andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 15. April 2009, 21:53
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Welpenzeit

Der Frühling ist nicht nur eine Zeit, in der die Hormone erwachen und den Menschen Frühlingsgefühle schenken. Viel passiert in dieser Zeit, sodass die Sonnenhungrigen sich erstmals sättigen können, die Ständigfrierenden endlich auftauen, die Pflanzenfreunde sich an Blüten und Knospen erfreuen, die Budenhocker nach draußen gehen und die Tierfreunde auf ihre Kosten kommen.
Beim Thema Vogelgezwitscher gehen wohl die Meinungen noch etwas auseinander (wer möchte schon von einem liebestollen Amselhahn aus dem Bett gesungen werden?), aber beim Thema Tierbabys sind die Negativseher eher in der Minderheit.
In der Stadt sind es vor allem die Hundewelpen, die jetzt das Interesse wecken. Diese tapsigen kleinen Pummelchen, die kaum geradeaus laufen können, über ihre eigenen Beinchen stolpern und sich selbst über eine Plastiktüte ein Loch in den Bauch freuen (soweit sie sich nicht davor erschrecken … was auch sehr niedlich aussieht). Da scheint es doch selbstverständlich zu sein, dass schon das positive Grundgefühl über so manche Hürde hinweghilft, die sich Menschen normalerweise selbst in den Weg stellen.
Stubenreinheit? – Na ja, das muss natürlich sein. Aber die Kleine ist doch soooo niedlich, da kann mal drüber weg gesehen werden.
Straßenreinheit? – Auch wichtig. Aber der Kleine kann doch noch gar nicht richtig laufen und da schmilzt selbst das kälteste Herz.
Hundephobie? – Gegenüber Hundebabys nur in schweren Fällen anzutreffen.
Sozialisation? – Bei den kontaktfreudigen kleinen Helden kein Thema, über das sich eine Diskussion lohnt. Oder doch?
Wem die Aggressivität noch fehlt und nur von gut gelaunter Neugier angetrieben wird, der kann doch gar nicht …

Ähm …

Es gibt natürlich Fälle, in denen schon ein Babyhund aggressiv reagiert. Vor allem bei Terriern ist das manchmal zu beobachten und sollte von den Besitzern als klares Warnzeichen interpretiert werden (das wird garantiert ein schwieriger Vertreter). Aber das kommt nicht sehr häufig vor.
Anders sieht das bei den Besitzern der Hundewelpen aus. Zwar treibt auch hier die Mehrheit der Besitzerstolz und das durch Welpenfreude aufgeweichte Herz zu ungeahnter Kontaktfreude, aber die Fraktion der Pappnasen stirbt nicht aus. Immer wieder muss sich ein streichelwilliger Hundefreund anhören, dass gerade dieser tollpatschige Zeitgenosse nicht von “Fremden“ angefasst werden soll. Sprüche wie: „Der soll nicht verdorben werden“ sind zu hören und immer wieder lugt die angeblich so logische Kausalkette hervor, dass Wachhunde von frühester Kindheit an erzogen gehören (wobei die eifrigsten Verfechter dieser These nicht einmal wissen, was eine Kausalkette ist … was an sich schon bezeichnend ist).
Es ist der Griff in die Mottenkiste der vorgeblichen Hundekenner, der da wieder zum Tragen kommt. Immer finden sich selbsternannte Alleswisser, “das-habe-ich-früher-auch-so-gemacht“-Macher und diejenigen, die völlig überholte Erziehungspraktiken predigen. Besonders bei Jägern ist das verbreitet, aber leider auch bei den Normalbürgern stehen Welpenbesitzer oft ganz vorne in der Schlange, wenn die Weisheit mit Schaumlöffeln verteilt wird.
Dagegen zu predigen ist zwecklos. Es hört sich ja so logisch an, dass ein kontaktfreudiger Junghund auch in Konfliktsituationen freundlich reagieren wird … Gut, es widerspricht vollkommen der Natur von Hunden, aber da wird einfach ein einziges (und meist erfundenes) Negativbeispiel zum Lehrsatz hochstilisiert und schon funktioniert es. Ein: „erinnerst Du Dich noch an den Hund von Frau Meier aus Mustertal? Der war auch verdorben, weil der von jedem gestreichelt werden durfte. Und als dann bei der Frau Meier eingebrochen wurde …“ verdirbt mehr, als zwanzig Gegenbeispiele bewirken können.

