andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 20. September 2007, 04:44
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Vorwärts!

Fortschritt ist eine feine Sache. Alles wird besser. Die neuen Computer können plötzlich mehr als die alten. Die Autos sind schneller und verbrauchen doch weniger Benzin. Die Musik kommt auf ein Mal aus einem Apparat, der sich hinter jeder Kaffeetasse verstecken kann (und nicht mehr aus schuhkartongroßen HiFi-Anlagen). Die Züge werden schneller, die Flugzeuge leiser, die Schiffe sauberer.
Fortschritt ist eine feine Sache. Er geht voran und ist nicht aufzuhalten. Schritt für Schritt, als würden wir einen Fuß vor den anderen setzen. Ganz logisch.

Soweit zu den (idealistischen) Vorstellungen zum technischen Fortschritt. Was aber ist mit dem gesellschaftlichen Fortschritt? Ist der auch ganz logisch? Ist die Richtung vorgegeben? Immer mehr, immer schneller, immer leistungsfähiger?
Vielen Menschen ist klar, dass technischer und kultureller Fortschritt miteinander zu tun haben. Sie bauen nicht unbedingt aufeinander auf, aber sie beeinflussen sich gewaltig. Könnte das heutige Internet mit den gesellschaftlichen Tabus existieren, die vor 200 Jahren herrschten? Hätten wir so viele Autos, wenn uns noch feudalistische Fesseln in der Gewalt hätten? Können wir uns unsere Kultur ohne all den technischen Schnickschnack vorstellen?
Allerdings wissen wir nicht, wie kultureller Fortschritt sich entwickelt.
Ist eine logische Kette? – Wohl kaum.
Ist es ein “zwei Stufen rauf, eine Stufe runter“? – Schon eher.
Ist es eine Pendelbewegung mit einem Hin und Her zwischen den Extremen? – Würde es sich dann nicht einpendeln und irgendwann still stehen?
Sind es Wellenbewegungen mit niedrigen und hohen Wellen, denen unterschiedlich tiefe Wellentäler folgen, es aber dennoch stetig voran geht?
Ist es ein Turm, der aus wahllos gegriffenen Bausteinen gebaut wird, und immer mal wieder einen Rückbau aus statischen Gründen benötigt?
Oder ist es ein Labyrinth voller Sackgassen, durch den es nur einen richtigen Weg gibt?

Vielleicht sollte auf die Mahner des Fortschritts geschaut werden:
Was fordert Eva Herrmann, wenn sie die Frauen zurück an den Herd schicken will? Was will die CSU erreichen, indem sie den Gotteslästerungs-Paragraphen verschärft? Was meinte Kardinal Meisner am 14. 9. 2007 mit: "Dort, wo die Kultur von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte“? Was sagen uns die Parolen von Oskar Lafontaine (nicht die seiner Frau …)? Was ist mit den (leisen) Protesten gegen den Abbau der Arbeitnehmerrechte? Was bedeutet “Kampf gegen die Pornografisierung unserer Gesellschaft“?
Mal weg von der misslungenen Wortwahl des Kardinals … Sind das Wege aus einer Sackgasse oder ein Rückbau, um danach sicherer weiter machen zu können? Die Auswirkung des Pendelverlaufs, der die falschen Entwicklungen des Fortschritts auszumerzen hilft? Oder sind das Rückschritte? Ein Versuch gar, einen amischen Weg zu gehen (siehe: amish people) und Kultur als statisch zu definieren?

Erst in fünfzig Jahren wird es eine einigermaßen harmonische wissenschaftliche Antwort geben. In hundert Jahren werden vielleicht Doktorarbeiten dazu geschrieben (in Holzhütten im Schein des Kaminfeuers?) und die bis dahin geltende Meinung gekippt. Noch einmal fünfzig Jahre später wird die etablierte Ansicht durch neue Erkenntnisse angegriffen … So zumindest geht es seit Jahrhunderten beim Thema kultureller und technischer Fortschritt zu.
Können wir daraus etwas lernen?



 Kardinal Meisners Rede

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