KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Mittwoch, 25. März 2009, 16:22
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WIR LEBEN NUR, ZU STERBEN

„WIR LEBEN NUR, ZU STERBEN“
Variationen über Hölderlin und Baader-Meinhof

132. Kolumne

Der vierte Akt ist die Mitte dieser elektronischen Nummern-Oper: Toter Trakt, Trostlos, Klagelied, Trauermarsch - das sind die vier Szenen, auf die alles hinausläuft: Der zuletzt gewollte Tod der Ulrike Meinhof in einer Gesellschaft, die sie in den Selbstmord trieb, ist das Thema; die anonyme Mörderin ist die kapitalistische Gesellschaft - ein perfekter Mord, weil er straffrei bleibt: Entweder Problem oder Lösung, das war das Lebensmotiv der terroristischen Kritikerin Ulrike Meinhof, die Tragik einer modernen Antigone. Die bürgerliche Gesellschaft hatte sich damals entschieden: Für eine kapitalistische Demokratie, die herrschende Elite nannte, mitten im Kalten Krieg, ihre Gesellschaft wehrhaft. Die junge Gesellschaft Westdeutschlands, gegründet auf materielle Werte, war schwach, sie vertrug nicht die Wahrheit hinter dem Terror der Baader-Meinhof-Bande:

„Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt.“ [Carl Schmitt]

Die westdeutsche Gesellschaft wurde der terroristischen Gewalt immer ähnlicher - schon als sie in der Zeit der Studentenunruhen 1968 mit unverhältnismäßiger Polizeigewalt auf Studenten eindrosch. Damals hatten viele, zu Recht, Angst vor einem Polizeistaat, die Hitlerzeit war noch nicht lange vorüber.
Ulrike Meinhof, der diese ‘Originaltonoper’ (gemeint ist mit diesem Begriff wohl die unmittelbare Performation von FM Einheit) hauptsächlich gilt, dachte andersherum: Die Gewalt des Kapitals (damals besonders deutlich im Pressekonzern Axel Caesar Springers) muss mich gewalttätig machen, ich muss mich wehren, wir brauchen die wehrhafte Basis. Das Ganze ist eine dialektische Tragödie, eine Doppeltragödie: Der Untergang des Einzelnen und der Untergang einer lebenswerten Gesellschaft.

Furchtbar ist es, zu töten.
Aber nicht andere nur,
Auch uns töten wir, wenn es nottut,
Da doch nur mit Gewalt diese tötende
Welt zu ändern ist, wie
Jeder Lebende weiß.
[Bertolt Brecht]

Andreas Ammer, der das kluge und dichterisch subtil collagierte Libretto schrieb, nennt die Oper mit Recht ALZHEIMER 2000 - aber der Titel ist zu reißerisch. Die vergessende Mehrheit der deutschen Gesellschaft hat die berechtigten Motive der terroristischen Kritik verdrängt, wir sollen uns erinnern und uns endlich der Kritik stellen: Wir sollen uns fragen, ob unsere gesellschaftliche Wirklichkeit ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Diese Oper greift, nun in einer ruhigeren Zeit, Bölls Forderung nach einem Geleit für Ulrike Meinhof wieder auf. Sie will einen neuen Diskurs über alte Themen, sie ist „ein Stück gegen das kollektive Vergessen“ (Ammer).

Das gelingt dieser Oper enorm gut. Sie stellt das Leid der Protagonistin dar, die erotisch, vielleicht im Sinne einer hölderlinschen Romantik, angetrieben wird von Andreas Baader, was den politischen Kampf gegen das verhasste System in der Sphäre des Privaten überhöht und motiviert, partiell sogar rechtfertigt.
Ammer mischt in Ulrike Meinhofs und Andreas Baaders Worte immer wieder Worte Hölderlins - viel zu gut für die immer noch so bürgerlichen Opernhäuser - großartig aber für die Poesie der politischen Liebe.

