Stofftiere bringen Glück - Polizeipräsens III

Text

von  pentz

III. Ermittlungen


Es klingelte. Ich befand mich gerade in der Küche und öffnete die Flurtür. Vor mir stand ein Polizist in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit, wenn man so sagen kann.
„Sie kommen wegen des entführten Hundes?“
„Jawohl!“
„Einen Moment. Ich hole die Besitzerin.“ Die schwere Eingangsholztür wurde von mir zu einem Spalt zurückgeschoben, bevor ich mich umdrehte und die Treppe erklomm, um nach Gina zu suchen.
Als ich wieder die Treppe hinunterging, um in der Küche weiter zu werkeln, befremdete mich der Anblick des Polizisten, der sich schon unten im Flur befand und sich mit misstrauisch-kennerischen Blick umschaute, sich einen Eindruck von dem obskuren Anblick der Räumlichkeiten zu machen.
War es nicht Unhöflichkeit einzutreten, ohne darum Erlaubnis ersucht zu haben. Oder Erlaubnis erteilt bekommen zu haben?
Man darf nicht vergessen, dass es sich hier um einen Polizisten handelt.
Aber deckte dieses Verhalten seinen quasi hohheitsrechtlichen Auftrag?
Seh es pragmatisch, dachte ich mir. Wahrscheinlich nutzte er einfach die tote Zeit, als ich nach Gina schaute, um sich einen Eindruck vom Tatort und sein weiteres Umfeld zu verschaffen.
Genau, nur so war sein Verhalten zu interpretieren, wohlwollend gesehen.
Außerdem war ich ohnehin hier nur zu Gast und ich befand mich nicht in meinen eigenen vier Wänden, nicht wahr?
„Hier muss er eingedrungen sein. Weil das Fenster in meinem Zimmer war ja verschlossen.“ Gina deutete auf die schwere Eingangstür aus Holz vom vorigen Jahrhundert, der fast historischen, museumswerten, alten Bauerntür, mit einem rostigen Mammutschloss mit Riegel versehen, der, wenn er zugeschoben war, nur mit Hilfe von Sprengstoff zu öffnen war.
„Wahrscheinlich war er nicht verschlossen, ja! Und eine der Mitbewohnerinnen hier hat ihn vergessen, wie jeden Abend zu verriegeln. Weil wir machen das immer. Ich schwöre.“ Gina hob überflüssigerweise zwei Schwurfinger.
„Da sind drei junge, hübsche Frauen hinter dieser Tür und sie ist nicht verschlossen!“, sagte der Polizist, um dieses wahnsinnige, leichtsinnige Verhalten noch einmal auf die Waagschale zu legen. Seine Bemerkung war absolut ordnungsgemäß.
„Obwohl, ich glaube mich zu erinnern, dass ich sie an diesem Abend...“
Der Polizist ergänzte, wobei er die Stirn kräuselte: „Gestrigen Abend.“
„Genau, es war gestern, also dass ich sie gestern verschlossen habe.“
Das war alles sehr merkwürdig. Wie sehr konnte man sich auf diese Zeugenaussage eigentlich verlassen? War sie wirklich zugesperrt, musste der Einbrecher durch die Fenster gekommen sein.
Folgerichtig schlug er vor: „Kann ich einmal den Tatort inspizieren!“
„Sie meinen mein Zimmer, mein Schlaf- und Wohnzimmer. Äh!“
„Genau, der Ort, wo der Hund entführt worden ist.“ Normalerweise wird ein Hund entführt, fortgeführt, aber einer aus Stoff wurde natürlich entwendet, ganz widerstandslos wie er war.
Er hatte ja noch keine Ahnung von der Wahrheit.
