andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 10. Mai 2007, 03:10
(bisher 1.574x aufgerufen)

nicht mehr dicht?

Vor einiger Zeit bekam ich im Fernsehen ein Gespräch mit, besser gesagt: eine Diskussion dreier Leute, in dem es (oder: der es) über die Bedeutung der Dichtung ging. Ein interessantes Thema, wie ich finde.
Erwartungsvoll harrte ich den Empfehlungen zu bemerkenswerten Dichterinnen und Dichtern der Vergangenheit und Gegenwart, hoffte auf nachvollziehbare Erörterungen formaler Kriterien und wünschte mir lesens- und hörenswerte Beispiele herbei.
Ein wenig befürchtete ich natürlich, dass es ein Fachgespräch unter Klempnern werden würde … Dichtungen halt …Bürstendichtungen, Ringdichtungen, Kopfdichtungen, Saugdichtungen, Walzdichtungen, Buchsendichtungen, Profildichtungen … den Namen nach könnte es sich problemlos um kV-Gedichte handeln. Neue Genres oder Gedichtformen in der Dichtungsmasse wären dann leicht zu erdichten:

- die Druckdichtung: eine aus starkem inneren Antrieb entstandene Lyrik
- die Flachdichtung: anspruchslose Fastfood-Poems für den sofortigen Verzehr
- die Muffendichtung: Lyrik mit trotzig zornigem Inhalt, die aber warme Hände macht
- die Wellendichtung: sehr rhythmische Lyrik, fließend, brandend
- die Labyrinthdichtung: Lyrik mit einem komplizierten Reimschema
- die Pneumatikdichtung: lyrische Umsetzung von heißer Luft
- die Flachsdichtung: leicht spöttische Scherzlyrik
- die Gleitringdichtung: erotische Lyrik
- die Einschleifdichtung: Lyrik, bei der die Reime genuschelt werden müssen

Das Gespräch lief dann aber anders ab, völlig anders. Weder ging es um die Bedeutung der Dichtungen im Wasserbau, noch um die Bedeutung der Dichtung in unserer Zeit oder um bedeutende Dichtungen. Es ging schlicht um die Bedeutung des Wortes “Dichtung“, um die Definition: „Wann darf ein Gedicht Gedicht genannt werden?“.
Auch spannend, dachte ich mir …

Meinung 1: Dichtung bedeutet, dass etwas in sich geschlossen ist. Die äußere Form muss eindeutig und undurchlässig sein (sozusagen: wasserdicht) und trägt entscheidend den Inhalt. Jedes Wort muss passen und es darf keine Lücken oder gar Löcher geben. (das ist die Zusammenfassung, denn gesagt wurde viel viel mehr)
Meinung 2 lachte darüber. Der Einwand: „Dann gehören auch Glossen und Satiren zur Dichtkunst.“
Meinung 1: Ein Stirnrunzeln, dann die Erklärung, dass Prosa nicht so fest gefügte Formen habe. Die Bausteine wären austauschbar und ganze Sätze könnten ersatzlos gestrichen werden. In der Lyrik hingegen dürfe kein Wort aus dem Ganzen gerissen werden.
Meinung 3 mischte sich ein und schlug sich auf die Seite von Meinung 1. Nun wurde allerdings der Begriff “Verdichtung“ benutzt, die die Zusammenpressung eines Themas in wenigen Worten meine. Die äußere Form sei das Korsett, welches der Leser aufschnüren müsse, um den Inhalt zu erfassen. (ein hübsches Bild, wie ich finde)
Meinung 1 widersprach entschieden. Nicht die Kompression des Inhalts sei entscheidend, sondern die “dichte“ äußere Hülle. Der Inhalt dürfe gar nicht “verdichtet“ werden … (ein Paradoxon, denke ich)
Meinung 2 nutzte die Gelegenheit des Streitgesprächs zwischen 1 und 3, um die eigene Definition in den Raum zu werfen. Entscheidend sei der Klang, die Melodie, der Rhythmus in der Dichtung. Wie ein Boot müsse sie auf die Wellen abgestimmt sein, sich bewegen und schwingen, - darum also “dicht“ sein, damit sie keine Schlagseite bekäme.
Meinung 1, inzwischen etwas in Bedrängnis geraten, schlug sich auf die Seite von Meinung 2. Genau das meine er ja, fügte er an, die Form wäre entscheidend und inhaltliche Wiederholungen seien darum vollkommen in Ordnung. Nichts müsse gepresst werden.
Meinung 2 nahm den Ball an und führte die Musik ins Rennen, die ja auch zur Dichtung gehöre. Sie wäre der schlagende Beweis, das “Dichtung“ nicht von “Verdichten“, sondern eher vom “Abdichten“ käme. Darum hieße es ja Gedicht und nicht Verdicht.
Meinung 3, nun allein gegen Zwei, wollte das nicht gelten lassen. Verdichteter Inhalt sei Ausdruck eines Gedichts, aufgeblähter Inhalt mache nur ein Gebläht …

