andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 13. Juli 2005, 17:52
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nackter Glaube

Locido, unser neuer Kolumnist (auch an dieser Stelle noch einmal : herzlich willkommen!), hat mich nachdenklich gemacht. Er stellte am Montag die Frage, wie er die Zeugen Jehovas los werden könnte, da er sich von ihnen belästigt fühlt; - bei mir tauchte daraufhin die Frage auf, warum sie sich nicht mehr bei uns blicken lassen.
Was hat wohl dazu geführt, dass wir auf ihrer Liste gestrichen wurden (ich weiß, dass sie solche Listen führen)? Vielleicht wird es deutlich, wenn ich den letzten Besuch schildere.

Es war ihr zweiter Besuch bei uns. Ein sympathischer Mann Mitte 40 und ein etwa 20-Jähriger, der sich im Gespräch sehr zurück hielt. Im ersten an-der-Tür-Gespräch, einige Tage zuvor, hatte ich klar gestellt, dass ich mich gerne mit ihnen unterhalten würde, sie aber nicht damit rechnen sollten, dass sie mich überzeugen könnten. Sie kamen dennoch wieder. Und das im strömenden Regen.
Nun ja. Ich sah sie dort mit ihren Regenschirmen stehen, den Jüngeren zitternd vor Kälte, und bat sie herein. So viel Hässliches ich auch von gewissen Religionsgemeinschaften gehört habe, so habe ich immer festgestellt, dass das einfache “Fußvolk“ überwiegend aus freundlichen Menschen besteht (Ausnahmen gibt es immer).
Zwei Tassen Kaffee später unterhielten wir uns über Raumschiff Enterprise und Star-Trek. Gemeinsame Leidenschaften verbinden halt.
Gespräche über Glaube und Ethik fanden natürlich auch statt, doch da sich unsere Meinungen in vielen Punkten trafen (Gewaltlosigkeit etwa), mir aber die religiöse Unterbau dazu fehlt und ich rationale Überlegungen bevorzuge, blieben wir lieber bei Spock, Worf, Data und Co.
Eine Bibel bekam ich noch geschenkt, dann verabschiedeten sich die Zwei – und kamen nie wieder.

Es gibt noch ein weiteres Erlebnis, dass einen ähnlichen Effekt hatte. Länger her zwar, aber dafür prägnant.
Damals wohnte ich noch in Bochum und wurde eines Morgens beim ersten Kaffee durch die Türklingel gestört. Zwei Frauen, eine Ältere und eine sehr Junge, standen im Treppenhaus und schauten etwas verstört aus der Wäsche.
Auch diese Beiden bat ich zu einen Kaffee herein, denn sie schienen kurz vorher eine schockierende Begegnung gehabt zu haben. Sie bekamen dann gleich die Nächste, denn mein damaliger Kaffee ging in Richtung “Marke-Herztod“ und regte ihren Kreislauf sehr an. Vermutlich auch der Grund, warum wir anstatt über die Bibel über die Sexualmoral sprachen. Ein Thema, das wohl weitere Besuche ausschloss.
Als die beiden Frauen wieder weg waren, beschäftigte mich der Grund für ihre anfängliche Verstörtheit. Da sie erzählt hatten, vor welcher Wohnung sie zuvor gewesen waren und ich die Mieter dort kannte, ging ich einfach mal eine Etage tiefer, um zu fragen.
„Du bist schon der Zweite, der mich rausklingelt,“ maulte Reinhard, als er die Tür öffnete. Er schlief noch halb und knibbelte mich aus kleinen Augen an, war jedoch nicht schlecht gelaunt. Ich aber hatte keine Frage mehr. Die Antwort stand nackt vor mir.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 ViolaKunterbunt (14.07.05)
Haste wieder klasse geschrieben. Macht einfach Spaß, Deine Kolumnen zu lesen. Schöne Grüße unbekannterweise an Reinhard !

 BrigitteG (14.07.05)
Ich kenne Reinhard auch nur aus Erzählungen...
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