In Dortmund ist das besonders schlimm.
Schon die Hundephobie treibt hier die buntesten Auswüchse und lässt einen Hundebesitzer häufig mit dem Kopf schütteln. Leute wechseln die Straßenseite, in den Bussen und Bahnen gibt es selbst zur Rush Hour einen Meter Platz in alle Richtungen, der Hund wird praktisch nie angesprochen (anders als in den Nachbarstädten) und grundsätzlich wird jeder Kurzhaarhund als Kampfhund erkannt. Und ja: selbst Welpen stolpern recht unbehelligt von „Ach-ist-der-süß“-Rufern durch die Landschaft.
Doch die Hundebesitzer sind oftmals noch schlimmer: da werden schon Hundebabys angeraunzt, weil sie einen Fremden nicht anknurren oder sofort weggezerrt, sobald dann doch mal jemand Interesse zeigt. Und fragt man nach, so kommt dauernd dieser blöde Spruch von den “verdorbenen Hunden“, als würde ein Hund nicht automatisch sein Rudel verteidigen, sobald es brenzlig wird. Nicht einmal der Hinweis, dass ein Angstbeißer kein tapferer Partner für den Ernstfall sein kann, kommt bei diesen Leuten an. Gehorchen sollen die Viecher – und misstrauisch sein. Nicht selbstbewusst, weil sie ihre Umwelt kennengelernt haben. – Daraus könnte natürlich auch auf das Menschenbild geschlossen werden, aber das überlasse ich lieber den LeserInnen … so sie es denn möchten.
Erlebt habe ich das in den letzten Tagen etwa zwanzig Mal. Meist war es ein unauffälliges Ausweichen, weil es jemand von den bösen Fremden wagte das Hundebaby zu locken. Und schon vier Mal musste ich mir recht barsche Worte gefallen lassen von Leuten, die in ihrem stummelfüßigen Fellknäuel den Wach- und Kampfhund herausbilden wollen. Das waren natürlich in jedem Fall “Rassehunde“ (was auch wieder interpretiert werden könnte): ein Rauhhaardackel, ein Windhund, ein Mops und eine französische Bulldogge. Alles die klassischen Vertreter der tapferen Verteidiger von Haus und Grund, die bei Wind und Wetter im Freien verbringen und jeden Eindringling mit ihrer Beißkraft in die Flucht schlagen. Klar.



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wupperzeit (58)
(16.04.09)
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 Dieter_Rotmund (21.04.09)
Formal und stilistisch habe ich nichts auszusetzen; vielleicht ein wenig zu lang, nunja.

Ich möchte aber eine Lanze für die Hundephobiker brechen; ich selbst bin keiner, kenne aber einige und teile deren Abneigung; Angst bekomme ich zwar nicht, aber angeekelt bin ich meistens. Aber eine richtige Phobie ist sehr viel unangenehmer: Beklemmung, Schweißausbrüche, Hyperventilation. Meiner Erfahrung nach ist das aber den meisten Hundebesitzer sch...egal: Sie leinen ihre Tölen nicht mal an, nicht auf öffentlichen Plätzen, nicht in Wohngegenden, sogar im Supermarkt und in Speiselokalen, wo mit Lebensmitteln hantiert wird, habe ich schon freilaufende Hunde gesehen. Man kann die Besitzer noch so freundlich darauf ansprechen, in 99% der Fälle kriegt man ein LMAA-Anwort.
So gesehen kann einem das doch - mit Verlaub - ziemlich hässliche Dortmund recht sympathisch werden. Ich möchte jedenfalls keinen Hund "ansprechen" (Wozu? Damit er mich ansabert?) und wechsel bei besonders ekligen und unangeleinten Kötern auch gerne mal die Straßenseite. Wenn die Hundesitzer dies in ihren grenzenlosen Rücksichtslosigkeit (vor allem gegenüber den Phobikern) mitkriegen, soll und kann mir das nur recht sein.
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