andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Freitag, 11. Mai 2007, 04:34
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von Zähnen

Gebrauchsanweisungen sind eine feine Sache. Sie helfen uns mit frisch angeschafften Dingen zurecht zu kommen, füllen unsere Zeit mit interessanten Informationen und unterhalten uns in einer oft kreativem Art und Weise. Allein schon die filigranen Formulierungen und künstlerischen Zeichnungen …
Eine Steigerung stellen vielleicht noch Aufbauanleitungen dar, berühmt wurde etwa Ikea für die poetische Interpretation dieser Literaturgattung und die Vermischung mit der Malerei. Vorher war dieses Genre reine Gebrauchsprosa, doch endlich wurde die Fantasie angeregt und das genaue Lesen und Hinschauen belohnt … oder auch nicht, je nach dem.
Während meines Studentenjobs im Baumarkt durfte ich Zeuge so mancher Kunstwerke für den kleinen Mann (und Frau) werden. Fantastische Literatur manchmal, märchenhaft gar – oder sagenhaft?
Da war zum Beispiel der Camping-Teewagen, mit dem eine Auszubildende angelaufen kam. Diese Auszubildende war nicht bekannt für ihr Talent in technischen Dingen, ihr Nachfragen also keineswegs ungewöhnlich. Die Aufbauanleitung schon.
Ein surreales Meisterwerk! – Zeichnungen, die Pablo Picasso von Neid hätten erblassen lassen, eine Grammatik zum mit-der-Zunge-schnalzen, Wort(er)findungen aller höchster lyrischer Kraft.
Kunst … verschwendet an einen Teewagen.
Nach den Zeichnungen mochte es sich um … nun ja … einen Rasenmäher vielleicht? Ein U-Boot? Eine Kaffeemaschine? Ein Atomraketen-Start-Terminal? … handeln. In etwa dreißig Bildern wurde die Montage beschrieben. Es erinnerte an ein Schaltdiagramm oder an ein Schnittmuster und es waren Bauteile abgebildet, die ich niemals an einem Teewagen vermutet hätte: einen kippbaren Gitterrost, ineinander zu steckende Stäbe, gut 40 Schrauben in sechs Größen, unterschiedlich große Räder, elektrische Anschlüsse, einen Standfuß, der mit Wasser gefüllt werden sollte und so weiter.
Neugierig öffneten wir den Karton und fanden einen zusammengeklappten Teewagen, der fertig montiert nur eine kleine Handbewegung zum Aufstellen brauchte. – Das Geheimnis hinter der Bauanleitung dürfte jetzt jedem klar sein: es handelte sich um die sehr unübersichtliche und schlecht übersetzte “universale Bauanleitung“ aller Produkte, die diese Firma herstellte.

Nun gut. Diese Anekdote ist jetzt schon viele Jahre her und vieles hat sich seitdem geändert, - zumindest dachte ich das.
Vor ein paar Tagen kaufte ich mir aber ein … hmmm … nennen wir es “Pflegeset“, da der Hersteller sich nicht ganz einig bei der Benennung ist. Als Betriebsanleitung liegt ein mehrfach gefalteter Zettel bei, der als “Wartungshandbuch“ bezeichnet wird und sich auf den ersten fünf Seiten (gemeint sind Spalten) in sieben Sprachen mit … tja … sagen wir mal: mit einer äußerst groben Annäherung an das Thema … beschäftigt.
Das störte mich nicht, denn es schien mir eine Anleitung für Dumme zu sein, die nichts auslassen wollte.
Dann kam “Seite“ 6: „… Das entsprechende Zubehör ist auf Seite 10 aufgeführt …“ – ist es auch. Nur leider ist das Zubehör von fünf unterschiedlichen Produkten aufgelistet und die Kleinteile sind nicht benannt.
Egal, so schwer kann es ja nicht sein die Funktion von vier Einzelteilen herauszufinden.

„… Schritt 1: Zum Schärfen stets einen Feilenhalter, ein Feilgerät oder ein 12-Volt-Schärfgerät benutzen. …“ – Okay, mit Stromkabel habe ich nichts, also muss es etwas von den beiden anderen Sachen sein. Leider sind die Mikrozeichnungen unbeschriftet und nicht eindeutig.
„… Schritt 2: Feilenhalter flach auf das Zahndach und den Tiefenbegrenzer legen. …“ – Fein! – Habe ich so etwas denn? Gehört der Tiefenbegrenzer zum Zubehör oder was?
„… Schritt 3: Schneidezahn mit 30 ° (oder …) feilen. …“
„… Schritt 4: Schneidezähne erst an einer Seite schärfen. Immer von innen nach außen feilen. …“ – Hört sich nach einem Zahnpflegeset für Vampire und Werwölfe an, nicht?
„… Schritt 5: Anschließend die andere Seite schärfen. Schritt 2, 3 und 4 wiederholen. …“
„… Schritt 6: Achten Sie darauf, dass alle Zähne gleich lang sind. …“ – Wer möchte auch einen Vampir mit krummen Zähnen sehen.

Und das war es dann mit dem Schärfen. Des weiteren wird in ähnlicher Art das “Absetzen des Tiefenbegrenzers“ erklärt (ohne zu verraten was der Tiefenbegrenzer ist). Dann folgen weitere Pflegeempfehlungen, für die ich garantiert keine Einzelteile gekauft habe.
So finden sich die wichtigsten Antworten erst durchs Ausprobieren – und durch andere Informationsquellen. Die tiefere Bedeutung von zwei Teilen bleibt schleierhaft.
Jetzt werden einige sagen, dass Bedienungsanleitungen nun einmal so sind und dass das kreative Ausprobieren dazu gehört. Notfalls nimmt man halt alles wieder auseinander und beginnt von vorne. Stimmt ja auch, bei Regalen und so, aber beim Schärfen von Kettensägen? (Es ging natürlich nie um Vampire)
Immerhin sind diese Dinger mordsgefährlich – worauf auch in der Anleitung ständig hingewiesen wird – und da erwarte ich etwas mehr.
Auch gibt es nicht “den“, sondern “die“ Tiefenbegrenzer. Genau genommen gibt es so viele Tiefenbegrenzer wie Sägezähne und sie sind entscheidend für die Funktion und Sicherheit. Werden sie zu tief “abgesetzt“ (sprich: abgeschliffen), verbeißt sich die Säge ins Holz und beginnt zu bocken; werden sie nicht abgesetzt, greifen die Zähne nicht richtig und die Säge kann abrutschen oder sie bleibt stecken.

Bei Vampiren mag das ja ein erwünschter Effekt sein …


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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

kräutersammlerin (48)
(17.05.07)
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