andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 07. Oktober 2009, 23:39
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alles Kokser

Manchmal frage ich mich: warum wird die Wissenschaft eigentlich nicht ernst genommen? Die Leute scheinen die meisten wissenschaftlichen Entdeckungen und Leistungen kaum zu würdigen. In den Alltag wird zwar das Ergebnis (oder die Umsetzung) gelassen, aber die dahinter liegenden Zusammenhänge tropfen an der unveränderlichen Weltsicht ab.
Seltsam …

2005 hat der SPIEGEL eine Untersuchung von Wissenschaftlern gefördert, die den Drogenkonsum der Deutschen unter die Lupe nehmen sollte. Die durchdachte Idee hinter dieser Studie war, dass sich Kokain in einen sehr typischen (und ansonsten seltenen) Stoff abbaut (= Benzoylecgonin), der nicht nur im Abwasser, sondern sogar noch in den Flüssen nachweisbar ist.
Das Nürnberger Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) sah darin die Möglichkeit eine statistische Hochrechnung zu bekommen, die nicht einmal ansatzweise mit den Problemen von Befragungen oder Untersuchungen am Menschen kämpfen musste. Nicht einmal der Vorwurf nicht repräsentative Ergebnisse hochgerechnet zu haben konnte ziehen, da gleich ein Einzugsgebiet (oder besser: Ausscheidungsgebiet) von extrem vielen Menschen benutzt werden konnte.
Die Forscher wählten den Rhein, der immerhin etwa 23 Millionen Menschen zwischen 18 und 59 Jahren als Bezugsgröße anbietet.
Dann maßen sie – und rechneten.

Das Ergebnis war erschreckend.
Offizielle Stellen rechnen mit etwa 1 % der Bevölkerung, der mehr als einmal im Jahr Kokain konsumiert. Allein schon diese Zahl ist schockierend und kaum vorstellbar (obwohl es erklären könnte, warum manche Leute so “gedopt“ wirken), doch die Ergebnisse sind noch weitaus beunruhigender: rund 11 Tonnen Kokain kommen danach jährlich auf die 23 Millionen Menschen, was die 23.000 “Konsumenten“ kaum schaffen könnten.
Ein Jahresverbrauch pro Kopf von fast 500 Gramm – oder umgerechnet in die berühmteste Form des Konsums: 16 “Lines“ pro Tag und pro Konsument!

Einen Artikel im SPIEGEL brachte das schon (  SPIEGEL ) und wohl auch die Aufforderung die Schätzungen der Kokain-Konsumenten zu überdenken. Doch viel mehr als diese Schlagzeile kam nicht heraus. Warum wohl?

Vielleicht liegt es daran, dass bei der angenommenen Spanne des Konsums von einer Dosis pro Jahr bis zur täglichen Mehrfachschnupfung (-rauchung, -trinkung oder was auch immer …) eine Zahl von Konsumenten zusammenkäme, die nicht mehr als kleine Minderheit gelten könnte. Nimmt man nur den Faktor 16 an, also die errechneten 16 “Lines“ auf eine “Line“ pro Tag und Konsument hochgerechnet, so wären deutlich mehr als 10 % der erwachsenen Bevölkerung …
Gut, es würde so Manches erklären, was mir in der heutigen Zeit seltsam erscheint. Aber realistisch kann ich eine solche Zahl nicht finden. Was also heißt: den werten Wissenschaftlern ist entweder ein ziemlich großer Klops passiert oder in der Grundüberlegung ist ein gravierender Fehler aufgetreten. Seltsamerweise wurde der Artikel nie revidiert …
Manchmal frage ich mich nicht, warum Wissenschaft nicht ernst genommen wird.



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (09.10.09)
Schöner Kolumnentext, Stirnschlag-Andi ist aber natrülich selbst schuld, wenn er SPIEGEL-Artikel verwendet!
In der FAZ stand damals auch ein Artikel, der sicherlich weitaus seriöser und sorgfältiger gemacht war.
Grundsätzlich stimme ich jedoch Andi zu, dass ziemlich viele Menschen arg "gedopt" wirken und das im Umfeld eines jeden mehr Kokain genommen wird, als die meisten vermuten würden... Was recht lästig ist: Diese ständig-Aufgedrehten gehen mir ziemlich auf die Nerven...
my.sister.whispers (31)
(21.02.10)
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