„Aber natürlich! Folgen Sie mir, Herr Polizist!“
Nun schnarrte Gina wieder wie eine Ente, ein Ton, den Schauspieler verfremdend aus ihrem Mundwerk ließen, um Kindern eine sprechende Ente vorzugaukeln. Ob der Polizist dabei auch an eine Ente dachte? Gina schien mittlerweile an der Sache, der Untersuchung, der Ermittlung, der Untersuchung des Tatortes richtig Spaß zu haben. Ernst schien sie die Sache nicht mehr zu nehmen. Oder täuschte ich mich?
Sie ging die Treppe hinauf in den ersten Stock, gefolgt vom Polizisten in blauer, akkurater Uniform, sowie vor mir. Ich fand auch daran gefallen, aber eher so schummrig-schaurig-unheimliches. Wer weiß, ob sie mich entlarven würden? Interessant würde es im anderen Fall werden, welche obskuren anderen Tatmotive und Tathergänge sie sich ausmalten, um das Verschwinden des Stofftieres erklären zu können. Vor allem das Täterprofil würde höchstinteressant ausfallen. Wenn jemand von einer Frau deren Lieblings- und Schoßhündchen klaute, war er ein Perversling, Perverser, ein Stalker oder ein hoffnungslos Verschossener oder noch etwas Schlimmeres, Unausdenkliches, Noch-nie-Dagewesenes?
Ich fand mein Verhalten nicht verdächtig. Bei einem derartigen hochoffiziellen, hochwichtigem Vorfall war das durchaus angebracht, zielführend und legitim, dass ein Dritter wie ich dabei war. Eventuell könnte ich wichtige Hinweise liefern, wer weiß, welche Fragen auftauchten? Da ich der Täter war, fand ich, wäre es ganz sinnvoll, mich, wenn es brenzlig würde, im Falle der Untersuchungsbeamte verdächtigte und stieß auf mich, worauf er nicht stoßen sollte, da es zum wahren Täter führte, einzuschalten, um von dem genauen Tathergang abzulenken und die Fährte nach irgendwo sonstwohin als zu mir zu lenken.
Bild: Weiße Schwäne drehten auf der Oberfläche eines Sees ihre Kreise, im Hintergrund des Horizonts überblickt ein großen Frauenantlitz dieses Szenario, mit weit aufgerissenen Augen auf diese Unschulds-Tiere blickend, wobei sich ihre sehr weiße Gesichthaut gegenüber dem sehr schrillen Lippenstift-Rot abhebt und in ihrem psychedelischen Touch, Fluidium und Aura den Eindruck einer Kifferin, Morgenland-Fahrerin, Buddhistin, Asketin (Eindruck täuschend) hervorrief.
Diverser Klimbim aus dem Orient war hier und dort platziert: eine indisch-orientalische Elefanten-Plastik mit riesigem von Menschen besetzten Tragekorb, aber auch eine langhalsige Giraffe aus Afrika, unzählige abgebrannte Räucherstäbchen hier und dort – kurzum, etwas Unaufgeräumtes, wenig Ordnungsliebendes haftete dem Zimmer an.
Am Überwältigsten in diesem Raum waren aber die Berge von Stofftieren, die sich auf dem Doppelbett türmten oder in einer Zimmerecke hineingestopft worden waren. Ich fragte mich da, ob sich der Aufwand und die Aufregung angesichts genügend anderer Knuddelobjekte wegen eines, zudem auch noch Hundes, lohnte? Aber das sag mal einer Stofftier-Besitzerin, einer Stofftier-Besessenen, einer Stofftier-Fetischistin!
Ich ließ es mir nicht nehmen, überall mitzuschauen und teilnehmend zu beobachten. Dabei versetzte ich mich in die Welt des Polizisten. Mir dünkte, er verzog die Nase, innerlich. Das war hier ein Kiffernest und er war wahrscheinlich ein Bierfan, ganz angepasst und einheimisch. Also, was dachte er wohl über Gina? Führten ihn nur kriminaltechnische Absichten hierher oder meinte er, er stieße hier in ein Wespenest?
„Wie sah denn ihr Hund aus?“, kam endlich die nahegelegenste Frage.
