andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 31. Oktober 2007, 12:31
(bisher 1.273x aufgerufen)

es ist echt ein Kreuz

Manchmal ist es wirklich schade, dass schöne alte Wörter nicht mehr benutzt werden und somit aus dem Bewusstsein verschwinden. Besonders dann, wenn der beschriebene (und nicht notwendigerweise auch schöne) Sachverhalt nicht das gleiche Schicksal erlitten hat.
Nehmen wir etwa “bigott“. – Na? Wer hat jetzt zum Duden gegriffen oder auf google oder Wikipedia geklickt?
Ich will es mal einfach machen und einige Synonyme aufzählen: scheinheilig, heuchlerisch, blindgläubig, mit zweierlei Maß messend, vorurteilsvoll, frömmelnd … - Leider trifft nichts davon die volle Bedeutung und darum ist der Griff oder Klick zum Lexikon vielleicht gar nicht so falsch.

Ich warte dann mal ein paar Minuten …





Fertig?

Ach! – Jetzt hast Du einen interessanten Link gefunden, dem Du noch unbedingt folgen willst? Und Du willst noch schnell einen Kaffee kochen? Und Du da hinten möchtest Dir ein Schnittchen schmieren?
Klar … ja sicher … Natürlich kannst Du auch noch aufs Klo gehen …

Jetzt aber.
Nachdem jetzt alle wieder vergessen haben, was sie gerade nachgeschlagen hatten (Schmeckt’s noch?) …
die Kurzfassung: ein Mensch ist dann bigott, wenn zu einem fanatisch frömmelnden Gehabe noch Selbstgerechtigkeit und tendenziöses Moralisieren kommt; sprich: das von Anderen geforderte moralische Verhalten wird selber nicht eingehalten.
Es gibt kein anderes hübsches und kurzes Wort für den oben beschriebenen Menschentyp. Dabei vermehrt der sich gerade rasant.

Ja. Auch hier bei keinVerlag.
“Frömmelnd“ muss nicht auf eine Religion gemünzt sein. So kann auch derjenige bigott genannt werden, der lauthals die fehlende Freundlichkeit im Umgang beklagt, aber selber die große Keule herausholt, wenn er sich angegriffen fühlt. Oder jemand, der strikt auf sein geistiges Eigentum beharrt, sich dann aber beim Allgemeingut bedient (getreu dem Motto: „… gehört ja keinem, dann kann ich auch meinen Namen draufsetzen.“).
Das Fatale an der Bigotterie ist, dass sie zutiefst menschlich ist: je stärker wir uns für eine Idee begeistern, desto schneller nähern wir uns dem Bigotten. Es passt so schön zu unserem Schwarz-Weiß-Denken und der Hollywood-Botschaft, dass der Gute nur Gutes tut, selbst wenn der Weg bedenklich ist.

Als Abschluss ein Beispiel aus dem Netz, in dem sich die – vom Selbstverständnis her – katholische Internetplattform “kreuz.net“ darüber beklagt, dass Wikipedia alle Links zu ihrer Seite verweigert. Selbstverständlich fallen Begriffe wie “freie Meinungsäußerung“ und “Zensur“, wie es in solchen Fällen ein Naturgesetz zu sein scheint. Aber auch Religions-Rassismus und eine Verschwörung gegen (gefühlte) katholische Werte werden den Betreibern von Wikipedia unterstellt. Und dann das:

… Die deutschsprachige Version der Internet-Enzyklopädie ‘Wikipedia’, die für ihre homo-ideologischen Vorurteile bekannt ist, nennt das Sodomistenportal* das „größte deutschsprachige Chat- und Kontaktportal für schwule, bisexuelle und transsexuelle Männer“. …

(aus: „Homo-Hölle unterstützt Klosterfrauen“ vom 25. 10. 2007 auf  http://www.kreuz.net/article.6080.html )

(* bei kreuz.net wird Sodomie in einer sehr eigenen Bedeutung verwendet, nämlich als Synonym für die männliche Homosexualität. Die beleidigende Komponente wird schlicht geleugnet, ja, sogar der historische Bedeutungswandel (= alles “Unzüchtige“ -> Tiere) wird als falsch bezeichnet. – Zumindest die Lesben können sich beruhigt zurück lehnen: sie sind ja nicht gemeint!)

Gäbe es das Wort “bigott“ nicht, es müsste erfunden werden.




aus dem Impressum von „kreuz.net“: ‘kreuz.net’ ist die Initiative einer internationalen privaten Gruppe von Katholiken in Europa und Übersee, die hauptberuflich im kirchlichen Dienst tätig sind. ‘kreuz.net’ akzeptiert ohne Namen eingereichte Informationen und betrachtet es als Ehrensache, die strikte Anonymität seiner Informanten zu wahren.

.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 SimpleSteffi (01.11.07)
Eine Schande, dass die Kirche, welcher Konfesion auch immer, nicht genauer hinschaut, wer in ihrem Namen deratige Publikationen ausstellt. Noch schlimmer: in ihrem Zeichen, dem Zeichen, das soviel beinhaltet... hab mich grade mal durch die genannte Seite gearbeitet, einige kritische Begriffe gesucht... tahdah. Aber wirklich überrascht hat´s mich nicht.
Gelungene Kolumne!
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram