BlackHört

Un-Erhörtes aus der Musikwelt


Eine Kolumne von  BLACKHEART

Montag, 04. April 2016, 21:38
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Was ist Popmusik? - Tag 2

19.02. - Tag 2

"Das Wesentliche der Popmusik - aus musikwissenschaftlicher und -ästhetischer Sicht"
Mit diesem Thema vom Musikwissenschaftler RALF VON APPEN ging es am nächsten Morgen um kurz nach zehn weiter.

Zum Einstieg ging auch er auf Unterschiede zwischen klassischer und populärer Musik ein. Letztgenannte ist heutzutage in gewissen Kreisen noch immer negativ behaftet, wohingegen klassische Musik als abendländische Kunstmusik und ernste Bildungsmusik angesehen wird. Die typische Hörerschaft von klassischer Musik ist also ideologisch vorgeprägt.

Anschließend stellte VON APPEN die Musik als dreidimensionales Gebilde dar.
Die erste Dimension bezeichnete er als "Material" und umschrieb sie wie folgt:
"Musik ist von Menschen organisierter Schall, der mit der Intention organisiert wird, dass er (auch) für ein selbstzweckhaftes Hören attraktiv ist."
Als Mittel zur Organisation nannte er anschließend u.a. die Instrumente, Spieltechniken, Tempi, Takte, etc.

Hierbei gibt es allerdings einen Grenzbereich. Junge (klassische) Komponisten greifen heutzutage immer wieder auf Elemente aus der populären Musik (z.B. JIMI HENDRIX) zurück.

Als zweite Dimension hatte VON APPEN die "Funktion" ausgemacht.
Nicht jede Musik wirkt auf jeden gleich. (Ich z.B. kann SLAYER deutlich mehr abgewinnen als BEYONCE, aber das nur am Rande.)
Des Weiteren ist Musik eine Kunstform und wie andere Kunstformen auch, hat sie einen Einfluss auf die Menschen, die sich ihr aussetzen. Ein Eintauchen in andere Welten etwa.
"Pop erfüllt alle möglichen Funktionen, während sog. Kunstmusik sich auf die Funktion, Kunstmusik zu sein, beschränkt." so VON APPEN.
Außerdem zitierte er den Musikphilosophen THEODORE GRACYK, der in seinem Werk "Adorno, Jazz and the Aesthetics of Popular Music" folgendes schrieb: "Kunstmusik erfordert die völlige Aufmerksamkeit des Hörers. Vorbildung ist notwendig."
Und weiterhin: "Pop ist einfach zu verstehen" (wenn das Genre bekannt ist) ", so dass keine Vorbildung nötig ist. Zugänglichkeit ist ihm wichtiger als die Funktion des Selbstzwecks."

Die dritte Dimension der Popmusik ist für VON APPEN die "diskursive Rahmung".
Hier führte er den deutschen Musikphilosophen CHRISTIAN FRIEDRICH MICHAELIS an, der Ende des 18. Jahrhunderts den "Musikus" als "Künstler" einstufte, den "Musikanten" aber als "Handwerker".
Ähnlich ist es laut VON APPEN auch heutzutage noch. Klassische oder Kunstmusik wird mit dem typischen Brimborium inszeniert: schicke Anzüge, feine Abendkleider und Sekt in entsprechenden Locations.
Pop im Gegensatz dazu ist ungezwungen und frei und funktioniert auch in kleinen verschwitzten Klubs oder unter freiem Himmel auf Kuhweiden.

Zu allen drei Dimensionen hatte er auch Beispiele zur Hand.
 Dimension 1
 Dimension 2
 Dimension 3

Zum Ende seiner Ausführungen hin, machte VON APPEN noch einen kleinen geschichtlichen Exkurs.
In den 30er Jahren war der Swing die vorherrschende populäre Musik, während in den 50ern der sich daraus entwickelte Pop nur noch etwas für die "Alten" war. Die jungen Menschen hörten Rock’n’Roll.
Ein ähnliches Bild in den 60ern: Die Jugendlichen hörten Beat-Musik, Pop war für die Älteren und die ganz Kleinen.
Heutzutage wird Pop von der Masse durchweg als positiv betrachtet. Schlager hingegen nicht, weshalb die großen Schlagerstars wie HELENE FISCHER inzwischen dem Pop zuzurechnen sind.

