KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Dienstag, 01. Januar 2008, 23:18
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OTHELLO.THERAPIE

WARTEN AUF EINSICHT:
A GAME PLAYING TO WIN
Beat Fäh inszeniert gründlich lukullisch John von Düffels subtiles Stück über Frauen-Vordergründe und ihre Männer-Hintergründe.


Das ist das dritte abendfüllende Stück des in Bonn erfolgreichen 35-jährigen Dramatikers John von Düffel, der noch im letzten Jahr am Schauspiel Bonn als Dramaturg arbeitete. Erst sahen wir „Rinderwahnsinn“; zuletzt „Balkonszenen“, ein Stück über Beziehungs- und Lebensprobleme - ein virtuoses Durchspielen und Abspielen von Annäherungen und Entfremdungen, hohlem Gelabere und Seelengekotze während einer Party. Der Zuschauer sieht nur, was sich auf dem Balkon abspielt, Paare und Passanten der Party, ein Nebeneinander und Nacheinander von Episoden, gut gemacht, gut gespielt von einem launigen Ensemble unter der Regie von Beat Fäh, der jetzt, wieder mit seiner Bühnenbildnerin Carolin Mittler, auch OTHELLO.THERAPIE inszenierte.

Diesmal war das Thema des kommunikativen Scheiterns und des Misslingens von Lebensplänen noch genauer zugeschnitten auf das Verhältnis zwischen Männer und Frauen - und zwar aus der Perspektive von vier Frauen. Drei von ihnen unterhalten sich fast ununterbrochen über ihre Männer, ihre Träume, ihr Versagen ... sie gehören zum gleichen Stück: Shakespeares „Othello“. Desdemona, Othellos Erdrosselte, Emilia, Jagos Erstochene, Bianca, Cassios Ex, leben in einer Art Hölle weiter, in unserer Gegenwart, in der sich gegenüber früher nichts wirklich geändert hat, die Gegenwart ist die Hölle, die Hölle ist eine Bowlingbahn, der Ort der Ablenkung von der Einsamkeit in einem männerlosen Leben, aber wir hören oder sehen immerhin die Reflexionen der Frauen.

Sie arbeiten in vielen Worten ihre Vergewaltigungen ab, die seelischen und körperlichen Verletzungen, ihre Demütigungen, die überzogenen und enttäuschten Sehnsüchte. Sie versuchen Gründe ihres Leids zu erkennen. Sie erkennen aber erst einmal nicht viel. Sie kommen aus der Lebens-Falle nicht heraus: Sie wollen schön sein, begehrt, sich selbst gefallen, anderen gefallen, fallen. Sie outen sich fortwährend mit ihrem Hunger nach Leben, mit ihrer Fixierung auf die Anerkennung durch den Mann (ihrer Träume und Sehnsüchte), den es nicht (mehr) gibt.

Die drei Frauen warten und warten auf Leben, aber das kommt nicht. Hier erinnert der parabolische Plot des Stücks ein wenig an Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ und Becketts „Warten auf Godot“. Das Warten ist ihr Weg, die Therapie zur Beendigung ihrer Einsamkeit und ihre Obsession, Frauen für Männer zu sein, diese Therapie ist das Ziel - für die Frauen und für das Publikum, das über die Komik der tragischen Frauen (mit Recht) viel zu lachen bekommt.

Männer lassen lieben. Shakespeares Ludovico wird der Zuhälter, dem die Kurtisane Bianca noch in Trotz und Widerstand erliegt, sie ist doppelt seine Nutte. Auch die beiden anderen Frauen waren in ihrer Liebe in die passive Rolle gezwungen, sie hatten nichts zu sagen und sie haben nur die eine Ehre zu verlieren, die in der Männersprache Unschuld genannt wurde; sie können die Ehre des Mannes nie gewinnen. Die drei Frauen rivalisieren, wenigstens in Gedanken, als Frauen um Männer, und sie konkurrieren als Frauen unter Frauen, solange sie sich, also ihre Fehler, rechtfertigen. Frauen brauchen einander. Das zeigt der Schluss - Bianca und Desdemona beginnen sich gegenseitig zu verstehen und erkennen: Wenn sie weiter allein blieben, würden sie sich selbst nicht mehr ertragen. Der melodramatische Schluss ist gekonnt ironisch gebrochen durch den „ewigen Blues Gary Moores“ über die Liebe, der schon zu Beginn des Stücks aus der Jukebox ertönte: „... I found that love Was more than just a game Playing to win But to loose just the same...“ und dann die Vollendung des Rahmens mit dem Taschentuch, der wichtigsten Requisite in Shakespeares „Othello“ - das Taschentuch als Vexierspiel der Perspektive: Wahrheit oder Täuschung.

