andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 06. August 2009, 00:29
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müßig

“Müßiggang ist aller Laster Anfang” heißt es in einem der einprägsamsten Sprichwörter. Schon in früher Kindheit werden/wurden wir mit diesem Spruch zugebombt, denn er spiegelt in knapper Form das wider, was zu einer der Urlehren der christlichen – und nicht nur der christlichen – Kirchen gehört. In die gleiche Richtung geht das bekannte ora et labora, Arbeit ist des Ruhmes Mutter, Willst du nicht arbeiten,
so hilft dir kein Beten
, Fleiß überwindet alles, Müh und Fleiss bricht alles Eis und so manches andere. Immer geht es dabei nicht nur um das Hochloben der Arbeit, sondern auch um das Verteufeln des Nichtarbeitens.
Gut, in vielen Fällen ist das Nichtarbeiten in Form vom Ausruhen von der Arbeit erlaubt und kann im Urlaub kritiklos gefrönt werden. Aber das ist schon die “moderne“ Sichtweise, die zwei Schleifen mehr im Gehirn erfordert und selten ohne den Hinweis zur erbrachten Arbeit auskommt. Und noch schwieriger wird es bei der Frage, was denn als Arbeit zu gelten habe. Hier beherrschen die Vorurteile das Bild, denn die künstliche Wortschöpfung “körperliche Arbeit“ gilt bei vielen Menschen noch als die originale Definition. Wer also richtig ackert und heranklotzt, der kann sich sicher sein, dass dies als Arbeit anerkannt wird (wenn auch manchmal herablassend). Das geht so weit, dass in vielen Köpfen selbst die unüberlegte und nutzlose Arbeit anerkannt wird, die außer Mehrarbeit gar keine Ergebnisse bringt.

Müßiggang ist aller Laster Anfang zielt ursprünglich gar nicht auf das faule Nichtstun, das Erholen oder “Abhängen“, sondern auf das entspannte Genießen von Dingen, die nicht als die Ergebnisse von richtiger Arbeit gelten. Damit ist also gleich eine Doppelbedeutung des Wortes “Müßiggang“ geschaffen, weil hier nicht nur die Nichtarbeit selber, sondern gleich eine ganze Sparte von Beschäftigungen angegriffen wird.
Es geht nicht allein um das Machen, sondern auch um die Möglichkeit. Bei vielen christlich erzogenen Menschen klappt das so gut, dass sie sich auch das Sehnen und Nachdenken darüber verbieten. Neudeutsch würde man das wohl als “uncool“ bezeichnen, also: gesellschaftlich nicht akzeptiert.

Wie aber sieht eine Gesellschaft ohne Müßiggang und Müßiggänger aus? – Alle arbeiten, erholen sich von der Arbeit, lenken sich von der Arbeit ab, beten vielleicht sogar und leben ein Leben im Rahmen des Akzeptierten (sprich: sie sind angepasst). An Kultur und Kunst wird natürlich auch nur das Akzeptierte genossen … wenn überhaupt, denn schnell ist der Verdacht des Müßigganges und des Lasters da.

Ist nicht gerade die Kunst ein Kandidat für so eine Sichtweise? – Streng genommen natürlich nicht das Kunstschaffen, sondern das Beschäftigen mit der Kunst, denn Kunstschaffen kann ja als Arbeit verstanden werden (je nach Definition).
Obwohl … weit verbreitet ist viel eher die Einstellung, dass Kunst nichts mit Arbeit zu tun hat. Im Mittelalter galten Schauspieler und viele Künstler als rechtlos, als Müßiggänger und Tagediebe, die in der Gesellschaft keinen Beitrag leisteten und darum auch nicht dazu gehörten. Ist es darum so weit verbreitet, dass die Leute denken, dass Kunstschaffen gar nichts mit Arbeit zu tun haben dürfe? Dass es sich als schöpferischer Akt auch gar nicht mit solch niedrigen Begriffen wie “Überarbeiten“, “Nachbessern“ oder “Korrigieren“ beschäftigen dürfe? – Das würde zumindest so manches erklären …

Zu bedenken ist, dass Kultur ohne Müßiggang gar nicht möglich ist. Egal, ob es der Künstler tut oder nicht, derjenige, der sich in die Kultur begibt, muss zur Muße gehen und von seinem statischen Arbeitsdenken ablassen können. Tut er/sie das nicht, so verpufft die Chance etwas Neues zu erfahren und sich aus dem Üblichen zu begeben. Sprich: er/sie bleibt im statischen Gesellschaftsrahmen gefangen, der sich nur um Arbeit und “Etwas-gemacht-haben“ schlingt. Und damit wiederum entgeht der Gesellschaft die Chance sich weiter zu entwickeln, sie bleibt statisch und unverändert.

Und wozu jetzt dieses Thema, wo wir doch gerade in einer wirtschaftlichen Krise stecken? – Nun … gerade in einer wirtschaftlichen Krise wird jede Form des Müßigganges verdammt und diejenigen werden eingeschränkt, die zu den Müßiggängern gezählt werden. Parolen wie “wir müssen uns auf unsere Werte besinnen“ stehen hoch im Kurs und meinen damit, dass wir zum alten und statischen Gesellschaftsbild zurückkehren sollen. Arbeit wird es schon richten … man muss sich nur anstrengen … ohne Fleiß keinen Preis … Leistung zahlt sich aus … alle Parasiten müssen weg …
Und? – Hat der Müßiggang das Problem geschaffen? Sind Kunst und Kultur schuld an der Misere? - Vermutlich schon, denn ohne diese Beiden gäbe es das Problem gar nicht, weil wir noch auf den Bäumen hocken würden.



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (06.08.09)
Nette Kolumne, gerne gelesen. Der letzte Absatz vielleicht zu sehr mit der Brechstange einen aktuellen Bezug gesucht - muß gar nicht sein!

Inhaltlich hat kaum etwas gefehlt, außer vielleicht dass viele Arbeit nur dann als Arbeit gelten lassen, wenn sie mit Geld entlohnt wird. Die meisten Doktoranden bekommen kein Geld für das, was sie tun - Arbeit ist es trotzdem. Am schlimmsten sind die "und-was willst-du-später-damit-anfangen-Frager" , aber das ist eigentlich schon ein anderes Thema...
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