Nach diesem hübschen Wortspiel kam eine lange Reihe Beispiele; - von allen drei Gesprächsteilnehmern. Dichternamen, kurze Zeilen, ein Hin und Her … Die Namen vergaß ich sofort wieder (vermutlich ist das schade) und die zitierten Gedichtsteile fand ich größtenteils scheußlich (ich bin halt kein Liebhaber kryptischer Lyrik). Der Rest … na ja.
Irgendwie fühlte ich mich – immerhin ging das noch eine Weile so weiter – doch noch an eine Klempnerdiskussion erinnert. Oder besser: an einen Klempner, der einen Wasserbehälter dicht bekommen will, einen Chemiker, der die Dichte von Elementen miteinander vergleicht und einen Bootsbauer, der abdichten will. Als dann der “Chemiker“ auch noch über die Weberei zu sprechen begann, leichte mit schweren Stoffen verglich und handgeknüpfte Teppiche einwarf (natürlich nur als Metapher), bei denen eine hohe Dichte an Knoten auch eine hohe Qualität bedeuten, warf ich auch etwas: das Handtuch.

Übrigens warf ich das Handtuch auch über meine Erinnerung zu dieser Sternstunde der Fernsehunterhaltung (Oder kehrte ich sie unter den dichten Teppich? Lief es mir gar aus einer Undichtigkeit heraus?). Erst vor einigen Tagen fiel sie mir wieder ein und ich wikipedierte daraufhin ein wenig, da die ersten Versuche in meinen Büchern nur Erklärungen und keine Wortbedeutungen hervorgebracht hatten. Vielleicht war ich auch nur zu eingenommen von der Klempnerdiskussion oder meine Kopfdichtung war zu fest angezogen, so dass ich die Hinweise zum Wortsinn im Lexikon überlas. Nicht auszuschließen.
Da ich Wikipedia nicht sonderlich vertraue, nahm ich einen der Links und fand etwas Empfehlenswertes, das die Uni Trier ins Netz gestellt hat: „Deutsches Wörterbuch“ von Jakob Grimm und Wilhelm Grimm (das ist kein Märchen!). - 16 Bände aus den Jahren 1854 bis 1960 … puh. Echte Schmökerlektüre mit interessanter Rechtschreibung.

 Wörterbuch

Bestätigung für die Grimmschen Worterklärungen fand ich auch an anderen Stellen, nachdem der Knoten endlich geplatzt war: Dichtung hat im Wortsinne nichts mit Flüssigkeiten zu tun. Außer mit Essig, denn das ist jede Vermutung in diese Richtung. Es kommt schlicht und einfach vom Lateinischen dictare, dem Aufschreiben also. Ein Lied wurde zum Gedicht, wenn es niedergeschrieben war. Im Grunde ist also alles Geschriebene Dichtung.
So ist der Wortsinn oft: profan. Von der Lyrik bleibt nichts als die Dichtung zur Lyra, Musik wird zur Kunst der Musen und Dichtung ist das Aufgeschriebene. Erst die neuen und sich wandelnden Besetzungen eines Wortes machen daraus etwas, das Diskussionen und Streitereien hervorrufen kann.
Aber dann können wir ja wieder beruhigt drei Experten befragen …



.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 IngeWrobel (10.05.07)
Jau, sehr gerne gelesen! Ein schöner Tagesbeginn ...... dank Dir schön!
Schmunzelgruß von der Inge :))

 SimpleSteffi (10.05.07)
wieder mal äußerst kurzweilig und interessant geschrieben! Besonders über die neuen Genres habe ich herzlich gelacht! LG, Steffi
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram