andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 02. November 2006, 04:32
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angezapft

Ganz in meiner Nähe gibt es etwas Neues, etwas, von dem ich schon gehört habe, das ich aber noch nicht kennen gelernt habe: eine mobile Tierarztpraxis. Oder nein, doch keine Tierarztpraxis, sondern eine “mobile Praxis für ganzheitliche Tiertherapie“.
Nun bin ich sehr gespalten, wenn ich von ganzheitlichen Therapien höre. Die Bedürfnisse des Patienten zu erfüllen, weg von der reinen Apparatemedizin und dem gefühllosen Pillenverschreiben, erscheint mir sehr sinnvoll. Allein schon der berühmte Placebo-Effekt zeigt doch, dass manchmal auch andere Dinge helfen und der menschliche Körper ständig im Austausch mit dem menschlichen Geist (oder wie man das nennen möchte) ist. Und wenn der Geist sogar Berge versetzen kann, wie leicht muss dann erst das Zersetzen gefährlicher Einflüsse auf kleine Körperzellen sein?
Auch bei Tieren kann ich mir das vorstellen, natürlich in engeren Grenzen. Zuwendung und Streicheleinheiten erhöhen ja auch das Wohlbefinden. Da möchte ich andere positive Effekte nicht ausschließen.
So war ich auch bei der Broschüre wohlwollend, die das ganzheitliche Prinzip bewirbt. Verhaltenstherapie hört sich vernünftig an, Desensibilisierung funktioniert bestimmt auch, homöopathische Medizin soll auch Erfolge gezeigt haben (was ich allerdings nicht verstehen kann) und dieser Katalog von Tiererziehungsmethoden ist zwar sehr vage, könnte aber funktionieren (wenn es jemand macht, der das kann).
Doch da hört diese Broschüre nicht auf. Es fallen Stichworte wie “antihomotoxische Medizin“, die schon in der Anwendung beim Menschen hanebüchen ist und wortgetreu übernommen sehr zusammengefrickelt erscheint. Der homotoxische Denkansatz schließt zudem jede andere Behandlung aus, was dann so ist, als würde ein ganzheitlicher Religionslehrer gleichzeitig den Absolutheitsanspruch des Papstes, den fundamentalistischen Islam und alle anderen Religionen als Wahrheit erheben.
Weiterhin werden Schüßlers Salze genannt (nein liebe Broschürenschreiberin: es heißt nicht Schüssler Salze; es heißt ja auch nicht Johann Wolfgang Göte) und Bachblüten. Und die traditionelle chinesische Medizin. In Bezug auf Tiere fällt mir da nur “süß-sauer“ ein.
Ja, und dann gibt es noch die Farblichttherapie …

In unserem neuen Auto hatte ich gleich am ersten Tag das passende Erlebnis: da leuchtet eine Warnleuchte auf, solange der Motor noch kalt ist. Eine Warnleuchte, die … grün ist … nein blau … nein grün … eher türkis … doch nicht türkis … (soweit ein kurzer Auszug aus dem Dialog zwischen mir und Brigitte).
Das haben sicherlich schon viele Menschen ähnlich erlebt. Männer nennen eine Farbe anders als Frauen, erkennen ein Dunkelblau nur als Schwarz, nennen ein blaues Hemd grün, sagen Rot zu Orange und so weiter. –So weit zum gängigen Vorurteil. Vergessen werden gerne die sehr ähnlichen Wahrnehmungsstörungen zwischen Männern („Ein schönes schwarzes Auto hast Du“ – „Das ist Anthrazit!“) oder zwischen Frauen („Passt die Bluse farblich zur Hose?“ – „Ganz toll!“). Vergessen wird aber vor allen Dingen, dass es keine Farben gibt, sondern nur Wellenlängen des Lichts, die von unserem Auge und von unserem Gehirn als Farben gedeutet werden. Der Vorgang selber ist kompliziert (und über lange Strecken uninteressant), aber von den Stäbchen und Zapfen hat jeder gehört. Dabei sind die Zapfen für die Farben zuständig und, auch wenn es unwahrscheinlich klingen mag, davon haben wir nur drei verschiedene Arten. Für: Grün, Blau und Rot. Daraus bastelt unser Gehirn dann alle uns bekannten Farben (etwa 200 Farbtöne!).
Knapp 10 % der Männer haben eine auffällige Farbfehlsichtigkeit, fast immer in den Farben Rot und/oder Grün. Das liegt daran, dass die Gene für die Farbrezeptoren Rot und Grün auf dem X-Chromosom liegen (und davon haben die meisten Männer nur eines). Darum leiden unter einem Prozent der Frauen darunter. – Aber wieso eigentlich “leiden“? Niemand von ihnen kennt es anders. Mehr sogar: wir haben keine Ahnung, ob andere Menschen Farben auch nur annähernd so sehen wie wir.
Auf jeden Fall ist das ein ziemliches Problem für den Ansatz einer Farblichttherapie beim Menschen. Bei Tieren hingegen …
Hunde sind gut erforscht. Bei ihnen kennt die Wissenschaft auch Zapfen im Auge, sie sind also nicht farbenblind. Dummerweise haben Hunde aber nur zwei Arten von Zapfen. Und um es richtig kompliziert zu machen: sie sind empfindlich für Blau-Violett und Gelb. Damit fehlt ihnen (und den meisten anderen Säugetieren, Katzen etwa) das Rot, aber das bedeutet nicht, dass sie rote Dinge nicht farbig sehen können: Vielleicht ist es für sie ein sattes Gelb, vielleicht sogar eine eigene Farbe. Wir nehmen Gelb auch als Farbe wahr, obwohl wir keinen Rezeptor dafür haben.
Jedoch wird es Hunden ziemlich schnurz sein. Ihre Zapfenhäufigkeit beträgt nur 20 % im Vergleich zum Menschen, Farben spielen für sie also keine so große Rolle, genau so wenig wie Sehschärfe. Ihr Metier ist die Lichtausbeute und das Bewegungssehen. Für jede Tierart gibt es solche Besonderheiten. Sie sehen alle anders, nicht nur aus.
Farblichttherapie bei Tieren? – Schmarn.
Farblichttherapie bei Menschen? – Schon eher. Bunte Autos könnten ein Ziel sein, oder der Tod des grauen Anzugs! Vielleicht könnte dann auch jemand blaue Warnlämpchen entwickeln, die für (fast) jeden blau aussehen. Vielleicht würden einem dann auch Leute zu bunt werden, die ganzheitlich das Blaue vom Himmel erzählen …



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