andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 03. Mai 2006, 18:41
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von Siegern

Im Grunde sind wir recht simpel gestrickt, oder? Wir verknüpfen zum Beispiel “gut“ und “erfolgreich“ miteinander und basteln daraus ein Lebenskonzept, das vor Begriffen wie “gerecht“, “richtig“ und “besser“ nur so wimmelt. Selbstverständlich geben wir das nicht zu.
So ist es auch egal, ob wir das ganze religiös oder wissenschaftlich begründen, ob irgendwelche darwinesken Denkschablonen greifen oder wir von Schicksalsschlägen reden: für unser Selbstverständnis ist der Sieger besser als der Verlierer (was ja nicht ausschließt, dass es noch einen “Besseren“ gibt.) und der Erfolg hat auch immer ein kleines Quäntlein Gerechtigkeit in sich.
War es nicht “richtig“, dass die totalitäre Spielart des Kommunismus vom viel “humaneren“ westlichen System bezwungen wurde? Ist es nicht sehr angenehm zu empfinden, dass dieses korrupte und vetternwirtschaftliche Modell untergegangen ist? – Der darauf folgende brutale Primitivkapitalismus ist natürlich nur eine Übergangsphase ... klar. Überhaupt ist jedes “Schlechte“ immer nur eine Übergangsphase – ein kleiner Rückschritt vielleicht, der zur Besinnung nötig ist – beim langsamen Voranschreiten zum Ideal. Alles wird gut.
Darum sind auch der Wettkampf und der Vergleich perfekt geeignet. Viele Atheisten meinen das und selbst religiöse Fundamentalisten denken in Richtung evolutionärer Auslese, aus der letztlich der “Stärkere“, der “Besserangepasste“, der “Überlebensfähigere“ als Gewinner hervorgeht. Die Schlechten verlieren, weil sie “schlecht“ sind; weil sie moralisch unterlegen, nicht gottgefällig genug oder schlichtweg erfolgsärmer sind. Da fällt es dann den Souveräneren unter ihnen auch nicht schwer, mildtätig und nächstenliebend zu sein: es ist Mitleid mit dem Verlierer der Gesellschaft, wie es so schön heißt.
Das Ideal bleibt als Ziel einer jeden Entwicklung. Und das Ideal heißt: es gibt etwas, das in allen Punkten das Beste ist.

Nun wirft Phillip Longman ein anderes Konzept ins Rennen, das so gar nicht gefallen will. Er ersetzt die Bilder von “gut“ und “erfolgreich“ durch die Begrifflichkeit des schnöden “sich durchsetzen“. Moralische und/oder ethische Regeln gelten dabei nicht und Gerechtigkeit, Selbstbestimmtheit oder Überlegenheit spielen keine Rolle. Genau genommen sind für ihn sogar Altruismus und Macht ohne Belang.
Seiner Idee nach wird sich letztlich eine Form der patriarchalen Lebensweise als gesellschaftsbildend erweisen, genau so, wie wir das in den USA und in vielen muslimisch geprägten Ländern schon sehen. Die Frau als wirtschaftlich vom Mann abhängige Gebärmaschine, der Mann als (wenigstens äußerlich) treusorgender Familienvater. Keine Chance für die selbstbestimmten und nach Gleichberechtigung strebenden Menschen, denn sie werden wegen erwiesener Vermehrungsunfähigkeit einfach untergehen.
Phillip Longman lässt dabei ganz nebenbei fallen, dass Mechanismen wie heimliche Liebschaften, Prostitution und männliches Überlegenheitsempfinden gegenüber Frauen gut funktionierende Hilfsmittel für einen Erfolg sind, der sich nicht über “besser“ und “schlechter“, sondern schlicht über die Masse einschleicht. Wer die meisten Kinder in die Welt setzt, bestimmt die Zukunft.
Schlechte Nachrichten also für den Fortschritt. Da die meisten Kinder der Zukunft aus klassischen Familienverhältnissen stammen werden, steht es nicht gut für die Entwicklung. Sie fangen immer wieder bei Null an und müssen sich aus den Klammern ihrer Prägung befreien. Jedes Mal wieder, Generation für Generation. Und die “Befreiten“ vermehren sich dann so mäßig, dass sie mit etwas Glück eine kleine Minderheit bilden.

Soweit zum Thema Freiheit.
Das Thema “Krone der Schöpfung“ können wir wohl abhaken. Wir sind wohl doch die Burka. Oder die Narrenkappe?


(nach einem Interview mit Phillip Longman zu seinem Buch: „The Empty Cradle“ im SPIEGEL Nr. 18 / 29.4.2006, S. 148-150)

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