TV rein. Oder Predigten von ominösen Predigern. Diesesmal übernahm Loulou diese Funktion, um der sich reumütig sich gebärdenden Sünderin Gina in der Küche die Leviten zu lesen.
Als wäre nichts geschehen, hatten sie sich rausgesetzt. Nach dem Lesen der Leviten war die Auswirkung gleich Null. Nicht lange saßen sie dort in Eintracht und Harmonie.
Bald kommt Loulou zurück in die Küche gestochen, schlägt wütig das Geschirr-Schrank-Fenster heftig zu, so dass ich das Schlimmste ahne: „Nach der Zigarette ist Gina aufgestanden und über die Straße zur gegenüberliegenden Sisha-Bar gewankt. Abgesehen davon - die Straße ist sehr belebt, dass ich Todesängste ausgestanden habe - war ich zunächst perplex, dass auf ihre Reue hin keinerlei Taten folgen, dann jetzt bin ich nur noch wütend. Die verarscht mich.“
Das-Ins-Gebet-Nehmen von Gina ist für die Katze gewesen, denn von der Schwelle des Hausausgangs weg ist sie zu der neoleuchtenden „Goldenen XXL“, der nicht einzigen Sisha-Bar in der kleinen Stadt, zugelaufen, um sich dort restlos die Kante zu geben.
Loulou schiebt einen Hals!

Wir trippelten in Loulous Zimmer im ersten Stock hinauf, gedrückt, bedrückt und enttäuscht. Von dort aus konnte man auf die anderen Straßenseite zur Sisha-Bar schauen: durch die Fenster blinkte der Geldspiel-Automat bunt, krebsartig leuchtete die chromverzinkte Bar in ihrem diversen Neonlicht, davor flankierten zwei schwarz-goldene ägyptische hundeähnliche Statuen den Eingang, die auch von feldbetten-artigen Lehnsesseln aus der Rumpelkammer der 50-Jahre geschmückt waren, in denen sitzend oder liegend vor überdimensionalen Wasserpfeifen sich Dampflok-Schlot-Dicke Qualmwolken vor den Gesichtern der Jugendlichen aufbauten. Praktisch. Würden sie einen Kreislaufkollaps bekommen, lägen sie bereits auf einer transportablen Tragbahre. Der Weg ins Nirwana war schon gebettet.
Ich saß allerdings mit dem Rücken zu diesem herrlichen Ausblick, Loulou aber beobachtete jede Bewegung von Gina mit Argusaugen, sprang schließlich auf, als jene in den Eingang hineinschwankte, lief zum Fenster, um ihre Beobachtung durch näheren Augenschein zu bestätigen und drehte sich zu mir um: „Soll ich sie holen?“
„Hm!“
„Hm, nein. Das ist nicht meine Aufgabe.“
Loulou setzte sich wieder.
Das Argument fand ich schwach.
„Nein, aber geh und hol sie trotzdem dort heraus!“
„Okay!“
„Ich rauche erst einmal eine Zigarette.“ Das Ritual fand stets statt: bevor man etwas anpackte, wurde eine Zigarettenpause eingelegt. Nach ein paar Minuten war sie wieder so besorgt, dass sie sich aufmachte und hinüberging.
