andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 13. Juli 2006, 03:45
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Verlassen messen

Letztens habe ich in einer dieser besonders klugen Zeitschriften gelesen, dass Menschen instinktiv spüren würden, ob ein Mensch verlässlich sei. Unbewusst würde auf die Widersprüche geachtet, denn das feine Gespür für die Glaubwürdigkeit wäre wichtig, damit niemand sich an ein Fähnchen im Wind hängt.
Klingt logisch, finde ich, ein wenig nach “Überlebensinstinkt“ oder den Sensoren im Auto; die Temperaturfühler im Motorraum etwa, die einem auch anzeigen: „Hey, das ist zu heiß!“
Mir fallen spontan die Momente ein, in denen ich ungewollt den Gesprächen fremder Menschen lauschen durfte; etwa im Zug, wenn von den zehn Mitreisenden mindestens acht lautstark telefonieren. Noch spannender sind natürlich die Nachbartische in Gaststätten ...
Oft ist es richtig interessant mit an zu hören, was da so erzählt wird. Manchmal ist etwas Neues zu erfahren, manchmal kein Wort zu verstehen, obwohl die Sprache deutsch klingt und ausreichend laut ist. Manchmal sind neue Wörter zu lernen oder der Gesprächsinhalt ist so profan, dass er das eigene Gespräch ankurbelt (und sei es nur, um den Mist zu übertönen). Manchmal ist es so ärgerlich, dass ich am liebsten meinen Senf dazu geben würde, ein anderes Mal kann ich nur mühsam ernst bleiben. Und manchmal bleibt etwas hängen ...
Vor kurzem erst saß ich in der Nähe einer Gruppe, die sich wohl aus Arbeitskollegen zusammensetzte. Einer aus dieser Gruppe stach heraus, da er nicht nur laut und redselig war, sondern auch dazu neigte, den Anderen ins Wort zu fallen. Solche Leute fallen mir immer auf, was bestimmt daran liegt, dass ich selber so still und zurückhaltend bin ... *hust-hust*
Auf jeden Fall predigte dieser Redselige einer jungen Frau, wie wichtig doch der eigene fahrbare Untersatz sei. Frei und selbstständig würde so ein Auto machen und es hätte nichts mit Angeberei oder Bequemlichkeit zu tun. Ohne Auto wäre man doch nur abhängig von anderen.
Wenig später, ich hatte eine Zeit lang nicht zugehört, fing ich wieder einen Gesprächsfetzen auf. Wieder von dem Redseligen (von wem auch sonst). Jetzt ging es um japanische Kleinwagen und er polterte los: „Bevor ich mich in so eine Reisschüssel setze, fahre ich lieber mit der Straßenbahn!“ – Viele am Tisch nickten dazu oder lachten zustimmend. Ich hingegen versuchte mein FFG (= Feingefühl für Glaubwürdigkeit) neu zu justieren; irgend etwas klemmte da. Im Gegensatz zu den Tischgenossen des Redseligen bekam ich nur Fehlermeldungen rein.
Das hatte ich schon häufiger; es scheint ein Wackelkontakt in dieser Sensorik zu sein. Zum Beispiel auch bei der Episode, die ich unfreiwillig verfolgen durfte, während ich in einem Biergarten auf einen Freund wartete: Einige Tische von mir entfernt heulte sich eine Frau bei ihrer Freundin aus. Sie hatte offenbar eine ziemlich hässliche Männergeschichte hinter sich, denn sie klagte lautstark über die Oberflächlichkeit des anderen Geschlechts, über dessen Untreue und dessen Vorliebe für Äußerlichkeiten. Innere Werte, Vertrauen, Freundschaft und Harmonie gingen den Männern - nach ihrer Erfahrung - völlig ab.
Die Freundin hörte aufmerksam zu und steuerte immer wieder Beispiele aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz bei, so dass mir die Beiden bald herzlich leid taten. Das waren aber auch abschreckende Typen. Andererseits hatten die Freundinnen das jetzt erkannt, wirkten geläutert und überlegten aufgeregt, wie sie an die “anderen“ Männer herankommen könnten.
Kurze Zeit später kamen drei junge Männer mit ... nennen wir es: mediterraner Ausstrahlung ... vorbei. Drei Männer, die aussahen, als hätten sie ihr rotes Tuch gerade aus der Reinigung geholt und suchten jetzt nur noch den passenden Stier. Sprich: sie konnten vor lauter Männlichkeit nur breitbeinig laufen.
Die beiden Frauen folgten mit ihren Augen den Möchtegerntoreros und kaum waren die außer Hörweite, sagte die von Liebeskummer und Enttäuschung Gezeichnete: „Von denen würde ich aber keinen von der Bettkante schubsen.“
Sofort klingelten Fehlmeldungen meines FFG in meinem Kopf, so dass ich wieder einmal an die Anschaffung eines Austauschgeräts denken musste. Doch dann sagte die andere Frau: „Ich finde den in der Mitte am süßesten ...“ – und mein FFG schaltete sich komplett aus.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 ViolaKunterbunt (13.07.06)
Sehr schön. Das ist ein wirklich interessantes Thema und Du hast es gewohnt witzig rübergebracht. Es gehen einem sofort selbst erlebte Siuationen durch den Kopf, in denen das FFG Alarm schlug.
Gefällt mir sehr gut. Liebe Grüße, Viola
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