Lewis im Winter

Tagebuch zum Thema Grenzen/ Grenzen überschreiten

von  Mac

Stornoway.
Fährhafen von Lewis. Gelegen an der östlichen Spitze. Ich mag diesen Ort nicht. Schon der Name lässt mich schaudern. Ein 5000 Seelenort mit graufarbenen Häusern, heruntergekommenen, schlechten Pubs und Restaurants. Es soll der zivilisierteste Ort auf den ganzen Hebriden sein. Nein, danke. Nicht für mich.

Es ist ein Samstagmittag im Dezember und bepackt mit meinem Rucksack eile ich im Schneeregen zur Bushaltestelle. Sonntags fahren keine Busse und auch alle Geschäfte, Pubs und Restaurants sind
geschlossen. Sie werden wohl ihre Gründe haben. Ich kenne sie, doch ich schweige. Schweigen über manche Dinge ist Travellertugend. Traveller bedeutet ein Mittelding zwischen Tourist und Einheimischen. Mitleidig belächelt und insgeheim bewundert von den Touristen, akzeptiert von der einheimischen Bevölkerung.

Ich bin das einzige Fremdindividuum, das angelandet wurde vom Fährschiff „ Spirit of Hebrides“. Ich will nach Calanais. Zu Misses McLeod und ihrem B&B House.
Der Bus fährt nur einmal am Tag und das vor einer halben Stunde. Gefangen in Stornoway, am Wochenende? No way. Zu Fuß wie im Herbst? Die 25 Meilen? Gegen 3 Uhr wird es dunkel! Taxi? Unumgänglich, auch wenn das ein Loch in meine Reiseschatulle reißt. 50 Pfund aus dem Trinkgeld-Tronc und 100 Pfund von einem Scratchcardgewinn. Zeit zum Reisen. Gekündigt, aber versprochen kurz vor Weihnachten wieder an der Arbeitsstelle zu sein. For Christmasdinner. Einen Tag später war ich unterwegs.

Calanais.
Misses McLeod öffnet die Tür. 75 und topfit. Wir kennen uns. Zweimal war ihr B&B House schon mein Domizil auf den Hebriden. Lächelnd reicht sie mir eine Tasse „strubback“. Das keltische Wort für Tee. Woher die Kelten wohl Tee kannten? Und Haferplätzchen mit Schokolade! Ich entscheide mich für vegetarisches Frühstück. Alter Travellertrick. Iss das, was dein Gastgeber liebt, dann bekommst du die doppelte Portion.
B&B im Winter. Die Küche vom Torffeuer geheizt. Die Gästezimmer, Außentemperatur = Zimmertemperatur. Drei dicke Wolldecken auf dem Bett. Ich bekomme mein Zimmer vom letzten Mal und wir nehmen den Tee in der Küche. Beim Wandern in der Dämmerung sehe ich zwei Ferraris. Auf Lewis besteht ein Straßennetz von ca. 50 Meilen. Welt bestes Lobsterland. Selbst der Papst lässt hier ordern.

Ein paar Tage später.
Verloren schlendere ich in der Dämmerung über die Straße, die zu den Steinkreisen führt. Im Halbdunkel erkenne ich, dass mir jemand entgegenkommt. Ein kurzes beidseitiges Prüfen mit den Augen. Ein Lächeln. Kaum erkennbar. Stopp.
„Take the crossroad one more mile.“
Dankbares Nicken meinerseits. Ich höre die Flut in den felsigen Buchten von Calanais. Der Atlantik seufzt, plätschert, quirlt und steigt stöhnend Zentimeter für Zentimeter an den Felswänden höher. Ich kann das Wasser nicht sehen, aber Mother Sea sendet mir ihre Bilder.



Die Segel der sieben, acht Schiffe blähen sich im Passatwind. Durch den Golfstrom finden sie die Bucht von Calanais, wie vorhergesagt. Doch kein Jubel schwingt auf in den Kehlen der Schiffsbesatzung. Sie wissen, sie sind ein geschlagenes Volk. Sie haben die Natur geknechtet, ausgenutzt, mit dem Blut Unschuldiger besudelt. Aus reinem Größenwahn, göttergleich. Und Mutter Erde strafte ihre Kinder. Durch Feuer und Wasser. Sie sind ein Teil der wenigen Überlebenden, die über die Erde verstreut werden.


Die Schiffe ankern schon ein Jahr zwischen den Felsen. Die ersten Steinkreise sind fertig gebaut. Die
steinernen Wächter am Anfang der Bucht überwachen ihre Arbeit und halten die Urbevölkerung noch fern. In einem Jahr wird ihre Anlage so weit sein, dass sie funktioniert. All ihr Wissen ist hier eingeflossen, für die, die einst ihre Sprache entschlüsseln können. Der Kreis muss vollendet werden. Das alte Volk ist bereit zu sterben und es stirbt. Calanais, Mahnung und Bibliothek der Alten.




Zwei Tage später.
Eine Überraschung erwartet mich in meinem Zimmer. 3 paar Wollstrümpfe und ein Satz Winterunterwäsche, ebenfalls aus der Schafswolle der Hebriden.
„What`s that, Missis McLeod?“
„I had a dream, my dear. Please, take it.“
Ich betrachte Misses McLeod lange. Sie lässt es geschehen ohne Worte.
„Thank you, Missis McLeod, and......God bless you.“

Stornoway.
Graupelschauer. Ich lehne an der Außenwand unter dem Vordach der Hafenmeisterei und rauche. Eine wildfremde Frau kommt auf mich zu. „You come back?“ Schulterzucken. „There is a time for gaelic, maybe.“
Die Zigarette fliegt im hohen Bogen auf den Kai. 21, 22...25. Bei 25 trifft sie ein Hagelkorn. Gute Zeit. Die Frau tritt noch näher und schaut mir in die Augen. Ich erwidere den Blick. „You come!“ Die Schiffssirene ertönt zweimal kurz. Letztes Signal vor der Abfahrt. Der Rucksack fliegt wie von selbst auf die Schultern. Kein Zurück, jetzt.

Traveller.

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