An der Tür riefen ihr ein paar Mädchen zu: „Sie suchen bestimmt die Alte? Sie ist dahinten in der Kneipe.“ Sie war erst einmal von den riesigen Fernsehbildschirmen geblendet, die unentwegt flimmerten und mit nicht minder großen Boxen flankiert waren, aus denen es überlautstark röhrte.
Sie stand einige Sekunde da, bis sie sich mit dem Interieur vertraut machen konnte. Aber was sie sah, war nicht echt, es war meist gemalt oder mit Pappmachee nachgemacht.
Hier innen sollte sie eine kühle Oase mit plätschernden Springbrunnen, orientalischen Wandbehängen, Deckenventilatoren und Bambus-Paravents empfangen, die aber nur künstlich waren. Gina wird dies bestimmt angetörnt haben.
Ein Barkeeper winkt ihr jetzt heftig zu und sie entdeckt sie auf einem hohen Tresenstuhl. Allerdings steht kein Getränk neben ihr.
Der Barkeeper wirft sich kaum merklich in die Brust, eher bescheiden erzählt er, daß er sich, so interpretiert es Loulou nun, kategorisch, stand- und heldenhaft geweigert hat, der bereits sternhageldichten Besucherin auch nur einen Tropfen Alkohol auszuschenken.
Gina war eben schon bekannt wie ein bunter Hund.
Allerdings beging ihre Retterin in ihrer Über-Fürsorge einen schwerwiegenden, folgendschweren Fehler, indem sie die Sprüche der jungen Mädchen von vorhin wiedergab: „Suchen Sie die Alte?“
„Komm Gina, geh weiter. Die Leute schauen schon so komisch!“
„Komisch! Mir doch egal, sollen sie. Mir wurscht.“
Und sie faucht die ein oder andere Gafferin sogar an, als wäre sie das verlorenen Stofftier, daß einen Tiger darstellt. Oder war es ein Hund?
„Komm, die reden schon über dich!“
„Was, was haben sie über mich gesagt?“
„Vorhin, wie ich draußen war, um reinzugehen und Dich zu suchen: haben mich die Jungen schon mit den Worten empfangen: „Suchen Sie die Alte, die ist da drinnen!“
„Denen werde ich es aber zeigen!“
Aber sie sind schon über die Straße und haben die Seite der Sisha-Bar gewechselt. Erneut und wie gewohnt um diese spät Abend- und Morgenzeit herrscht ein Verkehr wie bei Formel I.
„Komm, laß das Gina. Siehst doch, es ist zu gefährlich, jetzt über die Straße zu gehen!“
„Hast recht!“, lallt sie und grummelt weiter: „Die werden noch Augen machen! Die werden staunen! Von wegen Alte! Ha!“
Was sie damit meint, stellt sich ein paar Tage später heraus.
Nachts um 3 Uhr in der Frühe, klopfte sie an die Tür der schlafenden Loulou.
Verschlafen lugte Loulou zwischen einem Türspalt in den Gang, in der, glücklich und beseelt, sich eine himmlisch wiegende Gina stand oder vielmehr wankte, die wie eine Gottesbotschaft quasi das scheinbar Unmögliche wie damals der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria eine frohe Botschaft verkündete: „Ich bin gerade von einem jungen Türken gevögelt worden: So alt bin ich auch wieder nicht. Mensch, bin ich glücklich.“