VON APPEN schloss schließlich mit folgendem Eingeständnis:
"Akademiker sollten Musik und die Hörer nicht abwerten, wie sie es lange Zeit (unbewusst) getan haben, da sie in der Gesellschaft als "intelligenter" oder "weiser" dastehen."
Dem kann ich mich als Nicht-Akademiker mehr als nur anschließen.

Nach einer kurzen Pause wurde die Veranstaltung mit dem kasselaner Literaturprofessor DR. STEFAN GREIF fortgesetzt. In seinem Vortrag mit dem Titel "Rock Power - Zwischen Revolte und kultureller Anpassung." befasste er sich mit dem Buch "Rock Power oder Wie musikalisch ist die Revolution?" des Popjournalisten und Schriftstellers HELMUT SALZINGER, welches im Jahr 1972 erschien.

In diesem Buch beschreibt SALZINGER einige Thesen vor dem Hintergrund der 68er-Bewegung und dem damaligen Linksruck im Denken und Handeln der Gesellschaft.
Zunächst betrachtete er den bereits genannten FRANK ZAPPA als "Kunstmacher", nicht aber als Musiker. Außerdem war SALZINGER der Auffassung, dass ZAPPA sich mit seinem Verhalten (u.a. dirgierte er bei einem Konzert 1970 seine Band) als elitär und autoritär darstellte und somit den Rock parodieren würde.
Rock ist für SALZINGER nämlich etwas ganz anderes. Abgeleitet von KARL MARX’ "Das Kapital" schrieb er in seinem Buch "Rock Power":
"Rock ist ein Gebrauchswert, der ein besonderes Bedürfnis befriedigt. Um ihn hervorzubringen bedarf es einer Art produktiver Tätigkeit. Sie ist bestimmt durch ihren Zweck, Operationsweise, Gegenstand, Mittel und Resultat."

SALZINGER sah den Rock als eine Art linken Anarchismus, der eine alternative Gesellschaft hervorbringen wolle.
Das Publikum sei der Träger des Rock, dieser wiederum könne ein politischer Meinungsträger sein. Im Gegensatz zum Pop, da die Hörer dieser Musik nicht wüssten, von wem sie agitiert werden.
SALZINGER sah den Rock als eine bewusstseinserweiternde Energie und als revolutionäre Kraft an, die sogar eine "Bedrohung der Ordnung" darstellen würde. Als Beispiel nannte er den Song "Volunteers" von JEFFERSON AIRPLANE, der durch seine textliche Struktur eine Zensur unmöglich mache, gleichzeitig aber Widersprüche in der Gesellschaft darlege.

SALZINGER stellte weiterhin fest, dass der Rockfan, allem revolutionären Drängen zum Trotz, immer noch Konsument ist, allerdings mit anderen Bedürfnissen (z.B. Kopfhörer, etc.). Deshalb dürfe auch nicht länger am Konsumenten vorbeiproduziert werden. Nichtsdestotrotz sieht SALZINGER in dem Spannungsverhältnis von Produzenten und (Rock)Konsumenten nur eine Pseudorevolution.

Die wahre Revolution müsse von den Rockmusikern ausgehen. Diese müssten sich selbst als Vorbilder und "Träger" der Revolution sehen, da diese sonst im Sande verlaufen würde.
SALZINGER sah den Pop als Modetrend und falsches Bewusstsein an, während eine Rockband für ihn die Blaupause des nachrevolutionären Lebens darstellte. Hierunter verstand er das Zusammenleben der Mitglieder und den gemeinsamen Drogenkonsum, der, aus SALZINGERs Sicht, Aggressionen abbauen und den Zusammenhalt des Kollektivs fördern solle. Sein Paradebeispiel für dese These waren (wie sollte es anders sein) THE GRATEFUL DEAD.
Auch CROSBY, STILLS, NASH & YOUNG wurden in diesem Zusammenhang genannt, da hier alle vier Musiker absolut gleichberechtigt waren.

