Die Varietäten der deutschen Sprache - Sprachreise im Metronom

Text zum Thema Sprache/ Sprachen

von  volpe

In letzter Sekunde gelangte ich durch die sich schließende Tür ins Innere des Metronoms. 17.41Uhr - gerade noch rechtzeitig. Mühsam hatte ich mich zu einer leeren Sitzreihe vorgekämpft und wollte mich setzen, als der Zug mit einem Ruck anfuhr und ich unsanft auf den Sitz plumpste. Die Tüte, eben noch auf Höhe meines rechten Knies befindlich, war wohl kein bisschen sanfter auf dem Abteilboden gelandet und ich war froh, mich gegen die Blumenvase entschieden zu haben. Endlich einmal schien der Aufdruck "Media Markt - Ich bin doch nicht blöd" zu passen, denn bekanntlich haftet jeder Reisende selbst für sein Gepäck.
"Ey Süße, biste Emo oder was?" Auch das noch. Ich drehte mich betont gelangweilt zu dem Typen, der mich angesprochen hatte, um und sagte so ernst wie möglich: "Nein, Satanistin, und ich suche noch ein geeignetes Opfer für die nächste schwarze Messe am Freitag. Du hast nicht zufällig Interesse...?" Schwupps, war er auch schon verschwunden und alles, was ich vor seiner überstürzten Flucht noch gesehen hatte, war eine blasse Nasenspitze gewesen. Ich konnte mir seinen Gesichtsausdruck aber relativ gut vorstellen, denn solche Leute kannte ich zur Genüge. Damit musste man heutzutage wohl rechnen, wenn man bevorzugt schwarz trug. Traurig bloß, dass diese Sprüche zunehmend von Kiddies im Alter zwischen 13 und 16 kamen, aber in der heutigen Gesellschaft, beeinflusst durch allerlei realitätsverzerrende Medien, lernten sie es anscheinend nicht besser. Ungewollt kam mir ein Zitat aus einer RTL Reportage in den Sinn: "Emo kommt von emotional und Teenager, die dieser Bewegung angehören, kleiden sich merkwürdig."  Natürlich.
"Fahrausweiskontrolle. Junge Dame, dürfte ich bitte Ihren Fahrausweis sehen?" Ich schreckte aus meinen Gedanken und hielt dem Kontrolleur leicht überrascht den Fahrschein hin, denn so etwas kam wahrhaft nicht allzu häufig vor. Fahrausweiskontrollen... Die hatte ich bisher nur alle paar Monate mal bei CeBus erlebt. Aber es gibt ja bekanntlich bei Allem ein erstes Mal.
"Und dann hat er sie da vor allen abserviert. Nach 7 Monaten, wegen so ner anderen Tussi." "Ohne Scheiß?" "Wenn ichs doch sage!" Zwei Mädchen, beide so um die 18, durchquerten das Abteil auf ihren Stöckelschuhen und tauschten sich dabei scheinbar lautstark über die Ereignisse der letzten Party aus. "Also mit mir hätte der das nicht gemacht, ich hätte dem voll eine gescheuert." Ja, das hätte ich wohl auch getan, auch wenn Gewalt keine Lösung ist. Neugierig betrachtete ich die Mädchen etwas genauer. Die Lautere von den beiden trug ein sehr enges und doch recht knappes Top in einem knalligen pink mit der Aufschrift "Zicke". Eigentlich gar nicht mal so unpassend, auch wenn Schlampe es vielleicht eher getroffen hätte... Kopfschüttelnd versucht ich meine unfreundlichen Gedanken beiseite zu schieben. In diesem Moment hielt der Metronom in einem Bahnhof und einige Fahrgäste stiegen dazu, während andere wiederum den Zug verließen.
Ein Mann mittleren Alters setzte sich neben mich, schlug seine Zeitung auf und schien unmittelbar ins Lesen vertieft zu sein. Das gab mir die Chance, ein wenig über die Ereignisse in der großen weiten Welt beziehungsweise immerhin in Hannover zu erfahren, denn Medien mied ich seit einiger Zeit, sofern mir das denn möglich war. Nicht, dass mich die Geschehnisse nicht interessieren würden, aber wie Ulrich Schmitz einst schrieb: "Ursprüngliche Formen authentischen Weltbezugs werden von medialen Formen künstlicher Surrogate immer mehr überlagert und verändert."
Rasch überflog ich die Zeitungsartikel, bis mein Blick an der Überschrift "Das Internet wird zur Karrierefalle"  hängen blieb: "Ein Partyfoto im Internet kann die Chance auf den neuen Job zunichtemachen: Arbeitgeber greifen bei ihrer Personalauswahl inzwischen systematisch auf persönliche Daten der Bewerber im Internet zurück. Vor allem Führungskräfte müssen mit Überprüfung ihrer Bewerbung im Internet rechnen." Nun gut, das war für mich nichts Neues, wobei... "Partyfotos seien dagegen weniger interessant". Wer's glaubt... Hatte im ersten Absatz nicht etwas anderes gestanden? Leider blieb mir keine Zeit, dies noch einmal zu überprüfen, denn mein Sitznachbar blätterte bereits um.
