andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 23. November 2005, 19:01
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Stinkig

„...pffff...“
„Ach, weißt Du Vati...“ meine Schwägerin setzt noch einmal an, ihrem Vater etwas quer über den Tisch zu erklären. Sie will nicht schreien, sondern bemüht sich laut und deutlich zu reden, um die anderen Gäste in der Cafeteria des Altenheims nicht zu stören. Dann jedoch senkt sie plötzlich die Stimme.
„Ach nein, - Paul! – Nicht schon wieder!“ Ihr Blick wendet sich anklagend zur Tischplatte, als wäre sie aus Glas (und kein Standardpressspan mit Leinendecke), durch die der Hund auf dem Teppich gesehen werden könnte.
Paul allerdings kümmert sich weder um den Blick, noch um die an ihn gerichteten Worte. Gebannt starrt er durch das bodentiefe Fenster nach draußen, damit er nicht die Rückkehr der Katze verpasst, die einige Minuten vorher vorbei stolziert ist.
„Was sagst Du?“ – Mein Schwiegervater ist sehr interessiert, jedes Wort mit zu bekommen; auch wenn er sein Hörgerät nicht trägt.
„Paul hat... – Er riecht heute.“ – Zur Verdeutlichung wedelt sie mit der Hand vor ihrem Gesicht herum, als könnte sie dadurch den Gestank vertreiben.
„Was?“ – Leider hört mein Schwiegervater nicht nur schlecht. Seine Augen sind auch nicht mehr besonders gut.
„Der Hund riecht.“ – Der zweiter Versuch in leicht gehobener Lautstärke.
„Ich verstehe Dich ganz schlecht.“ – Er beugt sich leicht vor, um den Abstand zu seiner Tochter zu verringern.
„Der Hund hat... äh... Probleme mit der Verdauung.“ – In der gut besuchten Cafeteria fällt es ihr sogar schwer, diese Formulierung zu benutzen.
„Du sprichst so leise.“ – Er legt seine Hand ans Ohr, als würde er dadurch mehr mit bekommen.
„Sag doch, dass Pauls Püpse heute besonders stinken,“ raunt Brigitte ihrer Schwester von Gegenüber zu. Die lächelt gequält und schaut sich kurz im Raum um. Niemand scheint aufmerksam geworden zu sein, was vielleicht daran liegt, dass hier kaum jemand Luchsohren besitzt.
„Seine Verdauung... Er riecht,“ versucht meine Schwägerin es noch einmal etwas lauter. Selbst das Wort “Blähungen“ erscheint ihr für den Ort unpassend.
„Heute kann ich Dich nicht gut verstehen,“ reagiert mein Schwiegervater genau so, wie es nicht beabsichtigt war. Aber auch das leise Kichern auf der anderen Seite des Tisches scheint für die Situation nicht förderlich zu sein.
„Vati, der Hund...“ – Sie bricht ab.
„...pffff...“

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