Nur fünf Jahre später sah SALZINGER die "Revolution" als gescheitert an und widerrief alle seine Thesen.

In der nun folgenden Diskussion kam heraus, das SALZINGER nur fünf oder sechs Bands als "Rock" anerkannte. Bands wie LED ZEPPELIN oder DEEP PURPLE waren in seinen Augen/Ohren Pop.
Desweiteren kam man auch darauf zu sprechen, dass Rock nicht nur links-, sondern auch rechtspopulistisch sein und auch in diese Richtung bewusstseinserweiternd wirken kann.

Die nun folgende Mittagspause verbrachten fast alle Anwesenden in einem nahegelegenen Restaurant, wo bereits im Vorfeld ein Tisch reserviert worden war. Sowohl auf dem Spaziergang dorthin und später wieder zurück, als auch beim Essen selbst, wurde natürlich fast nur über ein Thema geredet: Musik in allen Facetten. Auch die bisherigen Beiträge waren Themen dieser Unterhaltungen.

Da einer der vorgesehenen Referenten kurzfristig gesundheitsbedingt abgesagt hatte, fiel die Mittagspause etwas länger aus. Gegen 15:00 Uhr hatten sich dann aber wieder alle im K19 eingefunden und der letzte Redebeitrag stand an.
CARSTEN KRIES benutzte für seinen Vortrag als Einziger keine visuellen Hilfsmittel wie Power Point oder pdf, sondern brachte sein Thema "Absolute Popmusik - Zur Metaphysik der Popmusik zwischen ADORNO und SCHOPENHAUER" nur mit Worten rüber, was eine höhere Aufmerksamkeit beim Publikum forderte.

KRIES teilte seinen Vortrag in zwei Teile auf:
- "ADORNOs Definition des Pop" und
- "SCHOPENHAUER: Das Wesen der Musik"

"ADORNOs Definition des Pop"

THEODOR W. ADORNO, seines Zeichens Musikphilosoph, erkannte bei klassischer Musik, dass ein Teil das ganze Werk bestimmt und anders herum. Dies sei der Sinn der klassischen Musik. Nimmt man ein Teil des Werkes weg, nimmt man damit gleichzeitig auch den Sinn des Werkes weg.
Beim Pop erkannte er Standarts, in Form von ständigen Wiederholungen. Einzelne Teile, auch komplex angeordnet, verschleiern diese Standarts lediglich.
Pop ist für ADORNO ein Konsumprodukt, das lediglich immer wieder als neuartig getarnt wird. Jazz ist für ihn nur eine Pseudoindividualität, aufgrund der begrenzten Improvisazionsmöglichkeiten, und damit letzten Endes auch "nur" Pop.
Durch das immerwährende Wiederholen, in Form von Üben bis zur Perfektion, würde das Geistige in der Musik verdrängt werden.

"SCHOPENHAUER: Das Wesen der Musik"

Der Philosoph ARTHUR SCHOPENHAUER suchte nach der "absoluten Musik". Allerdings war sein Suchfeld begrenzt, da er nur die klassische (Kunst)Musik kannte, die seiner Meinung nach eine metaphysische Komponente hat. In Bezug auf Pop sah er allerdings ein Problem in Bezug auf Metaphysik und Ästhetik.

Den Rahmen von SCHOPENHAUERs Denkansatz bilden die Begriffe "Wille" und "Vorstellung". Dem "Willen" liegt ein Drang zugrunde, trotzdem er immer gleich bleibt. Der "Vorstellung" wohnt ein "Erkennen" inne, das jedoch individuell verschieden ist.

