andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Freitag, 20. Juli 2007, 04:59
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vom Mannsein

“Suggerieren“ hört sich irgendwie süß an, “Generalisieren“ hingegen militärisch autoritär. Das sind beides Beispiele für Assoziationen, die allein durch den Klang eines Wortes hervorgerufen werden. Leider sind es auch Beispiele dafür, dass unsere Assoziationen oft völlig daneben liegen.
Aber noch schlimmer wird es, wenn diese beiden Begriffe im Lexikon nachgeschlagen werden. Da steht beim “Suggerieren“: jemandem etwas einreden – und beim “Generalisieren“: vereinfachen.
Doch so einfach ist der Begriff “Generalisieren“ gar nicht zu erklären; er ist ein Fachwort der Kartographen, der viel mehr beinhaltet. – Nehmen wir etwa eine Straßenkarte mit markanten Gebäuden … praktisch Alles hier ist generalisiert: die Straßen sind hervor gehoben (auch farblich), die Kirchen sind durch Symbole ersetzt, Schulen sind rote Rechtecke (die die wirkliche Form nicht einmal andeuten …), Berge existieren nur in Höhenlinien, Städte sind schwarze Scheibchen … ist das etwa vereinfacht? - Nein, hier sind bestimmte Teile besonders betont worden und andere wurden komplett ausgeklammert. Es ist eine Karte, die für den Nutzer passend gemacht wurde: Straßen sind viel dicker eingezeichnet, als sie in Wirklichkeit sind, Schulen und Kirchen sind viel auffälliger als im normalen Leben und “unwichtige“ Teile sind ausgeblendet. DAS ist mit “Generalisieren“ gemeint.
“Suggerieren“ hingegen … muss es immer ein Einreden sein? Ist es nicht oft genug keine bewusste Handlung von A an B, sondern etwas Anderes? Die Darstellung eines Sachverhaltes etwa? Die Art der Erklärung? Unsere Assoziationen, Vergleiche und Mutmaßungen, die ganz automatisch erfolgen?

Worauf ich hinaus will? – Das Generalisieren ist eine wundervolle Methode um für eine bestimmte Situation das richtige Werkzeug in die Hand zu bekommen. Doch in der falschen Situation … schon mal mit einer Autobahnkarte beim Wandern gewesen? Oder mit dem Shell-Atlas eine freie Tankstelle gesucht?
Generalisierung kann Wahrheiten suggerieren, taugt aber im Detail nicht einmal für’s Bierholen.

Was das mit dem Titel der Kolumne zu tun hat? – Nun …
Es gibt viele unterschiedliche Thesen zum Thema “Mann“. Die Einen sehen große Unterschiede zu den “Frauen“, die Anderen nicht. Männer können dies, Männer können jenes … die Erziehung macht den Unterschied, die Gene sind es … Nur EINES ist all diesen Thesen gemein: der Mann wird durch das y-Chromosom bestimmt.
Es zieht sich durch all diese Meinungen, Thesen und Theorien: der Mann IST das y-Chromosom. Alle Unterschiede, alle Besonderheiten, alle Fragen hängen an diesem kleinen Teil. Nur so kann eine leichte Panik aufkommen, weil das y-Chromosom scheinbar schrumpft und verkrüppelt. Nur so entsteht die Frage: ist der Mann in einigen tausend Jahren vielleicht Geschichte?

Generalisierung!

