andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 05. Oktober 2005, 23:03
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neige zu beige

Als mein Vater mich anspricht, ob ich ihm beim Teppichverlegen helfen könnte, spare ich mir einen Kommentar. Meine Eltern sind eh resistent gegen meine Meinung.
Seit Jahren tauschen sie alle paar Jahre ihre beige gemusterte Couch-Garnitur (Zustand: gepflegt und ohne Gebrauchsspuren) gegen eine neue beige gemusterte Couch-Garnitur. Im größeren Abstand dazu fliegt der beigefarbene Teppich heraus, um durch einen Teppich ersetzt zu werden, der in der Farbpalette zwischen einem hellen Braun und einem cremigen Grau-Braun variieren kann (für mich ist das jedesmal “beige“).
„Findest Du nicht auch, dass wir einen neuen Teppich brauchen?“ – So fängt meine Mutter gerne an. Erwartet wird Zustimmung, - aber wortreich bitte. Bei einem einfachen „Ja“ wird mehrmals nachgefragt.
„Also mir hat er nie gefallen.“ – Ich bücke mich und hebe eine Ecke des fransenbestückten Blumenmusterdesasters an, das im elternlichen Wohnzimmer noch auf der Auslegeware liegt.
„Den schönen Teppich doch nicht!“ empört sich meine Mutter. „Den Teppich da drunter natürlich. Richtig schäbbig ist der.“
Der “Teppich-da-drunter“ ist praktisch nicht erkennbar (sonst hieße er ja der “Teppich-da-drüber“). Nur an drei Stellen blitzt er hervor, um sofort von bodenlangen Gardinen, einer Kommode oder einem Teewagen verdeckt zu werden. Viel Platz um “schäbbig“ auszusehen hat er da nicht.
„Zu Recht wirst Du mit Füßen getreten,“ sage ich und lasse die Ecke der Fransenkatastrophe fallen. Schade, sie wird mir erhalten bleiben.
„Wir haben immer Pantoffeln an. Nur Du läufst hier barfuß ‘rum,“ antwortet meine Mutter leicht eingeschnappt. An meinem Tonfall hat sie den Spott erkannt, aber für Wortspiele hatte sie nie viel übrig (außer sie sind schlüpfrig...). – „Übrigens hat der Papa schon einen neuen Teppich gekauft...“ – Na toll. Mich lacht natürlich ein freundliches Hellbraun an.

Zum Teppichverlegen erscheine ich dann mit Hund. Es ist immer wieder erfrischend, ihn bei solchen Tätigkeiten dabei zu haben (außer beim Rasenmähen). Paul ist freundlich und dickfellig, strotzt nicht gerade vor Intelligenz, liebt freie gepolsterte Flächen, spielt gerne und fühlt sich in der Nähe von Menschen besonders wohl. Wer also eine Hunderasse sucht, die wirkungsvoll im Weg liegen kann und dabei herzzerreißend unschuldig kuckt... ich empfehle: Boxer.
Kaum ist ein Möbelstück herausgeräumt, liegt Paul an der freien Stelle auf dem Rücken und lässt es sich gut gehen. In der Türöffnung steht er dann schwanzwedelnd und lässt auffordernd den Tennisball auf den Boden fallen, wenn man gerade beide Hände voll hat (mit einem Sofa, zum Beispiel). Anheben von Möbelstücken interessiert ihn brennend (es könnte ja was für ihn darunter liegen, da schadet auch mehrmaliges Nachschauen nicht...). Ein auf dem Boden sitzendes Herrchen ist wie ein Befehl Körperkontakt aufzunehmen, und wenn dann noch mit Fußleisten hantiert wird, müssen diese seltsam wippenden Stöckchen zumindest beschnuppert werden (könnte ja was zum Spielen sein). Und wenn man gerade mit Hilfe einer Schneideschiene eine saubere Teppichkante hin bekommen will, fällt garantiert sein Quietsche-Igel auf das Blech.
Wegschicken? – Klar, er hört auf Befehle; - etwa 2 Minuten, dann ist der Arbeitsspeicher gelöscht.
Ins Auto packen? – Na, wo bleibt denn da der Spaß! (außerdem hetzt mein Vater ohne Hund ja noch mehr) – Zudem bin ich es gewohnt, dass mich bei Bastelarbeiten eine warme und samtweiche Boxerschnauze anstupst.
Und ist es nicht niedlich, wenn ich eine Teppichdelle nach (!) dem Verlegen niedertreten will – und es quietscht darunter?
Zum Schluss wollen wir den Fransenteppich (das Blumenmusterdesaster) noch zurecht ziehen, damit er genauso liegt wie zuvor. Schon lustig, wenn sich darauf schon 31 Kilogramm räkeln, die dann spontan in Schlaf versinken...

Nachher schaue ich mir das Wohnzimmer an. Toll. Neu und dennoch so wie vorher : das sind Veränderungen, die meine Eltern mögen. – Paul schläft zufrieden. Nach der stundenlangen Arbeit hat er es sich auch verdient.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

kinderspiel (46)
(06.10.05)
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Sektfrühstück (41)
(06.10.05)
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 ViolaKunterbunt (06.10.05)
Köööööstlich !!! *schlapplach* Ganz plastisch beschrieben! Man kann es sich sooo gut vorstellen. Super gemacht! Kunterbunte Grüße, Viola
Symphonie (73)
(06.10.05)
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