andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 26. September 2007, 17:18
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am Wickel

Bei dem Thema “kulturelle Entwicklung des Menschen“ prallen grundsätzliche Meinungen aufeinander. Populär ist immer noch die These, dass der Aufwand zur Lebenserhaltung eine große Rolle spielt: solange alle Menschen den größten Teil des Tages für Nahrung oder gegen den Erfrierungstod aufwenden müssen, kann es keine Entwicklung geben (weil es schon genug Mühe macht den Status quo zu halten). Daraus ließe sich folgern, dass Freizeit für die Weiterentwicklung nötig ist – oder aber, dass genügend Überschuss da sein muss, um eine Kaste aus Kulturschaffenden zu unterhalten.
Ab hier wird es dann schwierig, denn: was bedeutet “Entwicklung“? Zeigt der Wortsinn nicht darauf, dass etwas Gewickeltes geordnet wird? - Wir kennen “einwickeln“, “auswickeln“, “wickeln“, “verwickeln“ … verbinden mit “entwickeln“ aber mehr als “auspacken und glatt streichen“. Es ist auch wachsen, entfalten, erweitern und neu schaffen. Es scheint uns ein natürlicher Prozess zu sein, der Höheres erreichen soll. Ja, oft wird sogar eine Art Plan dahinter vermutet.
Und schon kommt das Göttliche ins Spiel …

Zugegeben: es ist eine schöne Vorstellung, dass Menschen im Grunde ihres Wesens nach Höherem streben. Dabei ist es fast wurscht, ob da ein göttlicher Wille oder ein natürlicher Plan hinter steht; selbst ein logischer Weiterbau ist tröstlich.
Aber woran könnte gesehen werden, dass die Entwicklung nach solchen Regeln funktioniert? Technische Entwicklungen bauen eh aufeinander auf und folgen der Nachfrage. Kulturelle Entwicklungen sind immer erst im Rückblick vieler Jahrzehnte zu beurteilen. Können wir die Motive schon jetzt erkennen? Vielleicht an der Nachfrage, die die technische Entwicklung in gewisse Bahnen lenkt?
Warum also entwickelt sich die Technik so wie jetzt? – Automobile, Internet, Automatisierung, Häuserbau, Nahrungsmittelanbau, Industrie, Medizin … Schlagwörter tauchen auf: “Energie sparen“, “Arbeitsschutz“, “Freiheit“, “Lebensqualität“, “höhere Produktivität“, “erfülltes Leben“, “längere Lebenszeit“; - das gilt Alles natürlich nur für unsere Breiten, aber egal.
Gut, gut … das liest sich prima. Leider werden die Autos aber nicht nur sicherer und energiesparender, sondern vor allen Dingen größer und schneller. Häuser werden größer und luxuriöser - und nicht nur wärmeisolierter und sparsamer. Automatisierung kostet längst nicht mehr ausschließlich schmutzige und gefährliche Arbeitsplätze. Medizin wird immer teurer und schafft oft nur noch eine quälende Lebensverlängerung. Und das Internet?

Nun … bei den Autos scheint es sehr stark um Selbstdarstellung und Status zu gehen. Ebenso bei den Arbeitsplätzen und Häusern.
Da wirken Freiheit, Entwicklung und Sicherheit als Motive etwas schwächelnd. Viel eher entdecken wir: Nestbau, bessere Partnerauswahl, reichhaltigere Ernährung und das pure Empfindung von Freiheit, Sicherheit und Macht. – Das sieht nicht nach “höherem Ziel“ aus, oder?
Zum Thema Internet wurde jetzt herausgefunden, dass es eine sehr entscheidende Triebfeder gibt, die die Entwicklung besonders voran bringt. Ohne sie gäbe es nicht so gute Bildbearbeitungsprogramme, nicht so ruckelfreie Videos, nicht so leistungsfähige Rechner, nicht so große Festplatten und nicht die große Verbreitung des Computers.
Denkt jemand an Computerspiele? – Nicht ganz richtig. Es geht um Sex – oder Pornographie, um genau zu sein. 42,7 % der Surfer nutzen pornographische Seiten und 5 Milliarden US-Dollar wurden damit im online-Bereich umgesetzt (das ist viel Geld für die virtuelle Welt). 12 % der Internet-Seiten dienen diesem Zweck und treiben (in mehrfacher Hinsicht) das Internet voran. Dann erst kommen die Homepages, Partnerbörsen, Kennenlern-Seiten, Kommunikation, Reise-Informationen, Gesundheits-Seiten, Job-Suchen und was es sonst noch gibt.

Entwicklung zu höheren Zielen? Oder wird da etwas mit höheren Zielen so lange eingewickelt bis wir daran glauben?




 Focus: Technikvorsprung durch Porno

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wupperzeit (58)
(28.09.07)
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