In der letzten Kolumne hatte ich über das seltsame Vermögen von Guppys gesprochen. Lustig … ja … aber auch sehr ernsthaft. Guppys gehören zu den “lebendgebärenden Zahnkarpfen“ und die sind für dogmatische Genetiker überaus heikel.
Schwerträger (Xiphophorus helleri) haben, zum Beispiel, kein erkennbares y-Chromosom … mehr noch: ihre gesamten geschlechtsspezifischen Gene sind über alle (sprich: ALLE) Chromosomen (= Genom) verteilt. Rein genetisch ist ihr Geschlecht also nicht zu bestimmen. Sie sind: polyfaktoriell.
Schwertplaty (Xiphophorus xiphidium) hingegen …Sie haben xx für die Frauen und xy für die Männer.
Der blaue Schwertträger (Xiphophorus alvaresi) … hier haben die Frauen zw (= xy) und die Männer zz (= xx).
Und zum Amüsement: der Amazonenkärpfling (poecilia formosa), auch ein lebendgebärender Zahnkarpfen, besteht nur aus Weibchen. Allerdings schaffen diese Mädels keine “normale“ Jungfernzeugung: sie brauchen die Männchen verwandter Arten als Samenspender. Nicht zur Befruchtung, wohl gemerkt, sie benötigen einige chemische Verbindungen in den Spermien, um sich klonen zu können. Das nennt sich wissenschaftlich “spermienabhängige Parthenogenese“, ist also auch bei anderen Tierarten nicht unbekannt. Etwas umgangssprachlicher könnte es als “Samenklau“ bezeichnet werden (ohne Besenkammer), wird aber Kleptospermie genannt, da es sich besser anhört.
Na ja … es sind ja “nur“ Fische ...

Bei den Ameisen entwickeln sich Weibchen aus befruchteten Eizellen, Männchen aus unbefruchteten. Dabei unterscheiden sich die “Arbeiterinnen“ nicht von den “Königinnen“, - einzig die Ernährung nach dem Schlüpfen bestimmt den Unterschied. Ein biochemischer Cocktail also und nicht das Fundament der Gene.
Ameisen sind nicht einmal Wirbeltiere? - Na gut … Und was ist mit Vögeln? – Kastrierte weibliche Vögel entwickeln ein männliches Gefieder, kastrierte männliche Vögel behalten ihre Färbung; die Kastration vermännlicht also (bei Säugetieren “verweiblicht“ sie). Das liegt an der Verteilung der Geschlechtschromosome, die mit Zz (auch zw genannt) die Weibchen bestimmen, wohingehend die ausgeglichene Verteilung zz bei den Männchen vorkommt. Die Kastrierung hemmt die Hormone, die durch Z (oder w, - bzw. y) ausgeschüttet werden.

Vermutlich interessiert das keine Socke … das Hauptproblem jeder Generalisierung. Genommen wird was gebraucht oder erwünscht wird. Wahrheit hat hier nichts zu suchen: es muss schön handlich sein und funktionieren!
Was aber bei (Knochen-) Fischen eindeutig ist: circa 90 % haben keine erkennbaren Unterschiede in den Geschlechtschromosomen (lichtmikroskopisch betrachtet) oder verzichten komplett auf Geschlechtschromosomen. Das bedeutet auf der anderen Seite: das Geschlecht wird nicht durch die Geburt bestimmt, sondern von äußeren Umständen (Temperatur, soziale Situation … vielleicht sogar: Bedarf).
Oder anders ausgedrückt: jedes dieser Lebewesen hat die genetischen Informationen für BEIDE Geschlechter in sich. Das relativiert praktisch alle Gender-Fragen in der Tierwelt.

Und was hat das mit dem menschlichen Mannsein zu tun? Immerhin haben fast alle Säugetiere die Regelung mit dem X- und dem Y-Chromosom, also die genetische Bestimmung der Geschlechter. Nichts spricht doch dagegen, dass das Einparkvermögen in den Genen verankert ist … oder?

Wie war das noch mit dem Suggerieren und dem Generalisieren?



Quellen und interessante Links:
 der Amazonaskärpfling
 Michael Miersch, die ZEIT
 Dunja K. Lamatsch, Dissertation
 Evolution und Struktur von Geschlechtschromosomen
 Karin Hollricher, Frankfurter Allgemeine Zeitung

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Sektfrühstück (41)
(19.07.07)
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Ropa (33)
(19.07.07)
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