andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 03. Juni 2009, 23:54
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vom Glück

Nun haben es Wissenschaftler geschafft, das Kindchenschema mit körperlichen Reaktionen in Verbindung zu bringen. Bisher gab es zwar Beobachtungen und dementsprechende Schlussfolgerungen, aber die Abläufe konnten nur gemutmaßt werden.
Das Belohnungszentrum im Gehirn wird durch das Kindchenschema angesprochen (wurde eh vermutet). Damit wirkt die Sichtung eines schemagerechten Objektes (es muss ja kein Baby sein) wie ein Drogen-Cocktail auf uns. – Pardon: auf Frauen, denn bei Männern wurde der Test noch gar nicht durchgeführt.
Drogen vernebeln das Gehirn, schränken die Denkfähigkeit ein und machen abhängig. Oft machen sie auch eine Zeitlang glücklich – oder gaukeln uns das zumindest vor … denn diese Art Glück (und vielleicht sogar jede Art) wird durch Wirkungsketten im Gehirn erzeugt, die sowohl elektrischer Natur sind, als auch (bio-)chemischer. Dieses Glück läuft also in uns ab, wird von uns selber “produziert“ und funktioniert nach dem berühmten Schlüssel-Schloss-Prinzip.
Eine bewusste Kontrolle oder Lenkung ist nur in überschaubarem Umfang möglich, weswegen so viele Menschen geradezu panische Angst vor Drogen haben … und damit vor dem Glück.
Für Drogen gilt: der Schlüssel ist chemisch. Sein Einsatz ist darum in gewisser Weise kontrollierbar; zumindest nachweisbar, messbar und dosierbar. Für virtuelle oder visuelle Schlüssel gilt das nicht. Sie funktionieren als Muster, das die Abläufe im Gehirn aktivieren. Dabei darf aber jetzt nicht angenommen werden, dass der handfestere Schlüssel die Grundlage für die Reaktionen bildet und die geistigen Schlüssel als Nebeneffekt anfallen. Es ist genau umgekehrt:
Drogen klinken sich in die chemischen Abläufe ein, die zu den Schritten körpereigener Abläufe gehören. Sie fälschen sich sozusagen ins Gehirn, denn sie gaukeln dem Körper vor, dass es die wirklichen Auslöser geben würde. Sie “betrügen“.
Die realen Auslöser sind Reize wie das Kindchenschema. Die Wirkung puscht zwar hoch, hält aber normalerweise nicht lange an. Drogen hingegen feuern fleißig weiter und zeigen dadurch sehr eindringlich, wie der Mensch funktioniert: um den Motor zu starten, muss man keinen Schlüssel haben, der ins Zündschloss passt. Kurzschließen geht auch.
Dabei ist nicht einmal der richtige Schlüssel nötig, was auch wieder das Kindchenschema zeigt. Immerhin reagieren wir Menschen nicht nur sehr positiv auf Menschen-Babys, sondern auch auf Tierkinder und sogar Puppen. Um bei dem Beispiel Auto zu bleiben: es ist kein sonderlich kompliziertes Schloss, mit dem der Motor gestartet wird. Diebstahlsicherung sieht anders aus.
Hoffentlich kommt jetzt niemand auf die Idee, dass das Kindchenschema zu den Drogen gerechnet werden müsste. Nicht nur der Walt-Disney-Konzern könnte dann einpacken, auch viele andere Sachen müssten auf dem Schwarzmarkt organisiert werden oder würden nur noch hinter “Für Kinder und Jugendliche kein Zugang“-Abtrennungen verkauft. Mütter wären plötzlich Drogenabhängige und Dealer in einem, Kinderwagen müssten verschleiert werden, Tiergeschäfte fielen unter die Beschaffungskriminalität, der Frühling würde zur verbotenen Jahreszeit gekürt und Kinderbücher- und filme lägen neben den Pornos im Regal.

Trotzdem bleibt eine unangenehme Frage: was ist mit den Glücksgefühlen?
Wenn Glücksgefühle nur das Ergebnis von körperlichen Abläufen sind, ausgelöst durch Kindchenschema oder Chemie, und dazu dienen, dass wir uns besonders angestrengt kümmern oder anstrengen, damit sie immer wieder kommen … was sagt das über uns aus? Ist der heruntergekommene Alkoholiker oder Junkie eine Art (Zerr-) Spiegel unserer Existenz?

Andreas Gahmann


 SPIEGEL



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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wupperzeit (58)
(04.06.09)
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