Bewohner

Kurzgeschichte

von  Watsche

1. Keller
Wenn ich nachts daliege und im erstickenden Schein der rußenden Kerze beobachte wie das Wasser in kleinen, rostigen Strömen an der Decke entlang fließt, sich in filigranen Bahnen kreuzend und windend, seltsam matt, vom Zufall beseelt, tausende von Jahren alt, dann glaube ich oft ein weit entferntes Donnern zu hören. Eine Ankündigung der unvorstellbaren Wassermassen, deren erste Boten nichts von ihrer Gewaltigkeit vermitteln können. Einige Tropfen die sich von der Decke lösen fallen auf meine Lippen und instinktiv streckt sich meine Zunge sie zu kosten, doch sie haben keinerlei Geschmack, nicht einmal den nichtigen Hauch des Wassers.
Manchmal vernehme ich neben dem  Drohen des Wassers, das nicht einmal ein tatsächlicher Klang, eher ein Vibrieren meiner Augäpfel ist, auch ein Knacken, das an Eierschalen denken lässt und für einen Augenblick sehe ich dann Risse an den Wänden und der Decke, sie werden größer, von außen dringt ein gleißendes Licht zu mir, in dessen Schein bisher unsichtbare Partikel, zu Gold verwandelt, sanft nach oben schweben. Und wenn das Licht unerträglich wird, meinen Körper und selbst meine Gedanken in seinem wütenden Weiß auflöst, versuche ich noch den Dottersack von mir zu reißen, um sogleich wieder zu mir zu kommen, in gewohnter Umgebung und in gewohnter Gestalt, die Decke anstarrend, unfähig die Augen zu schließen, erfüllt von Angst, dass im nächsten Augenblick, durch das nächste Knacken eingeläutet, nicht Licht, sondern endlich das Wasser zu mir dringt und ich für alle Ewigkeit, in seinen Fluten konserviert, durch die Dunkelheit treiben werde.


2. Erdgeschoss
Die Erinnerung daran wie der winzige, milchig-weiße, nur an der Spitze grün schimmernde Spross die Wand durchbrach ist fast verschwunden, aufgelöst im wuchernden Knäuel fettig glänzender Stängel und Blätter, begraben unter meterlangen Ranken, die fast vollständig alle vier Wände des Zimmers bedecken. Nur an einer Wand scheinen sie ihre Wildheit zu zügeln, vielleicht zugunsten einer Botschaft. Sie ordnen sich, bilden beinahe geometrisch anmutende Strukturen, wie die Karte einer verlassenen Stadt, wie das Schema eines Fiebertraumes, wie Baupläne einer Maschine die ihren Erbauer zermalmt, wie unbekannte und doch so vielsagende Symbole und Schriftzeichen. Jeden Tag andere.
Das etwa schulterhohe grüne Rechteck in der Ecke, eine täuschend echte Imitation einer perfekt frisierten Hecke, in dem ich seit Jahren meinen Schrank vermutete, hat sich im Innern vor einiger Zeit als Gewirr von Wurzeln entpuppt, die sich alle an einem kleinen verrotteten Zentrum, den Überresten des besagten Schrankes, labten. Heute Morgen habe ich zum ersten Mal eine Blüte gefunden, ein gutes Zeichen. Sie war wohl innerhalb einer Nacht aus dem lebendigen Teppich auf dem Tisch gequollen, noch verschlossen, doch der Wunsch ihre Farbe zu sehen drängte mich dazu sie vorsichtig zu öffnen. Sie war von einer unscheinbaren gelblichen Färbung, genau wie der menschliche Zahn, der, wie in geschäftiger Hast vergessen oder in Eile achtlos weggeworfen, in ihrer Mitte lag.


