andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 16. November 2006, 06:21
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Mit dem Vertrauen ist es so eine Sache, das ist eine sehr alte Weisheit. Schon die alten Chinesen sprichworteten:
“Nichts ist schwerer zu errichten und leichter zu zerstören“ oder: “Du brauchst viele Worte um es zu bekommen, zum Verlieren reicht eines“. – Die waren schon klug, die alten Chinesen …
In der heutigen Zeit ist das natürlich anders, viel moderner und fortschrittlicher. Wir haben uns in den vielen Tausend Jahren weiter entwickelt, sind nicht mehr so von dogmatischen Vorstellungen durchsetzt und haben viel weniger Tabus. Da fällt es leichter Nähe aufzubauen und Vertrauen zu entwickeln.
Gerade das Internet bietet uns diese Möglichkeit. Die Anonymität und die Möglichkeit schnell abzutauchen ist ein Garant dafür, dass ein offenes Wort gesprochen werden kann. Was gibt es schon zu verlieren, wo so viel zu gewinnen ist? Ein paar hingekritzelte Worte reichen als Beweis von Verlässlichkeit, schöne Worte können in Ruhe überlegt werden, es kann auch leicht bis drei gezählt werden, bevor eine Antwort formuliert wird (oder bis zehn oder bis hundert …) und Versprechen zu halten erfordert auch keine persönliche Anwesenheit. Im Grunde ist es also einfacher als im “richtigen“ Leben.
Selbstverständlich nutzen wir das Internet auch genau so. Klar.
Nehmen wir zum Beispiel Diebstahl: jemand greift in der Innenstadt in Deine Tasche und – völlig unerwartet – bekommst Du ihn/sie zu fassen. Was jetzt? Polizei, Anzeige …? – Im Internet ist das einfacher (ja, auch der Diebstahl): tief durchatmen … noch einmal tief durchatmen (das gilt jetzt für die Bestohlenen, ja?) … vielleicht eine Nacht darüber schlafen … Am Ende ist der Zorn verflogen und man kann darüber reden. Es kann ja ein Missverständnis gewesen sein oder ein Ausrutscher (etwas, das bei einer fremden Hand in der eigenen Tasche sehr unwahrscheinlich ist).
Eine Entschuldigung, Rückgabe des Gestohlenen (oder Löschung der unerlaubten Kopie), ein paar Worte der Reue und das Versprechen, dass es nicht wieder vorkommt – und alles ist gut. Das gilt natürlich nur für bestimmte Foren, bei Raubkopien von Musik ist Justizia gar nicht mehr friedlich.
Auf kleinen kuscheligen Internetplattformen wird so ein Fall nicht rabiat gelöst (solange es das erste Mal war). Erst wenn die Fälle zunehmen und dreister werden, fremdes Eigentum als eigenes Werk ausgegeben wird und auch noch patzig Reaktionen kommen, wird es nötig den Moment der Peinlichkeit ins Spiel zu bringen. Das ist ganz einfach in einem anonymen Medium: es trifft ja nicht die Person selber. Trotzdem schreckt es ab, sollte man denken.
Dennoch will niemand voreilig sein, denn: "Vertrauen wird durch nichts mehr erschüttert als durch das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden." (Theodor Storm)
Das gilt natürlich für beide Seiten, klar. – So läuft dann so ein Fall gemächlich ab: Fristen werden gesetzt, Versprechen werden gegeben, es wird um Aufschub gebeten, weil ein privates Problem aufgetreten ist … ganz normal halt. Beide Seiten haben Interesse daran, dass die Sache schnell über die Bühne geht und die Internetpräsenz des Täters nicht so stark darunter leidet. So etwas kann ja jedem passieren (wenn auch nicht so oft) und man redet ja miteinander. Nähe und Vertrauen gehören doch irgendwie zusammen, nicht?
Dann platzen die ersten Versprechen, Vereinbarungen werden nicht eingehalten, Wochen vergehen und … im Grunde passiert nichts. Oder doch: ein neuer User meldet sich an. Neuer Nick-Name, neue Präsenz, neue Texte … altes Gesicht (erinnert sich noch jemand an das Zitat von Theodor Storm?).

Nun … wir kennen die Regel: keine Doppelanmeldungen (eines der wenigen Dogmen hier). - Ich hoffe, dass dieser Unschuldsengel nicht so sehr vermisst wird.




Nachtrag: Für verlorenes Vertrauen gibt es kein Fundbüro. – (Ernst Ferstl)


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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 AlmaMarieSchneider (16.11.06)
Wunderbarer Schluß. Diese Kolumne habe ich wirklich gerne gelesen.
wupperzeit (58)
(16.11.06)
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