ANDREAS:
„Aber wie fremd wird uns die schöne Seele,
wenn sie nach dem ersten Aufblühen,
nach dem Morgen ihres Laufs hinauf zur Mittagshöhe muß.
Man erkannte fast das seelige Kind nicht mehr,
so erhaben, so leidend war sie
auf dem Fahndungsplakat geworden.
Eine Flamme war ihr ins Auge gestiegen
aus der gepreßten Brust.
Es war ihr zu enge geworden im Busen
voll Wünschen und Leiden.
Darum waren die Gedanken des Mädchens so herrlich und kühn.
Sie war ein höheres Wesen.
Sie gehörte zu den Sterblichen nicht mehr.“
[VI Die Befreiung. Arie der Ulrike]

Bewegende Bilder von der Jagd auf die Baader-Meinhof-Bande erscheinen auf dem gläsern erscheinenden Zylinder über der Drehbühne (das Gesellschaftsgefängnis). Dann der großartige Einfall der Regie: Andreas Baader (Erik Biegel - gesanglich und darstellerisch wie schon in „Operation Mitternacht“ von Richard Farber sehr überzeugend) und Ulrike Meinhof (Jasmin Tabatabai - wie ein großes Kind, wissend und schuldig, naiv und lasziv, so stelle ich mir Anouilhs Antigone vor - gut gespielt und gesungen) klettern über alle Stühle des Parketts, sie gehen über uns hinweg, sie gehen sozusagen über bourgeoise Leichen - da wird deutlich, wie ihr gesellschaftlicher Kampf oder ihr Kampf für eine neue Gesellschaft auch inspiriert ist von ganz privaten Motiven:

ULRIKE: Wollen wir jetzt bumsen?
ANDREAS: Was sagst du?
ULRIKE: Ich mein: Du hast immer gesagt: Ficken und Schießen ist ein Ding.
ANDREAS: Und du hast gesagt: Antiimperialistischer Kampf und sexuelle Revolution gehen zusammen!
ULRIKE: Und wer hat recht?
ANDREAS: Du bist eigentlich nur eine liberale Fotze. Dir ist es unmöglich den Kampf deinen Fotzenbedürfnissen anzupassen. Du willst blöde überleben.
ULRIKE: Wie du meinst. Die brauchen uns aber so.
ANDREAS: Die wollen das so.
ULRIKE: Ja. Die funktionieren gar nicht ohne uns.
ANDREAS: Wahrscheinlich nicht. Nein.
[VIII Andreas & Ulrike]

Das ist wirklich gut gemacht.
Aber die Rahmenhandlung, Baader und Meinhof als alte Menschen, gefällt mir nicht. Das ist der Alzheimer im Anti-Alzheimer - oder die Antiverfremdung mitten in der Verfremdung. Denn hier werden die beiden Gestalten zu sehr auf bürgerliches Normalmaß reduziert, dem sie doch entkommen wollten und konnten. Diese Brechung ist mir zu sentimental, zu nah am Musical dran. Das ist ein falsches Angebot ans Publikum, denn es könnte missverstanden werden als Zurücknahme der Kritik.

Die Musik von FM Einheit passt kongenial zum Textwerk, wo sie Situationen rhythmisch und als Klang-Kommentar begleitet. Da hebt die Musik alles, am allerbesten gelingt das im IV. Akt, der musikalische Pathos ist absolut angemessen. Manche liedhafte Kompositionen (‘Arien’) sind mir zu einfach in Melodik und Harmonien - hier kann FM Einheit analog zu seiner klanglichen Innovationskraft mehr wagen. Leider wird der gesungene Text oft übertönt von der elektronischen Power - im Opernhaus gelten andere akustische Bedingungen als in einem Radio-Studio.

Eine wichtige Oper! Sie ist gedanklich sehr schön (wahr) und musikalisch so mitreißend, dass ich allein wegen der akustischen und optischen Performance von FM Einheit immer wieder reingehen könnte. Aber sie braucht andere Aufführungsorte, etwa Fabrikhallen oder Gasometer! Die Bonner Oper war (vielleicht) ein Versuch, das bürgerliche Publikum zu erreichen. Das musste schiefgehen.
Ich wünsche mir nun noch eine tolle CD der Oper mit beigefügtem Libretto - und einem besseren, entschiedeneren Titel.

Ulrich Bergmann





I. AKT: SPÄTER IM LEBEN. DIE FÜNFTE. BURN WAREHOUSE BURN.
II. AKT: ROMANTISCHER MONOLOG. IM FERNSEHEN. BEFREIUNG. DAS BKA.
III. AKT: ANDREAS UND ULRIKE. FAHNDUNGSPLAKAT. 6 GEGEN 60 MILLIONEN. HAFTSTATUT.
IV. AKT: TOTER TRAKT. TROSTLOS. KLAGELIED. TRAUERMARSCH.
V. AKT: TOD UND ERKLÄRUNG. REQUIEM. SPÄTER IM TOD.

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