Laut SCHOPENHAUER bildet Musik keine Ideen ab, sondern den Willen selbst. In allen anderen Künsten ist es die Idee, die den Willen abbildet.
Daraus leitet sich die Frage ab, ob Musik überhaupt Kunst ist. SCHOPENHAUER sagt "Ja, allerdings eine besondere Kunst."
Deshalb konnte er Musik in seinem Kontext von Kunst auch nie als solche anerkennen.
Sein Ansatz hieraus ist also: "Wenn Musik keine Kunst ist, dann muss sie leiblich sein, auf den Leib drängen."
Sie muss also erlebbar sein, etwas wozu SCHOPENHAUER allerdings nie in der Lage war.

Wenn SCHOPENHAUER also von "absoluter Musik" redet, dann kann es sich nicht um klassische, sondern nur um Popmusik handeln.

Als Synthese dieser beiden philosophischen Ansätze sieht KRIES folgendes: "Pop bezweckt ein unmittelbares Erlebnis durch Wiederholung." Letzteres macht sich z.B. durch die Melodie bemerkbar, die dazu verführt, mit den Fingern zu schnipsen, etc.
Pop ist also keine Darbietung, sondern, im Vergleich zu klassischen Musik, ein Erlebnis.

Die Tagung endete schließlich mit einem musikvideogespickten Bühnengespräch zwischen THOMAS MEINEKE, der am Vorabend aus seinem Buch vorgelesen hatte und CHARIS GOER, die sich bereits in einigen der vorangegangenen Diskussionen hervorgetan hatte.
Sie begannen mit dem Video zum Song  "Where are we now" von DAVID BOWIE, welches eine Retrospektive BOWIEs auf seine Berliner Zeit darstellt. Außerdem ist es auch ein Beispiel für die unglaubliche Wandlungsfähigkeit BOWIEs, vergleicht man es z.B. mit  "The Stars are out tonight".

Das zweite Video war  "Work it" von MISSY ELLIOTT, in dem sich viele kleine Anspielungen auf die Geschichte der Afro-Amerikaner befinden.

MISSY ELLIOTTs Tanzeinlagen brachte MEINEKE und GOER auf das Thema "Breakdance und wie es sich weiter entwickelt hat", weshalb sich das nächte Video um  "Footwork" drehte. Wie man schon hört, tanzt man auf diese Art nicht mehr zu HipHop, sondern eher Sounds aus dem Minimal-Bereich, teilweise sogar zu Schranz.

Die weiteren Videos spare ich mir an dieser Stelle, weil sie nichts Essentielles mehr enthielten. Dementsprechend verlief der Übergang in das Ende der Veranstaltung auch fließend. Bei Würstchen und Kaltgetränken kam man noch ein wenig ins Gespräch, bevor es dann nach Hause ging.

Das war also mein kleiner Ausflug in die Welt der Musikphilosophie.
Ein Ausflug, den ich in der Form nicht noch einmal machen möchte/werde. Meiner Meinung nach haben alle Redner nämlich etwas Essentielles außer acht gelassen: die Musik an sich.
Musik will nicht kategorisiert und seziert werden. Sie will nur eins: Emotionen auslösen. Und das tut sie bei mir immer noch.

In diesem Sinne:

Haltet die Ohren offen!

Zum Beispie für meine TOP 5 der Bands und Künstler, die in dieser Kolumne genannt werden.

Platz 5: DAVID BOWIE
Platz 4: JEFFESON AIRPLANE
Platz 3: CROSBY, STILLS, NASH & YOUNG
Platz 2: LED ZEPPELIN

und

Platz 1: DEEP PURPLE

Danke fürs Reinhören.


euer BLACKHEART


Song der Woche: "Time to say Goodbye" von SHADOWSIDE

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Graeculus (69)
(05.04.16)
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 Dieter_Rotmund (06.04.16)
Dito. Bin aber nicht mit allen gelesenen Meinungen einverstanden. Z.B. "Pop im Gegensatz dazu ist ungezwungen" - Blackheart wird mir sicher zustimmen, dass es auf Metal-Konzerten einen gewissen Dress Code gibt, er hat es ja selbst hier und da thematisiert.
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