andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 12. Juli 2007, 04:41
(bisher 2.198x aufgerufen)

vom Geschlecht

Vor einiger Zeit bekam ich von einem Freund drei Fische geschenkt. Dieser Freund ist ein großer Fischliebhaber und –kenner, er mag sie gebraten und geräuchert … aber auch lebend. Außerdem kennt er sich ziemlich gut mit ihnen aus.
Drei Guppy-Männchen waren das: nicht besonders wertvoll für Fischliebhaber, auch nicht sehr groß oder außergewöhnlich; halt Guppys. Sie sind die vielleicht bekanntesten Aquarienfische, auf jeden Fall sind sie die häufigsten. Nicht ohne Grund heißen sie auch “Millionenfisch“.
Misstrauisch beäugte ich die drei Fische, denn sie sollten nur einige Zeit bei mir parken, um dann ins Aquarium meines Vaters zu wechseln, das unter einem akuten Guppy-Männchen-Mangel litt. Etwa ein Dutzend verwitweter Guppy-Weibchen wartete dort (nun ja … ob sie wirklich Männchen ersehnten?).

Bei Guppys sind die Geschlechtsunterschiede gut zu erkennen. Die Männchen sind deutlich kleiner und schlanker als die Weibchen und sie haben eine fahnenartige Schwanzflosse, die recht bunt gefärbt ist. Außerdem haben sie einen gut zu erkennenden Pseudopenis, der aus der Afterflosse gebildet wird, die darum den Männchen fehlt (nicht aber den Weibchen).
Trotzdem … Misstrauen ist immer angesagt, wenn nicht das Bedürfnis besteht Guppys zu züchten. Diese Tiere sind nämlich sehr vermehrungsfreudig und haben so manchen Trick auf Lager.
Einer dieser Tricks erfreut auch viele Wissenschaftler: Guppys sind praktisch immun gegen Inzestprobleme. Das klingt vielleicht seltsam, wo doch immer gepredigt wird, dass Inzest für eine Tierart (und für den Menschen) schädlich sei, aber es ist mal wieder ein Beispiel dafür, dass es immer Ausnahmen gibt. Oder ist es ein Beispiel dafür, dass die Regel gar nicht allumfassend ist?
Für den Aquarianer bedeutet es: ein trächtiges Weibchen kann eine sehr fruchtbare Population ergeben.
Aber warum war ich dann misstrauisch bei den Männchen? – Das liegt an zwei weiteren Tricks der Guppys.
Erstens: durch die Aquarianerzunft geistert der Begriff “Pseudoweibchen“, Männchen also, die wie Weibchen aussehen und sich dadurch einen Vorteil verschaffen sollen (Parallelen zu Menschen sind rein zufällig). Wissenschaftlich bewiesen ist das zwar nicht, aber von anderen Fischarten sind solche Strategien bekannt. Bei manchen Fischen gibt es sogar den Geschlechtswechsel, oft vom Männchen zum Weibchen (beim beliebten Nemo ist das das Grundprinzip der Vermehrung), was mich die Guppy-Männchen in einem besonderen Licht sehen ließ. Egal ob die Guppy-Züchter vehement bestreiten, dass es das gibt.
Zweitens: Guppys können die männlichen Spermien bis zu acht Monaten speichern; - ja, sie können sogar als noch unfruchtbare “Kinder“ die Spermien aufnehmen und erst später benutzen.

Meine drei jungen Guppys waren zum Glück sehr eindeutig männlich: schön gefärbt, schlank, mit flattriger Schwanzflosse und deutlichem Geschlechtsorgan. Darum machte ich mir keine großen Sorgen, fragte meinen Freund aber aus reinem Interesse nach den genetischen Voraussetzungen für einen Geschlechtswechsel.
Schon seltsam … obwohl es ein hoch interessantes Thema ist, wird offenbar nicht oft darüber geredet. Es ist fast, als hätten die Menschen Angst vor diesem Thema und verdrängten es deshalb.
Dabei wird es erforscht! – Die genetischen Mechanismen der Geschlechtswandlung sind die Bausteine, die das Fundament für die Geschlechter selber darstellen. Und das bewegt doch zur Zeit wieder sehr: was macht einen Mann aus, was eine Frau? Was sind die Unterschiede zwischen Mann und Frau? Ist es wirklich nur das Einparken von Autos und das Herumliegenlassen getragener Socken?
Ob Guppys dafür das richtige Forschungsobjekt sind, wo sie doch gar keine Socken tragen?
Auf jeden Fall sind die lebendgebärenden Zahnkarpfen interessant, zu denen auch die Guppys gehören. Hier wimmelt es von seltsamen Genen und Chromosomen, die unser Bild von Mann und Frau ins Wanken bringen könnten (ob deshalb so wenig darüber berichtet wird?). In den nächsten Kolumne werde ich das mal aufgreifen.

Bei meinen drei Guppy-Männchen entwickelte es sich fatal. Nach etwa zwei Wochen erzählte mir mein Vater am Telefon, dass bei seinen Guppy-Weibchen plötzlich ein Männchen aufgetaucht sei, das sich vorher offenbar irgendwo versteckt hatte … na klar.
Jetzt gab es reichlich Nachwuchs im Aquarium meiner Eltern und meine Männchen wurden nicht mehr benötigt. Aber was soll’s … sind ja ganz hübsch, die Drei … ähm … Zehn … ähm … Zwanzig.

.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram