andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Dienstag, 15. September 2009, 14:33
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Zahlenmagie

Es heißt, dass die Neugier ein hervorstechendes Merkmal der Menschen sei, denn ohne sie kämen die anderen Eigenschaften kaum zur Geltung. Wobei Neugier im Gegensatz zu Geldgier, Trieb, Selbstdarstellungssucht und Machtwunsch (nur eine kleine Auswahl) nicht in erster Linie auf den eigenen Vorteil schielt.
Das Problem ist nur, dass Neugier mehrere Gesichter hat. Oder besser: oft ist gar nicht die Gier nach Neuem gemeint, wenn das Wort benutzt wird. Vielmehr steht der Wunsch Pate, die Welt in trockene Tücher zu packen und aus dem Unbekannten Bekanntes zu machen.
Sicherheit, darum geht es dann. Oder um Altgier … wenn man so will.

Ein beliebtes Mittel diese Altgier zu befriedigen ist der Hang nach Ursache und Wirkung zu suchen. Dabei geht es meist darum, dass eine einleuchtende Erklärung entsteht. Oder, um es klarer auszudrücken: es geht um Kontrolle.
Denn: nur was wir kennen … können wir beeinflussen.

Leider sind die Zusammenhänge im wirklichen Leben ziemlich komplex und nur schwer zu durchblicken. Viel leichter kann etwa eine Gottheit für Blitz und Donner verantwortlich gemacht werden, als sich mühselig durch die Meteorologie zu graben (soweit das Wissen zur Wetterkunde überhaupt abrufbar ist). Außerdem müssen jedes Mal die Grundlagen definiert werden, mit denen ein Wissen beschrieben werden kann … Stufe für Stufe, Level für Level.
Es werden Maßeinheiten gebraucht, Messgrößen und Ordnungskriterien. Erst damit können die Ergebnisse der Neu- oder Altgier dargestellt werden. Entfernungen, Zeit, Volumen und Geschwindigkeit gehören ganz selbstverständlich dazu, doch noch grundlegender ist das Zahlensystem. Doch hier schlummert auch gleich die Falle, denn die Zahlen sind so grundlegend für unser Leben geworden, dass sie schon wieder Neugier wecken und dazu einladen Ursache und Wirkung zu verwechseln.
Ohne darüber nachzudenken, dass das Zahlensystem menschengemacht und willkürlich ist, hat die Zahlenmagie längst unser Leben erreicht. Das erscheint widersinnig, denn nicht immer hat die Menschheit auf ein Zehnersystem gesetzt. Es gab (und gibt) auch Fünfer-, Siebener- und Zwölfersysteme: 7 Tage, 12 Monate, 24 Stunden, Dutzend und ähnliche alte Zählsysteme erinnern daran.

Daran stören wir uns nicht, wenn wir zum Beispiel die runden Geburtstage feiern.
An meinem zwanzigsten Geburtstag habe ich nicht die 7305 Tage (nicht die 5 - 6 Schalttage vergessen) oder die 240 Monate meines Lebens gefeiert. Ich habe auch nicht die dreihundertste Mondphase mit einem Fest geehrt, meinen zehntausendsten Tag, meine tausendste Woche oder meine zweihunderttausendste Stunde. Meine Mahlzeiten, gesprochenen Worte oder anderen Tätigkeiten habe ich erst gar nicht gezählt.
Seltsam aber, dass es Menschen gibt, die noch viel mehr Magie in den Zahlen und Zahlensystemen sehen. Da werden die Buchstaben des Vornamens in Zahlen umgewandelt und interpretiert, da werden Codes aus der Bibel gelesen, da werden Zahlen sogar bestimmend für das Verhalten, für Glück und Pech. Gerade so, als hätte ein Schöpfer mit Absicht alle Geheimnisse und vorbestimmten Situationen des Lebens versteckt (entweder in einem Buch, in der Konstellation der Sterne, in Kassenbons oder …).
Hier kippt also die Neugier vollständig in eine Altgier, in eine Gier zu beeinflussen und Vorteile zu bekommen (oder Nachteile zu vermeiden?). Oder anders ausgedrückt: in den Wunsch nach Sicherheit und Ordnung.

Na ja, ich gebe zu, dass ich auch nicht ganz frei von solchen Denkmodellen bin. Besonders die runden Zahlen reizen mich. Auch wenn ich dahinter keine tiefere Bedeutung sehen kann, habe ich vollstes Verständnis für das Feiern des achtzehnten Geburtstags, der Jahrtausendwende oder des hundertsten (oder tausendsten) Textes. Natürlich könnte es auch der 49. Geburtstag sein (7 x 7) … oder der 48-ste (vier Dutzend) ... oder der 47-ste (Primzahl) …
Nein, mein Geburtstag steht noch nicht an (falls sich das jetzt jemand fragt). Trotzdem denke ich über runde Zahlen nach. Irgendwie sind sie doch etwas Besonderes. Nicht?


Andreas Gahmann

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