andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 05. Februar 2009, 03:33
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religiöse Erbschaften

Manchmal wird man von aktuellen Ereignissen eingeholt. Das ist auf der einen Seite schön (etwa, weil es aus dem Trott reißt), auf der anderen Seite stört es die eigenen Pläne. Darum mag ich jetzt gar nicht mit politischen Begriffen fortfahren, denn Richard Williamson ist inzwischen Tagesgespräch.
Richard Williamson ist kein Moderator und auch kein Schnulzensänger, falls das jemandem gerade in den Sinn kommen sollte. Er ist ein katholischer Bischof – oder war es zumindest, bis ihn die Exkommunikation traf.
Aber das gilt seit dem 21. Januar nicht mehr, denn Papst Benedikt erklärte, dass Richard Williamson wieder in den Schoß der katholischen Kirche zurückkehren dürfe. – Dagegen ist selbst die Ernennung von Gerhard Wagner zum Weihbischof von Linz ein kleines Ausrutscherchen. Immerhin hat Gerhard Wagner “nur“ den die Harry-Potter-Romane als Satanismus bezeichnet und den Hurrikan Katrina als Gottesstrafe …

Richard Williamson hingegen … ja, der geht richtig ans Eingemachte. Nach seiner Meinung sollen Frauen ihren festen (und angestammten) Platz einnehmen und Homosexuelle … (na ja, das kennt man ja) – Aber richtig daneben hat er sich zum Thema Holocaust benommen: den hat es, seiner Meinung nach, gar nicht gegeben.
Na super. Da ist dem Vatikan und dem Papst ein guter Fang geglückt: die Presse spielt verrückt und selbst Politiker mischen sich ein. Und wie reagiert der Vatikan? – Beschwichtigend natürlich: Richard Williamson solle erklären, dass er das nicht so gemeint hätte … dann wäre alles im Lot.
Und was ist mit seinen Äußerungen gegen Juden und Moslems? Diese alte Hetze, dass die Juden und die Moslems die Weltherrschaft wollten?

Die Aufhebung der Exkommunikation von Richard Williamson fand im Zuge der Annäherung an die Pius-Bruderschaft statt. Dieser erzkonservative Seitenzweig bekam gleich vier Bischöfe zurück, nicht nur Herrn Williamson. Da zeichnet sich nicht nur vage die Richtung ab, in die die katholische Kirche gehen will.
Fundamentalismus wird das heute gerne genannt, eine Benennung, die ziemlich sachlich und beschönigend wirkt. Egal, ob bei Christen, Juden oder Moslems. Und schon sind wir wieder bei den Begrifflichkeiten ...

Fundamentalismus, vom lateinischen fundamen, fundamentum, was Grund oder Grundlage heißt. Ein Fundamentalist bezieht sich also auf die Grundlage, auf das Fundament eines Glaubens. – Stellt sich da nicht automatisch die Frage, ob das nicht eine extreme Fehlbenennung ist? Immerhin geht es ja nicht um eine wortgetreue Übernahme aller Glaubenssätze, sondern in jedem Fall um eine Interpretation und Auswahl von Textstellen. Anders sind so alte Texte auch gar nicht zu verstehen: sie sind mehrfach übersetzt worden (und schon dadurch verfälscht), sie entstanden in einer uns fremden Zeit, Kultur und politischen Situation (über Demokratie munkelte man damals allenfalls), sie sind zusammen gesammelt und widersprechen sich und sie benutzen Bilder und Metaphern, die uns entweder fremd sind oder gar nicht mehr als solche erkannt werden.
Damit sind nicht solche Zitate gemeint „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ – Das ist ein klassisches Beispiel für einen fatalen Übersetzungsfehler. Kamele waren wohl nie gemeint, sondern Taue oder dicke Seile, was dem Ganzen doch gleich ein viel besseres Verständnis gibt. (witzig ist eh, dass meist nur der erste Teil zitiert wird)
(siehe:  Kamel durchs Nadelöhr )

Aber zurück zu den Grundlagen.

Bibel kommt vom griechischem biblia, was nichts weiter als “Bücher“ bedeutet (auch verwurstet in Bibliothek). Die Übersetzung “Buch der Bücher“ ist also nur in der Interpretation richtig, dass es sich um eine Sammlung mehrerer Bücher handelt und stellt eigentlich keine Überhöhung des Buches dar.

Tanach, die Grundlage des jüdischen Glaubens; das alte Testament, wenn man es mal sehr simpel ausdrücken will (natürlich gibt es da Abweichungen, aber das kann jeder Interessierte selber nachlesen). Der Name kommt als Lautmalerei einer Abkürzung (TNK) zustande und bedeutet Weisung, Propheten und Schriften.
Wer versucht den Tanach wörtlich zu nehmen, muss mit Schwertern herumlaufen und Sklaven halten.

