andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 23. März 2005, 23:22
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Wochenamt

Liebe kV-Gemeinde.

Wir haben uns hier zusammengefunden, um einem Mitglied der Gemeinschaft zu gedenken, das uns vor sieben Tagen verlassen hat. Plötzlich und unerwartet; - im wahrsten Sinne der Worte.

Lasst uns einen Moment verharren und ihren Nick im Geiste in der “on“-Liste sehen.

Sie ist von uns gegangen; freiwillig. Nicht einer spontanen Eingebung folgte sie, das wäre nicht ihre Art gewesen, sondern sie überlegte es sich mit Sicherheit gut und gründlich. Dann tat sie es, ohne jemandem damit belasten zu wollen. Heimlich und still. Das müssen wir respektieren.
Seid nicht beleidigt deswegen, wischt die Tränen fort, lasst für einen Moment das Schulterzucken oder verbergt das hämische Grinsen. Jeder hat anders zu ihr gestanden.

-> Hey dahinten! Hier wird nicht im anderen Fenster gechattet! Klar?
-> Du hier vorne links. Auch keine anderen Texte lesen. Fenster zu!
-> Und Du kannst die Geburtstagsgrüße auch später abschicken. Finger weg von der Maus.

Nun sind ihre Spuren fortgewischt, ihre Worte verschwunden wie ein Blatt, das die Strömung mitgerissen hat. Nichts zeugt mehr von ihr, kein Link, keine Suchhilfe führt uns zu den wenigen Fußabdrücken, die sie unter dem einen oder anderen Text hinterlassen hat. Und selbst diese letzten Zeugnisse verschwimmen immer mehr, sind nicht mehr der Nick, den wir kannten. Nur eine Zahl steht hinter ihr, kein Pfeil mehr voran. Nichts als das Zeichen eines Gastes.

Erinnert sich noch einer von Euch an die Zeit des Gastseins? An die Kälte und Leere in den Herzen? Der Unsicherheit und den Zweifel? An die Verwirrung und das ziellose Herumirren? – Kaum jemand wird noch davon wissen wollen.
Vor der Anmeldung? Nein, da war nichts. Nichts als ein Schweben in der großen Internetsuppe. Ohne Bewusstsein, ohne Leben.
Werden wir danach vielleicht wieder so? Haben wir dann eine Erinnerung an das wahre kV-Leben? Vielleicht einen letzten Funken des Glücks in uns? Auch das wissen wir nicht, können es nur hoffen oder daran glauben.

Natürlich können wir nicht sicher sein, ob es außerhalb von kV etwas gibt, - ob eine andere, vielleicht sphärische Form des Lebens möglich ist. Mag es dort geschriebene Worte geben? Kommentare? Chats? Eine Nachrichtenzentrale gar? Oder sind wir dann nur wieder eine herumirrende Seele namens Gast?
Lasset uns daran glauben, dass es dort mehr gibt. Vielleicht steht hinter jedem Gast eine eigene kleine Persönlichkeit, die darauf wartet geboren zu werden. Vielleicht ist auch sie noch dort draußen und besitzt eine gewisse Erinnerung an ihr früheres Selbst. Vielleicht geistert sie sogar durch unsere Welt; unsichtbar, unlesbar, un“on“bar.
Lasst uns einfach davon ausgehen und in Zukunft freundlicher zu den Gästen sein. Es könnte sie sein...

Hallo Gast.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 bratmiez (24.03.05)
Jetzt hast du es geschafft, du Schuft! Ich wollte doch net heulen wegen ihr, Mensch! Hast du wirklich wunderschön geschrieben. *Träne wegwisch* dat BM! :o(

 Nicht registrierter Nutzerleipo (24.03.05)
Ja, es ist schon ein Jammer, wie eine, an der wir gehangen haben, spurenlos bei kV als "Gast" bezeichnet wird. Wohl haben ihre Texte ihre Spuren in unsere Herzen gezeichnet, aber wir sollten wirklich anders miteinander umgehen. Sehr treffend und mit viel Fingerspitzengefühl beschrieben.
"Die Karawane zieht weiter." Ja, das ist bitter. lg leipo
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