andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 25. Januar 2007, 04:05
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kyrillisch

Es gibt Begriffe, die in den Köpfen der Menschen so schillernd, positiv und groß sind, dass sie einen völlig abgehobenen Status haben. Sie sind der Inbegriff des Guten und können alleine durch Nennung zu einem unwiderstehlichen Argument werden.
Freiheit ist solch ein Begriff. Da braucht es keine Erklärung: „Ich will (wahlweise “muss“) frei sein.“ schlägt ohne ein weiteres Wort. Die Freiheit an sich ist Grund genug.
Ebenso steht es mit “Unabhängigkeit“, “Liebe“, “freie Meinungsäußerung“, “Gerechtigkeit“ und ähnlichen Begriffen, die in ihrer Verwendung etwas von einer magischen Beschwörungsformel haben. Ja, manchmal haben sie fast die Wirkung eines klassischen Tabus: alle verstummen und jeder, der etwas erwidert, wird schief angesehen. Verbale K.O.-Tropfen, sozusagen.
Selbstverständlich hat das lange Tradition. Früher waren es religiöse Begriffe, Gott wurde angerufen (wahlweise die natürliche Ordnung), feststehende Wahrheiten wurden eingeworfen (“die Frau ist dem Manne untertan …“) oder gesellschaftliche Tabus (Tod, Sexualität …) wurden verwendet. – Es scheint ähnlichen Prinzipien zu folgen, doch in der heutigen Zeit ist das nicht mehr so einfach. Wir individualisieren nämlich mehr und mehr. Und dadurch individualisiert sich auch die Definition der Totschlagwörter.

An den erstgenannten Begriffen wird es besonders deutlich. Zehn Leute argumentieren mit “aber ich liebe Dich doch …“ – und schon haben wir zehn unterschiedliche Formen der Liebe vor uns. Der Eine kämpft nicht, wenn er verlassen wird, weil er in seiner Liebe die Wünsche des (Ex-) Partners zu sehr achtet, der Zweite verfolgt auch noch Jahre später jede Bewegung des Anderen. Irgendwo dazwischen pendeln sich die anderen Acht ein … obwohl … zumindest Einer vergisst die Liebe schon nach fünf Minuten, Einer atmet erleichtert auf, Einer hatte schon nach der ersten gemeinsamen Nacht genug und Einer ist sauer, weil ER doch Schluss machen wollte. Vielleicht sollte ich doch lieber einen anderen Begriff nehmen.
Freiheit. Freiheit ist gut. Freiheit ist auch über Artgrenzen zu definieren, denn auch Tiere müssen frei sein. Die Natur selber ist Freiheit!
Der Wind, das Meer … die Wüste nicht, auch das Moor wird selten genannt … aber die Prärie wieder, die Berge, der Strand, die Luft zum Fliegen … - Alles sehr positiv (bis auf Wüste und Moor).
Und wenn ich’s genau nehme, dann kann dieses Freie auch befreien. Hat der Sturm Kyrill nicht auch gute Sachen bewirkt? Er hat Bäume umgestürzt, Dächer abgedeckt, Gebäude zerstört. Aber hat er nicht auch die toten Äste von den Bäumen geweht, Platz für Neues geschafft, unabhängig gemacht?
In unserem Garten jedenfalls … wenn alles weggeräumt ist … haben wir jetzt richtig viel Platz. Manch einer, der durch Haus und Hof gebunden war, ist jetzt frei (und kann endlich machen, was er will) und in Dortmund gab es für Leboca und Paco sogar echte Freiheit. Plötzlich konnten sie aus dem Gefängnis entkommen und endlich ihre Freiheit genießen, herumstreunen, so viele Menschen treffen, wie sie wollten, sich frei bewegen. Ist das nicht schön?
Leboca fand das wohl nicht. Sie war nach kurzer Zeit schon wieder bei ihren Kindern, die sie auf den Weg in die Freiheit nicht mitgenommen hatte (ein gehässiger Freund meinte, dass sie vermutlich meinte, den Herd nicht ausgeschaltet zu haben …). Aber Paco sieht das anders, klar, Männer haben ja größere Reviere und mehr Drang zur Freiheit (blabla). Manch ein Dortmunder macht sich Sorgen, da Paco sich in den Wäldern und Parkanlagen versteckt, um nicht erwischt zu werden (… dabei muss man doch nur bis Samstag warten, denn dann kommt das Sportstudio im Fernsehen …). Doch die Wälder sind noch gefährlich (darum auch gesperrt und einsam), solange die letzten angeknickten Bäume nicht entfernt sind.

Ich bin gespannt, wann die Sorge (und die Freude über seine Freiheit) in Protest kippt. Paco wird sofort erkannt und kann sich nicht einmal an einer Pommes-Bude ein halbes Hähnchen bestellen. Stattdessen wird er wohl die Stadtpark-Enten nehmen, Kaninchen fangen und … na ja … vermutlich auch Kaninchenställe aufbrechen. Vielleicht schnappt er sich auch den einen oder anderen kleinen Hund oder eine Katze. Paco ist da nicht wählerisch. Wenn er Hunger hat … Männer haben große Reviere!

Hoffentlich heißt es nicht bald: der Problem-Luchs. Das Ende wäre absehbar.


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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Theseusel (25.01.07)
Das hat wirklich Spaß gemacht zu lesen ... der letzte Satz macht die Wirklichkeit hoffentlich nicht zur traurigen Realität! Grüße von Gerd
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