andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 27. Dezember 2007, 05:38
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O Du fröhliche …

Auf die zentrale Frage „Wer bin ich?“ hat wohl noch niemand eine befriedigende Lösung gefunden. Sicher, jeder weiß, dass er einmalig ist und etwas Besonderes, aber es ist schwierig es zu beschreiben. Mit einem „Ich bin …“ stolpern die Meisten darum nur auf Gemeinplätzen herum, die so austauschbar wie Pflastersteine sind.
Eine unerquickliche Situation.

Frustrierend ist auch, dass das da auch nur ist ein dumpfes Empfinden der Individualität eines Gegenübers ist. Selbst bei Freunden ist es oft nicht mehr als ein Wust an Erinnerungen von Begebenheiten, von Beispielen. Wir verstecken es in “Titeln“, die den gesamten Inhalt transportieren sollen. So sagen wir „Mutti“ oder „mein bester Freund“ und bilden uns ein, dass die Anderen schon wissen, was gemeint ist.
Die Veränderungen blenden wir aus. Am Weihnachtsbaum sitzen wir und denken nach (eines der Hauptprobleme von Weihnachten: kaum werden wir besinnlich, schon kommt uns einiges in den Sinn). Erinnerungen aus der Kinderzeit fluten das Gehirn, Episoden am Weihnachtsbaum marschieren vorbei. Der immer andere – und dennoch gleiche – Nadelbaum wird zum Lesezeichen der Zeit.
Wer bin ich? – Ein Wesen, das ständig im Wandel ist und nur wenige (bis gar keine) Fixpunkte hat? Ein Wesen mit einer Persönlichkeit, die weder unabänderlich, noch selbstbestimmt ist? Bin ich auch das Kind von damals? Ist es ein Teil von mir? Bin ich ein anderer Mensch geworden? Zeigt mir jedes Weihnachtsfest einen anderen Menschen oder die Stufe einer Entwicklung?
Und die Zukunft? Da ist die Aussicht auf das Altsein am Beispiel anderer: Menschen, die alt geworden sind, die geistig abgebaut haben, die alles vergessen, die nicht mehr sie selbst sind. Nur noch leere Hüllen oder Schattenbilder eines früheren Selbst. Oder ist es einfach der normale Wandel?
Wir sehen auch Menschen, die sich durch Medikamente verändern. Bei denen durch bestimmte Mittel Wesenszüge, Verhalten und Stimmungen – ja sogar die Persönlichkeit – an- und ausgeschaltet werden können. Selbst schwangere Frauen (und “schwangere“ Männer) kennen das, wenn die Hormone ihnen die Hobbys nehmen und ihre Interessen einschmelzen.
Wer bin ich? – Eine Marionette von Hormonen, Synapsen und Chemikalien?

Einige Menschen verweigern schon die Frage, weil sie “für Menschen zu groß ist“. Nur eine höhere Macht kann das; kann die paradoxen Antworten ausfiltern (wenn ich mich ständig verändere, welche meiner Persönlichkeiten lebt dann ewig?), kann alles aussortieren, was nicht zum “Ich“ gehört und kann die “Speicherverluste“ ausgleichen (gibt es eine göttliche Sicherungskopie für meine verlorenen Erinnerungen?).
Manch einer steigert sich da so hinein, dass die Erforschung des Höheren zum Lebensinhalt wird. Von oben ist die Antwort doch zu sehen, also muss man sich nur nach oben begeben …
Die meisten Menschen verdrängen die Frage jedoch und flüchten auch für sich selber in die “Titel“, - in das “ich bin was ich mache“, in ihre Funktion. Sie betätigen sich künstlerisch, stürzen sich in die Arbeit, suchen im Sport Erschöpfung und Vergessen, konzentrieren sich auf Hobbys und/oder Kinder (Familie, Freunde, Partner …) oder finden an anderer Stelle Ablenkung.
Urdeutsch ist dabei die Arbeit als Lebensinhalt: „Ich bin … (hier bitte den Beruf eintragen)“. So steht in einer (nicht näher benannten) süddeutschen Zeitung bei den Todesanzeigen: “… im Alter von 84 Jahren verstarb der Tischlermeister Hermann Müller …“, “… im Alter von 87 Jahren verstarb die Sekretärin Gertrud Hinz …“, “… plötzlich und unerwartet verstarb heute im Alter von 97 Jahren der Oberpostmeister Albert Kunz …“. – Sogar auf den Grabsteinen mancher Friedhöfe findet man solch einen Eintrag. Er pappt dem Toten als Identifikationshilfe unter dem Namen … wie vorher der kleine Zettel am großen Zeh.

Albert Kunz war … ist das nicht traurig?
Aber für die Toten gilt zumindest der letzte Beruf, ob er jetzt seit 30 Jahren nicht mehr ausgeübt wurde oder nicht. Egal, ob es eine Pensionsbeförderung war, Herr Kunz sich also nur für einige Tage wie ein Oberpostmeister fühlen durfte und danach wie ein Rentner. In die Warteschlangen vor Petrus kann er sich richtig einordnen. Wir haben einen “Titel“ für ihn.
Für die Lebenden gilt nur die aktuelle Beschäftigung, nachdem die so wenig charakterisierenden Felder “Name“, “Anschrift“, “Geschlecht“ und “Alter“ abgehakt sind. Persönlichkeit? Individualität? – Nein, das lässt sich nicht so einfach in ein Wort packen. Bleiben wir lieber beim: „Was bist Du?“
Du bist … arbeitslos? – Arme Sau.

Nimm noch ein Stück vom Stollen und dann zieh das Weihnachtskostüm an.


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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Isaban (20.12.07)
O wie bitter.
Erfassen kann man den Einzelnen auf diese Weise sowieso nicht, ob nun mit - oder ohne Berufsbezeichnung. Man definiert sich ja nicht nur durch Beruf und Familienstand, die Menschen nutzen solche Aussagen nur als Anhaltspunkt, um sich ein (verschwommenes) Bild machen zu können, ein Bild, das einem Menschen auf keinen Fall gerecht werden kann.

Liebe Grüße,
Sabine
wupperzeit (58)
(21.12.07)
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 Bergmann (24.12.07)
Viel zu viel Gedöns um Weihnachten!
Trotzdem: Ich wünsch dir liebe Geschenke und ein gutes neues Jahr!
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