andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 06. Mai 2009, 22:02
(bisher 1.070x aufgerufen)

lernen

Wenn es um das Lernen geht, sind sich zwar alle Menschen einig, dass es wichtig ist, aber schon über das Wie kann kaum ein gemeinsamer Konsens hergestellt werden (und über das Was breiten wir lieber den Mantel des Schweigens). Hunderte von Lern-Theorien sind im Umlauf und sie behandeln die unterschiedlichsten Lehrformen, Lehrmethoden, Motivationsgeber, Ansichten zur Disziplin und Meinungen zur Vertiefung und Wiederholung. Sogar bei der Pausenregelung nach 45 Minuten Unterricht sind sich die Fachleute (und selbsternannten Fachleute) nicht einig.
Da kann es nicht wundern, dass die Fronten noch weiter auseinander klaffen, wenn es um Schulformen, Erwachsenenbildung und Fortbildung geht (auch wieder ganz abgesehen von den Inhalten). Wie soll man sich auch auf die Form eines Hauses einigen, wenn von unterschiedlichen Fundamenten ausgegangen wird?
Aber es macht ja viel mehr Spaß aus der erhabenen Position zu argumentieren und nicht darüber nachzudenken, dass das Lernen eine Grundfunktion des menschlichen Lebens ist. Auch Erfahrungen sind ein Teil des Lernprozesses, Abwechslung gehört dazu, die viel beschworene Flexibilität, die sozialen Kontakte, jede Form der Kommunikation und sogar die Unterhaltung. - Ja, man könnte mit Fug und Recht behaupten, dass das menschliche Leben ohne Lernen gar nicht stattfindet und wir darum verdammt viel Erfahrung damit haben müssten … Haben wir daraus gelernt, was lernen ist?

Zumindest die Profis beim Thema Lernen sollten sich doch damit auskennen. Doch gerade die Lehrer sind besonders eingefahren und diskutieren lieber über die Inhalte, als sich mit den Methoden auseinander zu setzen. Kaum noch jemand wirft Themen wie “Klassengröße“, “Frontalunterricht“ und “Computerarbeit“ auf den Tisch. Man scheint sich damit abgefunden zu haben, dass gewisse Sachen nicht anders umzusetzen (oder zu bezahlen) sind und dass es Sachzwänge gibt, denen niemand entgehen kann.
Ständig wird auch das Geld als Argument in die Waagschale geworfen. „Bildung muss bezahlbar sein“ (kostenlos war einmal), heißt es. Danach muss sich die Bildung orientieren.
Wäre es sehr gehässig. das Pferd von hinten aufzuzäumen? Wenn es bei der Bildung nämlich ums Geld geht, dann sollte der Lernwillige vielleicht als Kunde betrachtet werden – und nicht als unwissender Idiot, dem das Wissen mit der Brechstange eingestemmt werden muss. So gesehen wären die Lehrer und Pädagogen gar nicht mehr die Fachleute … sondern …
Fragen wir also die Werbung. Wie werden Botschaften an den Kunden gebracht? Wie wird Wissen (oder wie auch immer das genannt werden sollte) in den Mann und in die Frau gestopft?
Gefühle, Sex, Macht, Status, Spaß, Spannung … okay ... das ist für gewisse Lehrinhalte vielleicht nicht so geeignet. Aber das sind ja auch schon Inhalte, mit denen die Informationen vermischt sind. Welche Theorien über die Methoden haben die Werbetreibenden anzubieten?
Das nennt sich: “Aktivierung des Kunden“, ist also der Punkt, wo nicht die Aufmerksamkeit erregt werden soll, sondern darüber nachgedacht wird, wie ein Inhalt möglichst lange im Kopf bleibt. Es geht also um das Lernen.
Gut. Was sagt die Theorie dazu?
1. lesen verankert die Botschaft nur zu 10 %.
2. hören verankert die Botschaft zu 20 %
3. lesen und hören schaffen zusammen 50 %
4. selber sagen kommt auf 70 %
5. selber machen erreicht 90 %

Schon interessant. Das klassische Pauken aus dem Buch schneidet (übertragen) wohl nicht so gut ab. Hörbücher wären demnach besser und Vorlesungen schon ziemlich gut (was die Realität in den Universitäten leider nur bedingt widerspiegelt). Noch besser schneidet es wohl ab, wenn jemand selber etwas sagt … übertragen hieße das wohl, dass es nachgeplappert werden soll (erinnert das nur mich an die alten Filme, in denen die SchülerInnen im Chor etwas aufsagten?). Gesteigert würde die Wirkung vermutlich durch eigenständiges erklären, wie es in Referaten nötig ist.
Doch das Selbermachen liegt besonders weit vorne (man denke nur an die Verkaufsmethoden „Nehmen Sie das mal in die Hand“ und „Probieren Sie mal“). Also müssten die Projekte damit gemeint sein, die von Lehrkräften so gerne als unnütze Zeitfresser bezeichnet werden.
Was aber ist mit den reinen Fakten? Hier ist das Anfassen und Selbermachen ja wohl schwerlich umzusetzen.

Nun … es gibt Leute, die genau auf diese Weise die Fakten anfassen und dadurch lernen: die Lehrer, Dozenten und Lehrenden. Sie lesen, hören, erklären, müssen Antworten auf Fragen finden und lernen dadurch besonders stark. Sie sind also doch wieder die wahren Fachleute zum Thema Lernen, allerdings aus einem anderen Sichtwinkel betrachtet: sie sind die Lernenden, die die beste Methode abbekommen.
Die Lösung aus der Bildungsmisere ist also, dass alle Lernenden zu Lehrenden werden müssen.

Ich fürchte, dass ich nicht der erste bin, der zu diesem Schluss gekommen ist. Ein Blick auf altkluge Kinder, besserwisserische Teenager, klugscheißende Studenten und die Beliebtheit von Lehrern lässt Zweifel keimen. Große Zweifel. Möchte jemand in einer Welt voller Lehrer leben?

Mich wundert es nicht, dass sich die Leute lieber über andere Sachen streiten. Finden Sie nicht auch, dass das Kopfrechnen viel zu kurz kommt? Und erst die Rechtsschreibung!



Andreas Gahmann

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wupperzeit (58)
(07.05.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram