andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 31. Dezember 2008, 15:14
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Vor Ort zum Vorort

Eine Kolumne zum 1. Januar! – Hui, das hatte ich noch nicht.

Und ganz ehrlich: gewünscht habe ich es mir bestimmt nicht.
Was soll man schon schreiben? – Die klassischen Themen sind durch, schon lange.

Selbst wenn ich einen pfiffigen Aufhänger fände (wie etwa die letzte kV-Kolumnistin 2008), so träfe ich doch eh nur auf einen Haufen unausgeschlafener, verkaterter oder anderweitig abgelenkter Menschen (etwa mit einer leichten Taubheit in den Ohren oder dem dumpfen Gefühl, dass der eine oder andere Vorsatz fürs neue Jahr vorschnell getroffen wurde). Denn Sylvester lässt sich in Deutschland niemand entgehen.
Weihnachten, klar, da gibt es schon so manchen Verweigerer. Aber das Jahresende ist von einem ganz anderen Kaliber: es ist eine logische Tradition und es ist nicht künstlich auf einen Termin gedrückt, denn Zahlen lügen ja bekanntlich nicht. Auch ist es kein religiös festgesetzter Termin, die christliche Kirche hat das Kirchenjahr und somit muss Sylvester ein säkulares Fest sein. Immerhin ist es im weltlichen Kalender, direkt vor Ort, nicht wahr?
“Vor Ort“ ist ja auch so ein logischer und eindeutiger Begriff, der keinen anderen Schluss zulässt. Ein Ort ist ja nur im übertragenen Sinn eine Wohnsiedlung, eigentlich bezeichnet es eine klar umrissene Stelle im geometrischen Sinn, hat also auch mit Zahlen zu tun und muss darum logisch sein.
Tja … beim “vor Ort“ zumindest trügt das Gefühl gewaltig. Schon mal von einem Ortgang oder einem Ortband gehört? Beides bezieht sich schon auf eine Stelle, meint aber eine klar definierte Position: die Spitze. Und “vor Ort“ geht ursprünglich sogar noch weiter, denn damit war die vorderste Frontlinie im Krieg gemeint: direkt vor den Schwertern. Denn die Schwertspitze heißt Ort. – Wer also “vor Ort“ ist, ist wirklich im Zentrum des Geschehens (was von einem Vorort nicht gesagt werden kann).

Das ist natürlich kein passendes Thema für den Einstieg ins Jahr 2009. Mit Krieg und Gewalt wollen wir nichts am Hut haben und beschränken uns lieber auf den friedlichen und weltlichen Kalender. Begründet übrigens von Papst Gregor XIII., der auch Namensgeber wurde und den letzten Tag des Jahres auf den Todestag des Papstes Sylvester I. festlegte. Sehr weltlich also … klar.
Aber ist es nicht immer wieder so, dass wir feststellen, dass etwas nicht ganz so ist, wie wir uns das immer gedacht haben? Letztlich schaffen wir uns doch unsere eigene Realität, erfinden Zahlen, machen die Kalender selber, sind friedlich vor Ort und feiern fröhlich mit Schwarzpulver. Es kommt halt darauf an, was wir daraus machen, also darauf, was wir zwischen den Zeilen lesen wollen.
Apropos „zwischen den Zeilen lesen“ … wo kommt das eigentlich her? – Auf jeden Fall nicht von den Buchstaben, Wörtern und Sätzen alleine. Vielmehr bezieht sich das Wortspiel hinter dieser Redewendung auf die Pflanz-Zeilen auf den Äckern (Zeile = Reihe, Linie) und das Lesen auf die noch heute gängige Bezeichnung für das Sammeln (bzw.: Ernteeinbringen). So ist das „Lesen zwischen den Zeilen“ vielleicht zuerst verwendet worden, um eine Zwischen- oder Nachernte zu bezeichnen oder die gründliche Suche nach Früchten außerhalb der gepflanzten Reihen (etwa bei Kartoffeln oder anderem Unterirdischen – wobei sich aus Letzterem sicherlich eine hübsche Anspielung auf unsere Plattform basteln ließe *räusper* ).
“Früchte dort suchen, wo sie nicht gepflanzt wurden“ trifft zwar nicht die Bedeutung, die viele Menschen heute in dieser Redewendung sehen, doch trifft sie auf Literatur manchmal viel besser als diese Suche nach angeblich bewusst versteckten Hinweisen, die wir im Deutschunterricht eingeprügelt bekommen.
Apropos “Einprügeln“ … ähm … Ein anderes Mal, – vielleicht.


Im dem Sinne:
Lesen Sie auch nach Sylvester vor Ort.

Alles Gute bis dahin … und danach.




A.G.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wupperzeit (58)
(01.01.09)
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