3. Erster Stock
Im Haus gegenüber, von den bleichen Vorhängen zu Schatten reduziert, wohnen sie: Ein Mann und eine Frau, Objekte meiner unermüdlichen Neugierde. Nach dem Mittagessen erheben sie sich, schieben den vor Geschirr und Essensresten strotzenden Tisch beiseite, gewähren ihm die Gesellschaft der Stühle und vollführen das Ritual, auf dessen Anblick ich schon sehnsüchtig warte. Die Frau, groß, hager, mit grotesk verbreiterten Schultern stellt sich an die Wand, erstarrt und lauernd. Der Mann, viel kleiner als sie, mit rundlichem Körper und mit einem ebenso runden, wohl haarlosen Kopf, platziert  sich in der Mitte des Raumes, die Beine zusammengepresst, die Arme seitlich ausgestreckt.
Er verharrt einen Moment und beginnt sich zu bewegen, mit einer unerwarteten Leichtigkeit, seine Gliedmaßen schweben durch den Raum, sich auf seinen verlässlichen Rumpf stützend, er tanzt, doch eine Musik die solche Bewegungen erfordert ist für mich unvorstellbar. Er scheint beinahe absichtlich immer in meinem Blickfeld zu bleiben, ein vom Fenster eingerahmter, menschlicher Wirbelwind, er dreht und schlängelt sich und die Frau, die unbewegliche Schattenskulptur, deren Position keinerlei Verbindung zu seinen Bewegungen zu haben scheint, ist in meinen Augen doch mit ihm verbunden, ist seine unbegreifliche Tanzpartnerin. Und noch lange nachdem das Schauspiel beendet ist, jedes mal abrupt, wenn die beiden Gestalten plötzlich das Zimmer verlassen, stehe ich mit meiner Stirn an das kalte Glas gedrückt, mit unruhigem, hechelndem Atem und bemerke den Schweiß nicht, der über mein Gesicht läuft und  sich in kleinen, stinkenden Pfützen auf dem Fenstersims sammelt.


4. Dachboden
Unter der hohen Decke meiner Behausung, im logischen Abschluss der geneigten Wände, von einer unerklärlichen Dämmerung und morschen Balken verdeckt, haben sich Raben eingenistet. Wenn die Farben des Tages noch ein letztes Mal aufleuchten, wehmütig, bereit bald wieder zu verglühen, höre ich über mir ein Kratzen und Poltern: Das späte Erwachen der schwarzen Vögel. Durch das Portal des einzigen schrägen Fensters klettere ich auf das Dach und lasse mich auf den noch warmen Ziegeln nieder. Und wie jeden Abend verlassen bald nach mir die Raben den Raum, zerschneiden mit ihren messerscharfen Silhouetten  den Himmel, durchdringen mit ihrem Schrei das besinnliche Gemurmel des Abends.
Die langsam erkaltende Sonnenscheibe berührt den Horizont und nacheinander, ein Rabe, ein Zweiter, Dutzende, lassen sie sich auf ihrem erstarrten Rand nieder, bohren ihre Krallen in den orange-roten Glanz. Die Sonne bläht sich auf, mit jeder Minute ihres Abstiegs erobert sie ein weiteres Stück des Horizonts, doch jede neue Eroberung ist ein weiterer Sitzplatz für einen weiteren Raben, für ein weiteres niederdrückendes Gewicht  und wie jedes Mal endet dieser Kampf mit der Auflösung der Umrisse der Schar vor dem Hintergrund des nun vollkommen schwarzen Himmels.


0. Treppenhaus
Noch beflügelt  von der Schönheit des allabendlichen Kampfes, aber schon erfüllt von der Vorahnung eines formlosen Grauens schließe ich über mir die Luke zum Dachboden. Ich steige die Treppen hinab, mit jeder Stufe lässt mich das Quietschen der Dielen stärker zusammenfahren. Mit quälender Langsamkeit, um weit schlimmere Qualen auch nur ein wenig hinauszuzögern, prüfe ich auf meinem Weg die zwei Türen, die fest verschlossenen. Hinter ihnen die verwaisten Zimmer voller wohlbekannter Geheimnisse.
Es ist Zeit für die Lüge des Schlafes. Ich stehe vor der stählernen Kellertür und wie jedes Mal gönne ich mir die kurze Vorstellung, die süße Unmöglichkeit, das Spiel mit der Idee den Keller zuzumauern. Und manchmal, wenn es besonders schwer ist den Schlüssel umzudrehen, die Tür zu öffnen, wie jetzt, ergötze ich mich noch einen Moment an dem Gedanken eines Tages dieses ganze Haus, mein Haus,  den unersättlichen Flammen zum Fraß vorzuwerfen.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (03.02.20)
"Manchmal vernehme ich neben dem Drohen des Wassers, das nicht einmal ein tatsächlicher Klang (...) ist" ?

Drohen ist ein Klang?

Bis dahin fehlen auch schon so viele Kommas, was das Lesen sehr erschwerte, sodass mit das drohende Wasser den Rest gab und ich auf-.
Sorry,
Dabei fand ich die Etagenstruktur zunächst interessant.
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