Inzwischen hat der Döner-Verkäufer seinem Chef von der besoffenen deutschen Tussi und ihrem geschmacklosen Auftreten des Nachts erzählt.
Sie sind gerade beim Ausladen neuer Fleischware, tragen es von dem alten VW-Bus heraus in das Hinterzimmer des Dönerladens hinein. „Wer ist es?“ „Na, du weißt schon, die da um die Ecke wohnt, mit...“ In der Kleinstadt kennt man sich. Der Chef nickt. Hier im Hinterzimmer lagern alle Waren, einschließlich der Kühltruhen fürs Fleisch. Aus denen dringt Eisdampf, nicht nur wenn man den Deckel aufmacht und sie die Fleischkegel dahinein werfen – keine angenehme Arbeit.
Der Chef verzieht das Gesicht bis zu den Ohren und stößt aus: „Fick Sie, die braucht das!“
Da war das Signal, hier in diesem Raum fiel das Losungswort, die Einwilligung des Chefs, an diesem Ort, dem Nebenzimmer des Ladens, in dem sich schließlich auch diese Order, dieses bedeutsame Geschehen ereignet, erfüllt und  das Rad des Schicksals, des Kismet, sprich türkisch Kader erfüllt.
Zwar zweifelt der junge Dönerverkäufer zunächst noch, ob sie wiederkommen würde, schließlich hatte er sie gelinde gesagt nicht gerade wie eine Dame behandelt, auf deren Begegnung man gesteigerten Wert legt.
Aber er braucht nicht lange warten.
Bereits einige Tage später schmachtet sie in eine Ecke gekuscht unscheinbar vor sich hin und verfolgt den schicken Fleisch-Kegel-Schneider bei seinem galanten Treiben.
Er schweigt erst einmal, nachdem er den Schock ihres Erscheinens, das so klammheimlich geschah, verwunden hat. Würde ein Donnerwetter erfolgen? Er getraut sich nicht einmal, sie nach ihren Wünschen bezüglich Essens und Trinkens zu fragen. Gina plagen indessen andere Gelüste.
Es ist nicht mehr lange bis zur Sperrstunde, schon eine Stunde nach Mitternacht.
Als niemand mehr im Laden ist, springt Gina mit einemmal auf, baut sich vor ihm groß auf und stellt ihn zur Rede, der nicht weiß und versteht, sind es Anschuldigungen oder Liebeserklärungen, eigenartig, er tippt zunächst auf letzteres.
Er findet Zuflucht in verschämtes Grinsen und zweideutiges Lächeln als den besten Weg in dieser Situation.
Gina ist sich somit ihrer Sache sicher. Angesichts dieses offensichtlichen, nonverbalen, eindeutigen Schuldeingeständnisses presst sie sich unmittelbar an ihn, rückt ihren Körper zu seinem hin und umfängt ihn. Der junge Mann nützt die Gelegenheit, macht sich frei, verrammelt und schließt schnellstens den Laden und zerrt sie, wenn Gina nicht gewollt hätte, in den Nebenraum, in die Rumpelkammer, dort, wo alle Waren gelagert werden und aus dem lecken Kühltruhen weißer Kühldampf dringt. Auf einem alten, breiten Bauerntisch macht er sich über die stark betrunkene und freudig erregte Gina her, dass es sich gewaschen hat.
Ein junger, stämmiger, bärtiger, dichtbehaarter Türke vögelt eine weiße, engelsgleiche, faltige, leger-gekleidete alte Tussi in der dönergeschäftshintigen Ablage-, Abstell- und Aufbewahrungskammer, in der um die von der Decke herab an einem Haken festgebundenen vergammelnden Fleisch-Spieße fette Fleischfliegen schwirren. Ginas breiter Hintern wurde auf riesige, flache, knusprige Fladenbrote geworfen, geklatscht, gedrückt, wenn diese auch größtenteils in Folien verpackt waren, die sich jedoch bei diesem Gerutsche, Gerumple, Gezerre teilweise öffnen und herausdringen.
Weiter umgarnen die beiden leidenschaftlich und heftig sich Liebenden wie Lammeta den Weihnachtsbaum Gemüsebeutel, die in den Farben der jeweiligen Gemüsesorten, gelb, weiß, rot, violett und pink leuchten und an ihren Schnüren hin- und herpendeln und die Luft durchziehen und würzen mit Düften, die jeglichem orientalischen Basar gleichkommen.
Umgeben von Geschnetzeltem von Rind, Huhn, Truthahn und umwölkt von jenem quasi exquisiten, muffelnden Weihwasserduft liegt ein Lamm Gottes auf einem okkulten, archaischen, besonderen Altar, ein samtig-weißes, blond-gefärbtes und engelsgleiches Opfertier und wird nach Strich und Faden gevögelt wird von einem dichtbehaarten Belzeebub auf Teufel komm raus!

Für Gina stand die Frage auf dem Spiel: bin ich noch jung, so jung, dass ich einen knackigen, jungen Mann in meine Kiste zerren noch imstande bin?
Für den Türken stand quasi seine berufliche Existenz auf dem Prüfstand. Kann ich mit der Zeit gehen, andernfalls würde er über kurz oder lang aus dem Geschäft fliegen und gedrängt, denn die Konkurrenz schläft nicht und seht schon vor den Toren!

Copyright Werner Pentz

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