andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 18. September 2008, 00:20
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Buch oder Computer?

In diesem Jahr hörte ich häufig, dass Bücher nicht mehr zeitgemäß sind. So sollen sie unpraktisch, zu schwer und zu unhandlich sein. Und sie nehmen viel zu viel Platz weg. Im Computerzeitalter, wo selbst die CD und die DVD verdrängt werden, ist der geeignete Platz für Bücher: das Museum.

Okay, mit Bibliotheken können die meisten dieser Kritiker vorerst noch leben. Immerhin sollen in den Schulen Bücher benutzt werden, denn da können die Kinder nicht ganz so viel kaputt machen und billiger als ein Laptop sind sie auch (noch). Aber ansonsten taugen Bücher nur als Staubfänger.
Zuletzt kam diese Bemerkung von einer (mehr oder weniger) jungen Dame, die ich noch vor vielen Jahren wegen ihrer “Bibliothek“ aus vier Büchern kritisiert hatte (ein dreibändiger Duden aus ihrer Schulzeit und ein Ratgeber zu Steuerfragen) und die es mir wohl heim zahlen wollte, dass ich nicht ganz unschuldig daran bin, dass sich ihre Büchersammlung aufgebläht hat. So kam ein Kochbuch hinzu (noch unbenutzt) und ein Ratgeber über “gutes Benehmen“ aus den Sechzigern, der seit seinem Besitzerwechsel nur beim Umzug in die Hand genommen wurde. Allerdings kann ich nichts für die sieben Bücher zum Thema Kindererziehung und “Ist Mama nicht die Beste“, die diesen Hort der Literatur mehr als verdoppelt haben.
Wie mir glaubhaft versichert wurde, sind alle Informationen heutzutage aus dem Internet zu bekommen: schnell, sicher, aktuell und in großer Menge. Bücher hingegen sind schon beim Druck veraltet und stehen nach dem Lesen eh nur noch herum.
Dem Kritikpunkt “Platz wegnehmen“ konnte ich problemlos Paroli bieten. Geschmack ist bei Einrichtungsfragen ziemlich unangreifbar und wenn ich bedenke, was manche Leute so in ihren Schränken stehen haben …
Beim “Gewicht“ war es nicht einfach den altbekannten und abgenudelten Spruch “so ist es halt mit schwerer Literatur“ auszuklammern und nicht darauf hinzuweisen, dass besagte Dame sich an meinen Buchtransporten höchstens verbal beteiligt hat. Doch umschiffte ich diese Klippen glücklich, indem ich anmerkte, dass Bücher auch verteilt gestellt werden könnten, da sie nicht mit Kabeln miteinander verbunden werden müssen oder eine erreichbare Steckdose bräuchten.
“Unhandlich“ wischte ich als Vorwurf leicht vom Tisch. Immerhin gibt es wenige Dinge, die so handlich wie Bücher sind: kein Bedienungshandbuch, keine blinkenden Akkuladeanzeigen, kein “windows hat ein Problem festgestellt und muss beendet werden“, keine Serverprobleme …
Nur mit dem “unpraktisch“ konnte ich wenig anfangen. „Bücher sind halt zum lesen da,“ stammelt ich mir zurecht und kam in meiner Not nicht über ein: „mit dem Computer hämmerst Du auch keine Nägel in die Wand“, hinaus.

Schade, denn jetzt könnte ich den unfassbar praktischen Nutzen von Büchern mit einem guten Beispiel belegen. Denn: was macht man/frau, wenn ein Hänge-Regal an die Wand soll, aber für die gewünschte Höhe weder ein höhenverstellbarer Bock, noch zitterfreie zwei bis vier weitere Hände zur Verfügung stehen? Immerhin muss zuerst angepasst und aus einigen Metern Entfernung die Position kontrolliert werden (wer will schon ein schiefes Regal?). Dann kommt das Regal auf den Boden zurück und die Befestigung wird angeschraubt. Danach muss das Ganze wieder hoch, um die Markierungen für die Dübel an die Wand zu zeichnen. Woraufhin dann wieder Platz für die Bohrmaschine gemacht werden muss.
Zumindest zwei Mal sollte so ein Regal hin und her bewegt werden. Ohne einen Bock mit Verstellschraube ist das kaum zu machen. Da hilft auch ein PC nicht weiter: zwei Zentimeter weiter hoch, damit das Brett in einer Flucht zum Schrank liegt; rechts noch ein kleines Bisschen runter …
Die ganze Geschichte kann nicht frei schwebend aus der Hand funktionieren: Es braucht einen festen Stand auf einer Höhe, die sich variabel einstellen lässt und wieder zu finden ist. Auch nachdem die Konstruktion entfernt wurde, damit die Bohrlöcher exakt gesetzt werden können - und auch am nächsten Tag noch, weil bei dem ganzen Zauber festgestellt wurde, dass noch etwas nachgepinselt werden muss.
Flexibel soll es sein. Eine Kommode oder ein Stuhl mögen als Grundlage dienen. Und dann?

Nun … mein Regal hängt jetzt vier Herder (Auflage 1956, Band 6 – 9), eine Enzyklopädie der Mythologien (klassisch, nordisch, keltisch / 1999) und ein Lehrbuch der physischen Geographie (H. Deutsch, 1987) hoch (über Stuhlniveau) an der Wand. Das nenne ich:
erstens: sehr praktisch
zweitens: jederzeit wiederholbar
und drittens: ein Beispiel für die Kompatibilität von Hardware unterschiedlicher Baureihen

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 AlmaMarieSchneider (18.09.08)
Also ich mag Bücher, gerade weil sie praktisch sind. Ich kann mich mit ihnen so schön in meine Sofaecke knuddeln. Sie sind handlich im Fluggepäck als "genehmigter" Reisebegleiter mitzuführen und beim Fußballspiel als heimliches Vergnügen sind sie auch toll.
Verirrt man sich bei einer Wanderung, wirds abends trotzdem schön warm und als Unterlage und Schrankdeko für den gebildeten Anschein unschlagbar. Was soll mir da der Computer bieten? Der streikt bei Stromausfall und irgendwie halten die CD's auch keine 100 Jahre.
Wer erbt oder vererbt nicht gerne eine Bibliothek?
Der Computer ist zweckmäßig, wird gebraucht aber erben mag ich keinen alten Kasten und die CD's dazu auch nicht. Programme sind leider nicht immer Rückwärtskompatibel.
Mein voting : Eindeutig BUCH!
LG
Alma Marie

 BrigitteG (18.09.08)
Der Schluss mit der Pointe gefällt mir wirklich gut :). Und die mehr oder weniger junge Dame hat meiner Erinnerung nach auch das Buch "Salz auf unserer Haut" - also hast Du eines unterschlagen *g*. Liebe Grüße!

 Theseusel (18.09.08)
Bibliophilie läßt W-Lan zur "Wort-Leine" werden werden ohne Admin sein zu müssen... nur Heimwerker!°*ggg*

Gerade läuft auf 3sat ein Interview mit einem Schriftsteller über das ebook (Kindl???)! Er klagt über Nackenschmerzen;) Die hat er nicht vom Regal aufhängen... arbeitest Du auch für die Buch-Loby?
wortverdreher (36)
(18.09.08)
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wupperzeit (58)
(20.09.08)
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