KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Montag, 30. Oktober 2023, 17:37
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Denkmalschutz

840. Kolumne

Thomas Manns Roman LOTTE IN WEIMAR ist eine nüchterne Zurücknahme seiner Goethe-Begeisterung in frühen Jahren. Das Buch ist, so gesehen, eine (teils) heitere (Selbst-)Kritik. 
Zufällig fand ich in einem Offenen Bücherschrank eine neuere Goethe-Biografie von Karl-Heinz Schulz (Reclam, 1999) und konnte etliches untersuchen, inwieweit die Kritik an Ihm Selbst auf Fakten beruht oder fiktiv ist: Ziemlich gut belegt alles, etwa seine Abstinenz von nationaler Gesinnung, seine Napoleon-Bewunderung, seine Eitelkeit: Als der Orden von N nach seiner Niederlage nicht mehr konvenierte, erbat und erhielt er einen Staatsorden des österreichischen Kaisers ... und erhielt er einen Staatsorden des österreichischen Kaisers ... Auch die Personen werden getreu gezeichnet. Sehr fiktiv und nicht immer überzeugend bzw. wahrscheinlich sind allerdings die Gefühle von Lotte geb. Buff. Ein auch stilistisch kokettes Spiel, das TM hier treibt, inklusive der möglicherweise humorvollen Selbst-Spiegelung des Großschriftstellers TM in Jupiter Goethe.
LOTTE IN WEIMAR zwingt mich immer mehr dazu, mein eigenes Goethe-Bild zu überprüfen, wie Thomas Mann. 
Ich fand in einem der Bonner Bücherschränke eine sehr konzise Biographie von Karl-Heinz Schulz (Reclam 1999), in der Goethe auf der Grundlage der Quellen nüchtern beschrieben wird. TM hat offenbar das meiste auch damals schon recherchiert. Der ältere Goethe (etwa ab 1805) gibt zunehmend kein gutes Bild ab, er wird immer konservativer, 'verknöchert' entsetzlich, auch politisch - während sein Landesherr Carl August immer liberaler und moderner denkt. Eine schaurige Geschichte ist Goethes Sohn August ... Es ist etwas deprimierend, wie ein poetischer Genius in Dingen des Alltags und in den menschlichen Beziehungen so schwach wird ... in TMs Roman wird es schonungslos herausgearbeitet. Lotte wird immer mehr zur Zuhörerin und Anlass einer Goethe-Biografie. Möglicherweise ist der oft arg gedrechselte Sprachstil, der zur Zeit um 1800 passt, ironisch gemeint; diesmal aber nicht gegen Goethe, sondern vielleicht gegen das gläubige Bildungsbürgertum 1939ff. (ich trau's ihm zu), denn der frühere Bildungsbürger war oft autoritätsgläubig, und so gibt es auch einen unterschwelligen Bezug zur politischen Ebene vor dem Weltkrieg. TM arbeitet sehr ausführlich Goethes Verehrung Napoleons heraus, die zu einem großen Teil auf Selbsttäuschung beruht ... - Interessant fand ich, dass sich Goethe mit den WAHLVERWANDTSCHAFTEN noch ein letztes Mal zusammenreißt und ein epochemachendes Werk schreibt und FAUST II vollendet, obwohl er schon an der Langeweile seines Lebens leidet und Ruhe sucht. Dieser erste Eheroman ist genial UND fleißig entstanden. WILHELM MEISTERS WANDERJAHRE dagegen zeigen, dass der Großschriftsteller keine Lust mehr hat, zu der Zeit trinkt er (nachweislich!) täglich 2-3 Liter Wein, und so entsteht unfreiwillig ein fragmentarisch-moderner Romanansatz ...
 
 

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