andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 14. Mai 2009, 00:15
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hasch mich

Opium fürs Volk nannte Kalle Marx die Religionen. Das tragen ihm ziemlich viele Leute noch heute nach – und zwar aus mehreren Richtungen. So gibt es die These, dass der Kommunismus auch wie eine Droge für das Volk funktionieren würde, also selber eine Art von Religion sei. An anderer Stelle wird die Drogenwirkung des Glaubens vehement bestritten oder den anderen, den “falschen“, Religionen zugeschoben. Dann gibt es Leute, die behaupten, dass es bei Drogen immer auf die Dosis ankäme, da sie sowohl heilend, als auch berauschend bis tödlich wirken könnten (die medizinisch inspirierte Sicht).
Und dann gibt es wieder jene, die davon ausgehen, dass Menschen sowieso den Rausch und die Sucht suchen und es darum nur darauf ankommt, dass die verfügbaren Drogen kontrolliert werden. Die gefährlichen Drogen müssten demnach weg, die weniger gefährlichen mit Steuern belegt werden und die harmlosen frei zugänglich sein. Also hätten Tabak- und Kirchensteuern einen ähnlichen Zweck … oder verstehe ich das falsch?

Mich würde interessieren, wie die Esoterik in diesen unterschiedlichen Einschätzungen eingestuft wird. Diejenigen, die die Opiumwirkung der Religionen bestreiten, sind meist nicht sehr gut auf diese “gebastelten“ Vorstellungen zu sprechen, schlucken aber in der Regel jeden Drogenvergleich herunter (kein Vergleich zu einer/der Pille, bitte).
Für die Befürworter der Opium-These liegen Astrologie und Konsorten irgendwo bei den weichen Drogen, denke ich. In etwa: Astrologie ist Haschisch fürs Volk. – Schade, dass Kalle nichts dazu hinterlassen hat (oder irre ich mich da?).

Nun verhalten sich viele Drogen leider so, dass sie sich nicht an menschliche Gesetze halten. So wachsen viele Pflanzen einfach da, wo sie wollen. Und solange sie nicht als Drogen erkannt oder klassifiziert werden, sind einige dieser inhaltvollen Bösewichte in jedem Baumarkt und Gartencenter zu bekommen. Das ändert nichts an ihrem Potential Rauschzustände oder Halluzinationen auszulösen oder zu töten. – Manch eines dieser gemeinen “Unkräuter“ muss sogar als einheimisch bezeichnet werden oder unterliegt dem Schutz gefährdeter Arten.
Gilt das auch für die geistigen Drogenlieferanten? – Es scheint schwierig zu sein, eine Metapher aufzudröseln …

Als ein Zeichen für Drogenabhängigkeit gilt, dass die Einsicht fehlt. Argumente werden geleugnet, das Probleme schöngeredet, Gegenbeweise ignoriert, Abhängigkeiten heruntergespielt und trotzdem werden Vorräte gehortet. Besonders in wirtschaftlichen Schieflagen oder Krisenzeiten boomen die zerstörerischen Effekte des Drogenkonsums und der Sucht; wohingegen in den besser gestellten Kreisen eher die Mode (das “in“-Sein) eine Rolle spielen soll.
Auch hier könnten Parallelen gefunden werden. Ich nehme mal die Astrologie als Beispiel.
Vor ein paar Tagen entbrannte in einem meiner Bekanntenkreise eine lebhafte Unterhaltung über Sternzeichen. Vier Frauen unterschiedlichsten Alters schwenkten vom Lieblingsthema “Männer sind Schweine“ ab und stürzten sich mit Begeisterung in die Tierkreise. Schnell wurden die eigenen genannt und dann über die nicht anwesenden abgelästert. Wer passt am besten zum Widder? Wer nicht? Wer zur Jungfrau? Wer zu Steinbock und Krebs?
Eine Klischee-Schublade nach der anderen wurde geöffnet, Aszendenten geflüstert und Vermutungen über Abwesende aufgestellt. Und plötzlich war ich mitten drin.
„Was bist Du denn, Andreas?“ schallte die zu erwartende Frage durch den Raum.
„Häh?“ reagierte ich gewohnt souverän.
„Na, vom Sternzeichen her,“ schwappte es in heimatlich glitzernder Grammatik zurück.
„Na. Ratet doch mal.“
Das hätte ich besser nicht vorgeschlagen. In solchen Situationen sollte ich einfach die Klappe halten, so tun, als hätte mich der Storch ohne Herstellerdaten ausgeliefert oder mir zumindest einen coolen Spruch für einen schnellen Abgang einfallen lassen. So etwas wie: „Klapperschlange, Aszendent Gartengurke“ oder: „Bienenkorb - und im ersten Haus steht ein Honiglager.“ – Aber das fällt mir natürlich immer erst zu spät ein …
So kam das Unvermeidliche:
„Schütze, Du bist bestimmt Schütze.“ (von der Widderin)
„Oder Jungfrau.“ (von der Krebsin)
„Wassermann. - Wassermann oder Fisch.“ (von der Steinböckin)
„Oder Waage?“ (von der Jungfrau)
„Nö.“ (vom Bienenkorb)
Das Gerate ging weiter … und weiter … Wassermann und Schütze fielen erneut … ab dem neunten Sternzeichen wurde die Reihenfolge des Jahresablaufs zu Hilfe genommen … dann kamen wieder Wassermann und Schütze … nach dem elften war Schluss. Alle vier Damen grübelten, doch es wollte ihnen nicht einfallen.
Hier wäre meine Chance gewesen den Bienenstock aus dem Hut zu zaubern. Aber das fiel mir natürlich immer noch nicht ein. Auch den schnellen Abgang versäumte ich. Stattdessen warf ich einen giftigen Tipp in die Runde.
Nach dieser Auflösung: betretenes Schweigen. Dann Abschwächversuche und das übliche Gelaber von den gegensätzlichen Polen … dann ein freundlich gemeintes: „ist mein Nachbar auch und trotzdem ist er nett und hilfsbereit.“ – Und dann der spontane Themenwechsel.
Heute sah ich, wie die vier Damen sich wieder die Horoskope aus der Zeitung vorlasen. Von Unsicherheit keine Spur, aber dafür lag die Sammlung der Horoskope der letzten Wochen griffbereit. Die Vier wirkten entspannt und gut gelaunt. Die Umgebung wurde ignoriert. Zumindest für eine Viertelstunde, solange dauerte der Zustand an. Dann sickerten wieder Realität und miese Laune in die Gruppe.
Die Wirkung von Opium hält länger an, soweit ich weiß. Und Haschisch auch. Aber ansonsten erinnerte es verteufelt an eine Gruppe entspannter Kiffer.


Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Angelika Dirksen (62)
(14.05.09)
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wupperzeit (58)
(14.05.09)
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