Gelangweilt schweifte mein Blick nun weiter durch das Abteil.
"Mitnahme von Handgepäck, Traglasten und Tieren
1. Hunde werden nur angeleint und unter Aufsicht einer hierzu geeigneten Person befördert. Hunde, die Mitreisende gefährden könnten, müssen zusätzlich einen Maulkorb tragen.
2. Im Zweifelsfall entscheidet das Zugpersonal über die Beförderung von Hunden."
Na da kann man wohl nur hoffen, dass man in einer solchen Situation nicht einem Hundehasser gegenüber steht.
"4. Sonstige Tiere dürfen nur in geeigneten Behältern mitgenommen werden."
Und Fische nur in Dosen, dachte ich mir und musste über diesen eher minder amüsanten Gedanken grinsen.
"5. Tiere dürfen nicht auf Sitzplätzen untergebracht werden."
Beinahe wäre ich empört aufgestanden und hätte meinen sicherlich erstaunt gewesenen Sitznachbar darauf hingewiesen, dass ich gerade zu der Erkenntnis gekommen sei, im Metronom dürfe eigentlich niemand sitzen, da ich der festen Überzeugung war, Menschen seien auch nur Tiere. Ich ließ es jedoch bleiben, denn zum einen wollte ich mir diese peinliche Situation ersparen und zum anderen war ich viel zu erschöpft sowie der Sitz verhältnismäßig bequem.
Außer den allgemeinen Beförderungsbedingungen konnte ich nichts Interessantes entdecken. Keine Plakate, keine Aufkleber. Nur ein unleserliches Gekritzel neben der Abteiltür. Und obwohl ich es nicht entziffern konnte, mehr als ein s und ein a waren beim besten Willen nicht drin, war ich fest davon überzeugt, dass dieses Wort so sicherlich nicht im Duden stand.
"Nächster Halt: Langenhagen"
Der Zeitungsleser faltete raschelnd seine Zeitung zusammen, klemmte sie sich unter den Arm und watschelte anschließend den Gang entlang. Der Zug hielt, die Zeitung verschwand mitsamt ihrem Träger aus meinem Sichtfeld und eine junge, hübsch dreinschauende Frau betrat das Abteil.
"Entschuldige Sie, ist diese Platz noch frei?" Ich lächelte sie freundlich an und antworte: "Natürlich, setzen Sie sich." "Viele Dank."
Hach ja, es gab auch noch nette Menschen, die sich nicht einfach hinpflanzten und sogar das Wort "danke" kannten. Ich musterte die Frau unauffällig und folgerte aus ihrem Aussehen und ihrem Akzent, dass sie wohl südländischer Abstammung war. Italien, vielleicht Griechenland, eventuell aber auch Spanien. Fragen wollte ich sie nicht.
Der Rest der Fahrt verlief eher ereignislos. Der Mp3-Player hatte seine Position aus der Tüte in meine Hand gewechselt und die Kopfhörer sich in meine Ohren geschmiegt, um nicht zu sagen: Ich hörte Musik.
"Die Tage vergeh'n, nichts passiert, nichts ist gescheh’n, und es rebelliert, in den Falten meines Hirns, in den Ecken meiner Seele..."
Ja ja, die Onkelz. Oft als Nazis betitelt doch sei's drum. Für mich war ihre Musik einfach nur tiefsinnig und beizeiten provokant. Genau das Richtige für eine Rebellin wie mich.
"Ich hasse eure Lügen, eure doppelte Moral und eure so genannte 'Freiheit' ist mir scheißegal..."
Allmählich näherte der Metronom sich nun meinem Ziel - Celle. Noch eine halbe Stunde und ich würde endlich in mein Bett fallen und mich von einem anstrengend Tag erholen können. Da konnten mir auch die Wahlplakate nicht mehr die Laune verderben.
"Wir haben die Kraft"
Nur angewandt wird sie nicht.
Ein Kind schlängelte sich noch mit den Worten "Mami, Mami, krieg ich jetzt ein Eis?" an mir vorbei und schon ließ ich das Gedränge des Bahnhofs hinter mir.


Anmerkung von volpe:

Der Text ist eigentlich eine Hausaufgabe zum Thema "Die Varietäten der deutschen Sprache". Aufgabe war es, eine Fahrt im Metronom zu beschreiben und dabei verschiedene Textausschnitte zu montieren - eine Sprachcollage also. An der Aufgabenstellung bin ich wohl 'etwas' vorbeigeschrammt, da der Erzähler zu sehr überwiegt und die verschiedenen Sprachvarietäten meiner Meinung nach nicht genügend zum Ausdruck kommen (mir fehlt einfach die Zeit bis morgen noch genügend authentisches Material zu sammeln und Döblin half mir als Beispiel auch nicht wirklich weiter). Dennoch wollte ich den Text nicht einfach nach dem morgigen Deutschkurs verschwinden lassen und vll hat ja jemand genug Langeweile, um ihn zu lesen (:

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