Die vierte Frau, „Die häßliche Bärbel, Serviererin“, sagt (fast) nichts. Sie stellt mit „Rodrigo, der Häßliche, The Phantom of the Bowling Hall“, auch er eine Figur aus „Othello“, die auch nicht viel sagt, eine kommentierende ‘Parallelhandlung’ dar, ein Komödienkniff, den auch Shakespeare anwandte. Häßlich sind die beiden, weil sie die schönen Reichen bedienen müssen. Der soziale Gegensatz, die Rollenverteilung, bleibt während des ganzen Stücks konstant. Beat Fäh hat hier mit Mitteln des Tanztheaters gearbeitet. Was die beiden, meist stumm im Hintergrund und im Vordergrund der Bühne bieten, sind Kabinettstückchen mimischen und körpersprachlichen Erzählens. Rodrigo, der Mechaniker mit dem Ölkännchen, ist der einzige sichtbare Mann im ganzen Stück - er ist das Demonstrosum, mit dem jede zu große Vision vom Mann lächerlich gemacht wird: der Mann schlechthin, der Othello in jedem von uns, der Liebende, der Rasende, der Vulgäre, der arme Repräsentant im Vergleich mit den schönen Reichen. Während der Frauendialoge spielen die beiden viele Varianten des Liebesspiels und des Geschlechterkampfs durch.

Eine grandiose Idee, die von Düffel da angelegt hat, großartig, wie Beat Fäh das umsetzt, virtuos realisiert von Manuela Burkhard (vom Choreographischen Theater der Mikulastic-Truppe) und Martin Schurr!

Das „Taschentuch“ - zu Beginn verschnupft, am Ende geheilt: Glänzend über Lautsprecher intoniert von Till Weinheimer.

Als Birte Schrein (Bianca) nach den etwas ermüdenden Dialogen Desdemonas und Emilias ihren ersten Auftritt hat, vibriert die ganze Bowlingwelt, in der wir warten. Sie hat zum einen die derbe Seite dieser wunderbar ausdifferenzierten modernen Komödie umwerfend herausgespielt. Selten sah man, dass eine Frau sich so brüstete, so kraftvoll die feineren Frauen verdrängte. Sie spielte hier eigentlich das maskuline Repertoire strotzenden Selbstbewusstseins aus - sie war als Frau, als Nutte, eine Karikatur auf den Mann. Zum andern war sie, vom Mann her gesehen, eine feine Karikatur auf die primär geschlechtlich sich verstehende Frau. Ein schönes Vexierspiel.

Claudia Kaske (Emilia) spielte überzeugend die sprachlichen und intellektuellen Moden der modernen Frau, Betroffenheit, Bedenklichkeit, Nuancen der reflexiven Wachsamkeit, und sie wuchs, weil ihr der Text und der Schluss dabei halfen, immer überzeugender in diese Rolle.

Louisa Stroux (Desdemona), die am Bonner Theater schon Erstaunliches geleistet hat, war für diese Rolle etwas zu jung. Desdemona in Shakespeares „Othello“ hätte sie spielen können, nicht aber diese Frau in Düffels Stück. Sie ist, trotz guter Stimme, noch zu mädchenhaft, körperlich, mimisch und gestisch. Sie nimmt daher Claudia Kaske die Wirkung, die sie an einer reiferen Desdemona entfalten könnte.
Alexandra von Schwerin, die wie alle anderen genannten Schauspieler schon in den „Balkonszenen“ mitspielte, hätte die Rolle überzeugender gespielt.

Alles in allem:
Ein gutes neues Stück, modern komponiert, sprachlich genau und nur wenig zeitgeistigen Moden verpflichtet - eine hintergründige Komödie ohne vordergründiges Happy-End; den guten Schluss müssen sich die Zuschauer selbst suchen. Der Erkenntnisprozess wird durch die vielen wahren, stellenweise aphoristischen Sätze und Dialoge angestoßen.
Das Stück, durch Prolog und Epilog des Taschentuchs, Songs aus der Musicbox und vor allem die zwei Auftritte Biancas gegliedert, überzeugt mit dieser Struktur. Der dialogische Bogen wird wirkungsvoll gespannt. Die Musik kommt immer gut! Carl Ludwig Hübsch singt, begleitet von Uwe Oberg am Piano und Sebastian Gramss, Kontrabass, wunderbar ironisch, richtig zeitgeistkritisch.
Die Inszenierung ist kongenial.

Das Programmheft enthält den gesamten Text des Stücks. Lesenswert! Das bisher beste Stück John von Düffels!

Der Abend ist absolut lustig und unterhaltsam für einfache Gefühlsmenschen und anspruchsvolle Intellektuelle. Mit Recht ganz großer Applaus. Das Stück ist ein Muss! Nichts wie hin!



Prolog: Taschentuch

400 Years later in a Bowling Hall - Song: „Used to be so easy...“ (‘Garry Moores
ewiger Gitarren-Blues’)
Jealousy Dreaming
Body-Haunt
Ancient Melody: Shakespeare Revisited
Hypothetical Love - Song: „Smoke gets in your Eyes“
The Absence of Fate - Song: „You win again“ (Hot Chocolate)
Take a Look at Me Now! - Song: „Against all Odds“ (Phil Collins)
Liebe ist stärker - (Abrupter Music-Cut)
Curiosity Killed the Cat
Grandprix of Jealousy - Song: Only you (Platters)
State of Grace
- Song: „Used to be so easy...“

[Epilog:] Taschentuch



Ulrich Bergmann

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