Der Defghijkl

Dialog zum Thema Verzweiflung

von  Feliks Gershon Bokser

Ich musste mehrmals hinsehen, als er mir das zeigte. Doch selbst nach dem vierten Hinsehen konnte ich seine Frage nicht beantworten. "Ich geb auf", war meine letzte resignierende Antwort, nachdem weder isländisch noch japanisch die richtigen Antworten gewesen sind. "Du lässt dich von deinen seltsamen Assoziationen zu sehr in die Irre leiten", hatte er mir dann geantwortet. Was sollte ich dazu noch sagen, fragst du? Das sag ich dir. Ich hatte dazu auch nichts mehr zu sagen. "Schlag auf", schlug er mir dann vor. Wie ein Kind, das sein überraschendstes Geburtstagsgeschenk aufmacht, kam ich ihm vor. Dabei war an dem Stapel Blätter, den ich da in die Hand bekommen hatte, eigentlich nichts weiter. Es handelte sich ja um keine Sonderausgabe einer Zeitschrift oder so. Einfach nur ein Stapel Zettel, vollgeschrieben mit einer blauen Tinte, mit einem Kuli. "Lies den Titel nochmal", befahl er leise. "Der Defghijkl", las ich nun zum ersten mal hörbar, ausgesprochen, aber so leise, dass nur er es hören konnte.

"Na, in welchen Sprachen könntest du auf eine Buchstabenkombination "gh" stoßen und dann auch noch auf "kl"?"

"Das frage ich mich doch auch", war meine sofortige Antwort.

"Nun."

"Ja."

"..."

"Tja."

"...", ...

Ich konnte mir halt sonst, so stumm für sich (ich hatte ja bereits zweimal falsch getippt) Arabisch vorstellen, so mit dem "gh" zusammen, aber "kl"? "Klingt ja fast wie Schwedisch oder Niederländisch", gab ich dann zu Protokoll.

"Wie wärs mit Jiddisch?", beharrte er.

"Daran hab ich echt nicht gedacht", musste ich zugeben.

"Darauf kommt man echt nicht", erwiderte er.

"Damit rechnet auch keiner", musste ich gestehen.

"Davor wird man ja auch nicht gewarnt", antwortete er.

"Und nun?"

"Nun darfst du es halt behalten und wenn du willst sogar lesen".

"Ach."

"Ja."

"Na, sowas."

"Echt."

"Worum gehts", musste ich neugierig fragen.

"Es geht eigentlich um alles und um nichts."

"Wie jetzt."

"Ja, um alles... aber auch um nichts Besonderes halt. Geht halt drum, wie ein verzweifelter Typ sich nachts gelangweilt von seiner stundenlanger Reise auf tiktok und instagram wegdreht und etwas zu schreiben beschließt."

"Aha."

"Ja, und erst weiß er halt gar nicht, was er schreiben soll."

"Ok."

"Verstehst du das Problem?"

"Ne, nicht wirklich."

"Na, der wollte sich Ideen holen, Inspiration... und hat sich dann nachts stundenlang Shorts und so auf social media reingepfiffpen."

"Ah, ok, klingt ja spannend."

"Ist es auch."

"Und dann?"

"Ja, dann legt er Handy weg, weil Akku leer und dann starrt er ein leeres Blatt erstmal an und weiß ganz lange nicht, was er nun eigentlich schreiben soll."

"Aber der hatte doch bestimmt schon ne Idee, oder?"

"Eben nicht. Der hatte sich eigentlich in den Schlaf trinken wollen, hatte dann aber sonnen alten Roman von früher rausgeholt, zu dem ihm dann Tausend Dinge eingefallen wären."

"Ja, und was war dann?"

"Der hatte sich Inspiration holen wollen."

"Hat er ja, hast du gesagt."

"Japp. Aber weil ihm nichts einfiel, kritzelte er nur so Buchstaben auf das weiße Blatt Papier hin."

"Wie jetzt? Welche?"

"Einfach Buchstaben. So "K" und "L" und so.

"Und dann?"

"Dann fiel ihm diese Geschichte ein, von einem jüdischen Polen, dessen Name in Jiddisch halt "Defghijkl" heißt. Und so nannte er die Erzählung "Der Defghijkl", weil dieses "kl" so ne Verniedlichungsform ist."

"Achs so, jetzt verstehe ich."

"Gar nichts verstehst du!"

"Wieso das denn jetzt?"

"Na, weil der doch nur Buchstaben gekritzelt hat."

"Hä?"

"Einfach Buchstaben des Alphabets."

"Wieso denn das jetzt?"

"Ja, dem fiel halt nichts ein und so begann er ganz blöde einfach Buchstaben zu zeichnen und so entstand dann diese Geschichte, verstanden?"

"Ne, nicht so ganz."

"Ach, egal, ist auch nicht wichtig. Lies es alles halt nochmal von vorn."




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Kommentare zu diesem Text


 GastIltis (05.04.24, 17:56)
Hallo Feliks,
und was sagt der polnische Jude dazu, dessen Name auf Kaschubisch „Mnopqrstuvw“ heißt?
LG von Gil.
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