andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 18. Februar 2010, 02:53
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wahr nehmen

Es ist schon verblüffend, dass der Mensch so viele Filtermechanismen besitzt und dennoch ständig davon ausgeht, dass er einen klaren Blick auf die Realität hätte. In den Augen produzieren Lichtstrahlen Nervenimpulse, die erst im Gehirn zu Bildern zusammengesetzt werden. Wobei “zusammengesetzt“ eine sehr freundliche Umschreibung für die wilde Interpretation ist, die im Gehirn abläuft.
Mehrere Filter greifen hier ineinander: zuerst die nicht aktive Vorfilterung, durch die nur ein kleiner Teil der möglichen Energiewellen als sichtbares Licht wahrgenommen wird, dann die nötige Intensitätshöhe, die verhindert, dass jeder kleine Reiz weitergegeben wird - und dann die Fokussierung, die die Randbereiche des Sehwinkels definiert. Ein passiver Filter ist auch die Bevorzugung von Bewegung und Farbe, die durch die unterschiedliche Bewertung der Reize unterschiedlicher Nerven entsteht.
Bei der Mustererkennung wird es schwieriger, denn sie geschieht unbewusst und ist dennoch beeinflussbar, sie ist erlernbar und nutzt angeborene Muster und sie ist aktiv und gleichzeitig passiv. Bekannte Muster werden schneller erkannt und in einem automatischen Hin und Her sowohl genauer betrachtet, als auch den unbekannten Mustern vorgezogen. So erkennt etwa ein Hundefreund einen Hund in einer Schafherde oder ein KFZ-Mechaniker ein Motorenbauteil. Alle anderen “übersehen“ diese erlernten Muster.
(wer das nicht glaubt, kann es selber im Freundeskreis ausprobieren: einfach einige Bekannte nacheinander in einen Raum führen und später abfragen, was sich in diesem Raum befunden hat. Es ist faszinierend, welche Detailfülle - mit gleichzeitiger Leere in anderen Bereichen - zu entdecken ist. Da werden große Palmen übersehen, einzelne Buchtitel erinnert, große Schränke verschwinden, nicht vorhandene Fernseher tauchen auf …)

Die Reize werden im Gehirn verarbeitet und erneut gefiltert. Vieles erreicht nicht einmal die Vorstufen des Kurzzeitgedächtnisses oder wird nur als Grundstruktur festgehalten, die bei Bedarf zu einem Bild zusammenfantasiert wird. Das fällt natürlich alles erst nach der Wahrnehmung unter den Tisch, wird aber dennoch nicht wahrgenommen.
Gewürzt mit einer großen Prise Selbstsicherheit für die Wahrheit des Wahrgenommenen wird daraus dann das, was wir zu sehen glauben. Ohne die Selbstsicherheit müssten wir bei jedem Schritt zögern und prüfen; wir kämen am Tag also nicht allzu weit.
Ähnliches passiert in den Ohren und in der Nase, wobei hier noch Vergleichserinnerungen (besonders bei Gerüchen auch emotionale Bilder) herangezogen werden und ein Abgleich mit den übrigen Sinneswahrnehmungen stattfindet. Kommt es zu Widersprüchen, so reagieren wir unsicher, aufmerksam oder verwirrt. So entstehen etwa die Seekrankheit oder die Höhenangst aus gegenläufigen Informationen, die das Gehirn nicht in Einklang bringen kann.
Darauf werden dann weitere aktive Filter gesattelt, die un- und halbbewusst ablaufen oder über Verdrängungsmechanismen funktionieren. Hier können dann logische Zusammenhänge verloren gehen, komplexe Zusammenhänge vereinfacht werden oder Vorbewertungen nur das Erkennen erwarteter Wahrnehmungen zulassen. Einfacher ausgedrückt: wir biegen uns sogar noch unsere Wahrnehmung so zurecht, wie wir sie haben wollen.

Der Vorteil unserer Wahrnehmung dürfte offensichtlich sein: sie erlaubt uns die Orientierung, verbraucht nicht so viel Gehirnleistung und gibt uns Sicherheit. Die Nachteile hingegen fallen in der normalen und erlernten Wahrnehmung kaum auf, da sie für das tägliche Funktionieren nicht ins Gewicht fallen. Dennoch bedeuten sie, dass wir nur einen Bruchteil der Realität wahrnehmen können (und wollen).
Allein schon das Wissen über unsere Wahrnehmung sollte uns kritisch werden lassen und zum Hinterfragen Anlass geben. Dieses Wissen besteht seit Jahrzehnten und Jahrhunderten, wurde lange erforscht, diskutiert und geprüft; es stellt also nichts dar, an dem noch viel gedeutelt werden könnte. Dennoch schalten wir die Filter ein und blenden das Wissen einfach aus, damit wir das als Realität sehen können, was wir als Realität sehen wollen.



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (19.02.10)
Nun ja, flüssig geschrieben, aber mir zuviele Binsenweisheiten und praktisch nichts neues, überraschendes, humorvolles, provokatives, albernes, wieauchimmer, kurzum: Mir viel zu brav.
my.sister.whispers (31)
(21.02.10)
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