Gescheitert

Mal ehrlich. Wir müssen aufhören zu träumen. Wer an Lebensjahren zweistellig misst, und immer noch ein Träumer ist, ist gescheitert an der Realität. Was die Realität ist, ist jedem unmittelbar klar. Das zu leugnen ist Getue.

Nehmen wir als Beispiel Anne Frank. Mehr "Die anderen sind schuld" geht nicht, hier haben wir ein vermeintlich 100%-iges Opfer der äußeren Umstände. Doch, wenn wir ehrlich sind, sehen wir ein, dass "Die anderen sind schuld" in jedem Fall, ausnahmslos, eine Floskel ist. Aber haben die Nazis sie nicht in ein KZ gesteckt? Aber, aber, Kandelaber! Die Nazis, wie furchtbar! Und im 14. Jahrhundert hat die Pest gewütet.

Anne Frank ist sehr jung gestorben. Wir gedenken ihrer heute nicht nur, weil sie stellvertretend für die unschuldigen Opfer (wieder sind die anderen schuld) der Naziverbrechen steht, sondern weil aus ihr eine große Persönlichkeit hätte werden können. Hätte, hätte, Fahrradkette! Ist es aber nicht. Sie ist eben gescheitert, sie hat es nicht geschafft, den 2. Weltkrieg zu überleben und ein erfolgreiches bürgerliches Leben aufzubauen.

Wer als Betrachter die Menschen genau beobachtet, weiß, dass sie für alles Ausreden haben. Was, du hast dich als Kind vor der Milchsuppe geekelt und musstet sie trotzdem essen? Du lügst, du hast dich nicht geekelt. Warum hat denn der Rest der Familie die Milchsuppe gegessen? Und überhaupt, wo gibt es das, dass etwas Ekelhaftes als Gericht serviert wird? Du wolltest deine Eltern ärgern, weil du daran gescheitert bist, von ihnen positive Aufmerksamkeit zu bekommen.

Du gehst nicht in die Diskothek, weil es dir dort zu laut ist? Ach, komm. Du gehst dort nicht hin, weil du bei den Frauen keine Chance hast. Du bekommst vom Lärm Kopfschmerzen? Komisch, den anderen geht es nicht so, sie tanzen fröhlich zur Musik. Ist es nicht eher so, dass du Angst davor hast, abgewiesen zu werden?

Es ist peinlich, zuzugeben, dass man gescheitert ist. Und es nützt nichts, zu lügen, man hätte ganz andere Ziele gehabt. Jeder hat doch das gleiche Ziel, wir sind alle Menschen. Also gilt ausnahmslos dies: wer noch am Leben ist, ist gescheitert, wenn er es nötig hat, über sein Leben zu reflektieren. Was ist denn dieses Reflektieren anderes als die Suche nach dem Schuldigen an deinem Scheitern? Und wer schon tot ist, ist gescheitert, wenn wir sein Schicksal euphemistisch als tragisch bezeichnen. Es gibt kein "tragisch". Es gibt nur ein "gescheitert". Das ist die Realität.