andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 04. Oktober 2007, 05:11
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Zahlen, bitte.

Den Begriff “Barcode“ assoziieren die meisten Deutschen direkt mit Geld. Eine logische Verbindung, haben diese seltsamen Striche doch ihre Hauptaufgabe an der Kasse. Es macht einmal “piep“ und etwas später finden wir die Ware ordentlich auf dem Kassenbon.
Zwischen dem “Piep“ und dem Kassenbon steht natürlich die Bezahlung. Was liegt da näher, als an Barzahlung oder Barscheck zu denken? – Besonders, wenn es vorher “pieeeep“ gemacht hat, oder “pock“, was die Dame (oder den Herrn) an der Kasse zum Eintippen der Zahlenkombination zwingt (oder zu einem lauten „Frau Meier bitte zur Kasse 3“) und oft dazu führt, dass die Holzfällersteaks auf dem Kassenbon unter “div. Gemüse“ auftauchen (nein, das ist keine erlaubte Form der vegetarischen Ernährung!).
Auch das völlige Verweigern eines Signals kommt bei den Scannern vor … und die Liste an diversem Gemüse wächst und wächst.
Den Kunden sind solche kleinen Fehler ziemlich egal, solange sie nachher nicht mit jemandem den Bon durchgehen müssen. Erklärungen wie: „Dieses Gemüse ist der Rasierapparat und dieses Gemüse ist der Rotwein“ klingen nicht sehr schön.
Aber das Problem haben auch die Geschäfte, denn der Barcode dient nicht nur dem leichteren Abkassieren (und damit dem Schlechterbezahlen der Leute an der Kasse), sondern auch der Jahresabrechnung. Einkauf und Verkauf werden mit dem Bestand verrechnet … und schon wird klar, dass im vergangenen Jahr sehr viele Holzfällersteaks und Rasierapparate geklaut wurden.

In Deutschland ist der Name “Strichcode“ verbreitet (vermutlich sogar “Strich-Dings“), manche sagen auch EAN-, Waren- oder Scanner-Code, doch international heißt es Barcode. Und nein: es geht auch nicht auf geheime Zeichen in Kneipen oder auf Unbekleidetes zurück Nichts mit Barhockern, barfüßig, Bariton, Barrakuda oder Barbiturat. “Bar“ ist einfach nur auf das englische Wort für “Balken“ (womit die Herkunft der Getränke-Bar auch geklärt sein dürfte).

Der Kanadier Paul Herbert verwendet “Barcode“ in einer neuen Bedeutung und darum ist es wichtig, die fehlende Verbindung des Wortes mit Geld und Kassen zu klären. Denn jetzt geht es um Forschung – und die hat ja bekanntlich nichts mit Geld am Hut.
Paul Herbert will die Lebewesen der Erde mit Hilfe eines Barcodes erfassen. So salopp bezeichnet er zumindest seine zukünftige Arbeit, die in relativ kurzer Zeit die Biologie revolutionieren soll.
Ohne lange auszuholen (ich weiß ja, dass Worte wie “Mitochondrien“ und “Cytochrom-c-Oxidase 1“ die Attraktivität eines behaarten Handrückens haben): Paul Herbert will durch die Vergleiche eines einzigen Gens eine Datenbank aller Tierarten erstellen. Ein Mammutprojekt, an dem bisher schon viele Wissenschaftler gescheitert sind.
Aber dieses Projekt soll noch weitaus mehr bringen: die Reduzierung auf ein einziges Gen könnte die Artbestimmung extrem vereinfachen. Denkbar ist etwa ein Gerät, das anhand weniger Spuren (Zellen, Hautfetzen u.a. – kennt man doch von CSI …) sofort die Art bestimmen kann – oder, wenn die Datenbank “pieeeep“ macht, eine bisher unbekannte Art erkennt. – Hier fiele das Eintippen unter “diverses Gemüse“ dann weg.
Im Grunde plant Paul Herbert eine Inventur der Tierwelt aufgrund eines einzigen Gens, das alle Tiere haben, das aber von Art zu Art unterschiedlich ist. Wobei nicht die Individuen unterschieden werden: es ist also keine biometrische Erkennung in Richtung Fingerabdruck und Augenabstand.

Die Probleme redet Paul Herbert schön. Nah verwandte Arten? Zufällige Gleichheiten? Arten, die jünger als eine Million Jahre sind? Hochrechnung von kleinen Datenmengen zu großen Wahrheiten? – Die Vorteile sind viel zu verlockend: einfache Bedienung, schnelle Ergebnisse, großer Wirkungskreis, überschaubare Zeiten bis zur Fertigstellung, minimierte Datenmengen, der geringe Platzbedarf von “der Barcode von Paul Herbert“ in den Schul- und Geschichtsbüchern …
Vielleicht gibt es auch irgendwann Geräte in der Größe eines Handys, mit denen Zöllner Schmuggeltiere erkennen können und Hobbybiologen auf die Arten-Jagd gehen.
Und außerdem: die Fachleute werden natürlich immer wissen, was sie von den Daten halten können. Klar. So wie bei der Pisa-Studie, Umfrageergebnissen in Fußgängerzonen und Konsorten, da richtet sich ja auch niemand nach … Blubb.

Was Paul Herbert für seinen Barcode noch fehlt? Na? – Was wohl?
Zur Zeit tingelt er durch die Welt und sammelt: Geld.
“piep“, “piep“, “piep“ … “pieeeep“

„Frau Meier?“
„Tipp es unter “Gemüse“ ein!“



Quelle: Marco Evers: “Katalog des Lebens“ in: DER SPIEGEL 40/2007, S. 166 - 168
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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 IngeWrobel (04.10.07)
...ja, mit Interesse + Schmunzeln gelesen!
Grüßle!
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