Koran, bedeutet “Lesung“ oder “Vortrag“ und ist als Sammlung auch eine Bibel. Wer einmal in den Koran geschaut hat, stellt fest, dass der Stil anders ist als in der jüdischen und christlichen Bibel. Hier wird nicht primär eine Geschichte erzählt, sondern die Texte sind primär Lobpreisungen; die Geschichten sind darin eingeflochten. Das ist sehr melodisch und lyrisch gehalten und darum auch sehr gut zum Vortragen geeignet. – Allerdings ist bei lyrischen Texten eine Interpretation zwingend erforderlich (wie es unsere Plattform immer wieder beweist), was den wortgetreuen (fundamentalistischen?) Gebrauch ziemlich schwierig macht.

neues Testament, die Grundlage des Christentums. Testament kommt von testamentum und bedeutet “letzter Wille“ oder “letzte Verfügung“ und ist ein Rechtsbegriff. Das zeigt recht klar, warum das alte Testament nicht Grundlage eines Christen sein kann: es zählt immer nur die letzte Verfügung, der neueste Vertrag. Und genau das soll damit auch ausgesagt werden: Gott ging mit den Menschen (sozusagen) einen neuen Pakt ein, was den alten hinfällig machte. In der Theologie nennt sich das “alter Bund“ und “neuer Bund“ und ist damit auch sehr eindeutig. Um auf Nummer sicher zu gehen, sind die zehn Gebote auch im neuen Vertragswerk aufgenommen worden, denn der alte zählte ja nicht mehr.
Ein christlicher Fundamentalist kann also nur aufgrund des neuen Testamentes argumentieren. Gerade für ihn sollte das alte Testament hinfällig sein.
Stellt sich nur noch die Frage, ob ein echter Fundamentalist überhaupt Texte außerhalb der vier Evangelien zulassen darf. Aber das sollten Theologen entscheiden.

Für mich beantwortet sich damit die (von mir selbst aufgeworfene) Frage nach dem Fundamentalismus: es sind keine Fundamentalisten, da sie sich nicht auf die wahren Grundlagen beziehen. Sie benutzen ungeniert Gewehre, Computer und elektrisches Licht, obwohl nichts davon in den Schriften steht, sind gegen homosexuelle Frauen, obwohl die nicht in den Schriften auftauchen (… die homosexuellen Männer meines Wissens auch nur im alten Testament und im Tanach) und stehen insgesamt für ein Weltbild, das nicht aus den “heiligen“ Texten hervorgeht.
Mehr sogar: sie widersprechen der Lehre. – Das allerdings liegt, zumindest bei den Christen, an der Lehre selber. Was die Theologen einander lehren, unterscheidet sich fundamental von dem, was in den Kirchen gepredigt wird. Da kommen nur Kinderglaube und simple Interpretationen ausgewählter Textstellen an. Oder hat schon mal ein Katholik in der Kirche predigen gehört, dass die Neigung zur Homosexualität nicht zu verdammen sei oder die Sintflut natürlich nicht die gesamte Erde überspült hätte?

Ist Richard Williamson, Bischof Richard Williamson, ein Fundamentalist? – Nein, er passt nur seinen Glauben seinem Weltbild an und behauptet dann, es stünde alles in der Bibel.
Wie nennt man das noch gleich?


Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Ropa (33)
(05.02.09)
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Angelika Dirksen (62)
(05.02.09)
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 AndreasG (05.02.09)
Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit, gebe ich hier eine kurze Notiz ab.

1. Ropa hat sich nicht getäuscht. Mehr sogar: auch im Koran sind Stellen, die die Homosexualität der Männer anprangern (auch hier geht es um Lot, der im Koran Lut heißt). Der Grad der Sünde ist aber eine Frage der Interpretation.
Ob im Koran die Homosexualität der Frauen angeprangert wird, ist umstritten. Die Rede ist vom "Widernatürlichen" auch andere Möglichkeiten offen lässt, die weitaus wahrscheinlicher sind.

2. Es geht in der Kolumne um die Wortbedeutung und nicht um ihre zur Zeit übliche Benutzung. Leider sind die Namensgeber von benennenswerten Phänomenen nicht immer sehr geschickt (oder bewandert?). Da wird gerne mal ein Wort umbenutzt oder erfunden, weil es gerade da ist oder sich chic anhört. Man denke nur an die Unsitte etwas "zur Disposition" zu stellen, weil sich "Diskussion" nicht mehr hochtrabend genug anhörte. - Leider bedeutet Disposition aber einfach nur "Ordnung" und macht in dem Zusammenhang überhaupt keinen Sinn.
Das Gleiche gilt für den Fundamentalismus, denn wenn es nur darum ginge, dass eine Gruppe sich auf eigene Grundlagen einigt, dann wäre die Telekom auch fundamentalistisch.

3. Das Christentum ist ein großes Sammelbecken unterschiedlichster Ansichten und der Stellenwert der Bibel ist ähnlich unterschiedlich besetzt. Das ändert aber nichts an der wörtlichen Bedeutung von "Testament" - und in diesem Fall haben sich die Benenner etwas dabei gedacht, denn es war ihre eigene Sprache.
Die evangelische Kirche gibt im Übrigen eine Bibel heraus, in der nur das neue Testament steht ... und die katholische Kirche ist der Erfinder der Begriffe "neuer Bund" und "alter Bund" (was in gewissen Kreisen als Unterschied zwischen Christen und Juden interpretiert wurde ... nach dem Motto: "wir haben den neuen Arbeitsvertrag vom Chef, der alte Vertrag ist nämlich gar nicht mehr gültig").
wortverdreher (36)
(05.02.09)
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 Jorge (06.02.09)
Die Kolumne von Andreas aber auch die bisherigen Kommentare dazu verhelfen mir in dieser aktuell verwirrend und teilweise aufgeregt diskutierten Thematik eine eigene Haltung und Überzeugung zu finden.
Das ist wie ein kleiner keinVerlag Kompaß der Leser und Autoren einnorden hilft.
wupperzeit (58)
(10.02.09)
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