andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 15. Juni 2005, 18:04
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Genüsse

Einige meiner interessantesten Erfahrungen verdanke ich Dreieckenbekanntschaften. Vor knapp zwei Wochen war wieder so ein Moment.
„Der Bruder eines Arbeitskollegen kennt da wen...,“ begann Brigitte die Erklärung, warum ich mich an diesem Freitag um 12 Uhr Mittags (“spätestens“, wie sie betonte) bei ihr in der Firma einfinden sollte. Essen wollten wir gehen, ohne etwas bezahlen zu müssen und ohne eingeladen worden zu sein.
Ich will es mal nicht spannender machen, als Brigitte es machte. Es handelte sich um die Abschlussprüfung an einer Berufsschule (nennt sich hochtrabend Berufskolleg) und da der Bekannte des Bruders des Arbeitskollegen meiner Frau (puh) ein Ausbilder ist... Na ja. Es ging natürlich um Köche (Köchinnen waren nicht dabei) und Restaurant- und Hotelfachleute (sprich: Kellnerinnen).
Irgend jemand muss das Gekochte ja essen – und das Servieren wird ja auch geprüft.
Interessant, schon dadurch, dass wir nicht alle die gleichen Gerichte bekamen. Kreativ kochen halt.

Es begann mit der Vorspeise. Thema (= Motiv) : “Flusskrebse und Spargel“.
Nun... Ich bekam Suppe. Alle anderen am Tisch einen großen Teller mit ansprechender Optik, unterschiedlich zwar, aber in jedem Fall netter als das dünne Süppchen vor mir. Zum Glück bot mir der Arbeitskollege von Brigitte sofort an zu tauschen. - Zum Glück für mich, nicht für ihn.
Das Einzige, was mich wunderte, war der fehlende Krebs auf meinem neuen Teller. Die Schalen waren ja da, von zwei Krebsen sogar, aber damit hatte es sich auch schon. Einer war leere Dekoration und der andere nichts als ein Behälter für Spargelpürree. – Dafür gab es sowohl grünen, als auch weißen Spargel. War absolut okay.
Das Hauptgericht lief unter dem Thema “Stubenküken und Gemüse der Saison“. Mein halbes Küken war gefüllt und auf Kartoffelbrei gebettet. Drum herum zitterten einige Möhrchen und Kohlrabi vor Einsamkeit, aber ich will mich nicht beschweren. Erstens war es lecker, zweitens warm und drittens noch reichlich im Vergleich zu einigen der anderen kreativen Versuche.
Hinter mir hörte ich übrigens eine der Prüferinnen sagen: „Oh, gekochter Gockel.“ – Wirklich begeistert klang das nicht. Armer Prüfling.
Witzig war hingegen die Reaktion einer der zu prüfenden Dingens-Fachfrauen, als ihr das Problem mit der fehlenden Temperatur nahegebracht wurde. Dass denen beigebracht wird zu fragen: „Hat es ihnen geschmeckt?“ kann ich mir ja denken, aber dass in dem Antwortenkatalog auch steht: „Ich hab’s nicht gekocht.“? – Hmmm...
Die Nachspeise kam unter dem Motto “Erdbeeren und Rhabarber“ – und auch diesmal hatte ich Glück. Gut und reichlich. Bei einem gewissen Rhababerkompott stellte allerdings der Hauch von Erdbeere die einzige Süße dar. Sauer macht lustig...
Am Nachbartisch fragte einer der anderen Gäste höflich nach einem Zuckerstreuer und bekam – ordentlich auf einem Tellerchen serviert – Zuckerwürfel. Ein sehenswerter Gesichtsausdruck, also wirklich.

Nach dem Ganzen kam der Bekannte des... kürzen wir es ab: der B. d. B. d. A. von Brigitte... an unseren Tisch. Seine Miene sprach Bände.
Erst einmal waren nur sieben Prüflinge gekommen. Der Achte war „wohl lieber gleich ins Freibad gegangen“, wie der Ausbilder scherzte. In der Küche war das reinste Chaos. Von den 25 Nackthalsstubenküken aus Südfrankreich („das Beste was es gibt“) war nichts übriggeblieben, obwohl jeder angehende Koch nur drei Küken benutzen sollte. Und die Zubereitungsunfälle waren nicht in die Sammlung, sondern in die Mülltonne gewandert.
Materialverwertung miserabel, kurz gesagt. Ansonsten fiel noch das Wort “Schweinestall“...
„Es tut mir leid,“ meinte er noch peinlich berührt. „Wär’t ihr lieber morgen gekommen, da ist meine Gruppe dran...“

Ach ja. Was bestimmt noch interessiert: von den Sieben sind fünf durchgefallen. Schon traurig.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Nicht registrierter Nutzererpi (16.06.05)
Hallo Andreas, gelungene Beschreibung eines Versuchs zu einem warmen Essen zu kommen, ohne bezahlen zu müssen. Das Ergebnis erscheint reichhaltiger, als eine hoch bezahlte Mini-aber-Luxusportion eines Fünf-Sterne-Restaurantes;-))
LG
Rainer

 Aranae (16.06.05)
*g* na dann guten HUNGER...

 ViolaKunterbunt (16.06.05)
Ach, Andreas... ich seh das ja mehr aus der Sicht des armen Ausbilders. Selber stehe ich ja gerade mit 5 jungen Frauen in der Vorbereitung für die Florist- Abschlussprüfung. Und ich kann es sooooo gut nachvollziehen, wie es dem armen Ausbilder geht, der da nach wochenlangen Bemühungen vor so einem Chaos steht!
Bei uns ist es immer abends die große Ausstellung in der Dinslakener Stadthalle, wo ich dann die fertigen Werkstücke meiner Prüflinge ansehen kann und völlig erstaunt bin, wie wenig Ähnlichkeit besteht mit den Teilen, die wir die ganze Zeit geübt haben.
---- Du hast es wunderbar beschrieben. Ich hab mich köstlich amüsiert.
Kunterbunte Grüße, Viola
Symphonie (73)
(23.06.05)
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