„Ah, weiß-braun, so ungefähr.“
„Hatte er lange oder kurze Haare, lange oder kurze Ohren.“
„Haare wie der Bär dort.“
Gina deutete auf ihren großen braunen Bären.
„Sie meinen so lange wie die Haare des Bären dort.“
„Auch, aber unbedingt auch so weiche, zottelige, kurzum fast gleiche Haare wie der Bär.“
„Nur mit dem Unterschied, dass sie nicht aus Stoff waren, nicht wahr!“ Das war wohl eine witzige Bemerkung, oder sollte es sein, da jedoch, wenn eine Aussage zu nahe an die Realität heranreicht wie diese, kein Witz mehr ist, krepierte dieser vermeintliche bereits im Ansatz. Aber das konnte der Witzereißer und -macher gar nicht wissen.
Gina beugte sich mit den Knien aufs Bett, streichelte ihren Bären und sagte zum Ermittler. „Nehmen Sie ruhig auch einmal Tuchfühlung, damit sie, wenn Sie meinen Benno finden, ihn nicht verwechseln und eindeutig identifizieren können.“
Er streichelte über das Fell. Aber dem Polizist wurde es etwas komisch. Sein Mund verzog sich merklich dünnlippig. Diese Frau mit ihrer schnarrenden Stimme – war er hier in ein Kinderhörspiel hineingezogen worden? Und schließlich musste man den Eindruck bekommen, der Hund war gar kein Hund, sondern so ein Tier wie der Bär.
„Hoffentlich bürstet der gemeine Entführer meinen Benno auch jeden Tag. Hoffentlich hat er ein einigermaßen sauberen, staubfreien Platz für ihn. Mein Benno ist ein richtiger Staubfänger nämlich.“
Dem Polizist dämmerte allmählich doch ein erschreckender Verdacht und fragte lächelnd und lachend, wiederum ein Witz, der keiner war: „Benno ist wohl auch so ein empfindliches Tierchen wie der Bär!“
„Sie haben es erfasst. Noch empfindlicher nämlich. Den Bär muss ich nur alle Woche einmal bürsten, aber Benno alle drei Tage.“
Der Polizist zweifelte wohl an seinem Verstand. Denn jetzt ging er aufs Ganze, bevor er überschnappte. „Aha, ein Stoffhund.“
„Genau!“
„Ein Stofftier also!!!“ Jetzt hatte er endlich kapiert, was sich durch die erhöhte Lautstärke verdeutlichte.
„Genau Mann, Benno, mein Kuschel-Stoffhund. Lebensalter 8 Jahre, Rasse unbekannt, aber treu und anhänglich und...“
„Sie wissen hoffentlich, was es bedeutet und welche Konsequenzen das nach sich zieht, wenn man die Polizei auf den Arm nimmt.“
„Ja. Aber keine Angst, Herr Polizist, auf den Arm nehme ich nur, ich betone, nur meinen Benno.“
„Den Stoffhund!“, ergänzte der Polizist genervt.
„Sie haben es erfasst, Herr Polizist.“
Jetzt schnappte der Polizist hilfesuchend nach Luft.
„Also, gnädiges Fräulein, wenn Sie mich auf den Arm nehmen wollen...“
„Aber nein, Herr Polizist. Ich will Ihnen bestimmt keinen Bären aufbinden.“ Über diese gelungene Formulierung mussten Gina und ich lachen. Beim Polizisten kam sie nicht so gut an.
„Also, jetzt mal im Ernst. Wir müssen also von einem Eindringling ausgehen, der in eine fremde Wohnung eingedrungen war und einen Stoffhund entwendet hat. Kein Geld, kein Schmuck, keinen sonstigen Wertgegenstand.“
Einstimmig sagten Gina und ich: „Jawohl!“
Der Polizist musste erneut tief ein- und ausschnaufen.
„Und warum sollte dies jemand tun? Aus Gold war der Hund nicht, oder?“
„Nein.“
„Also, warum.“
„Das müssten Sie doch rausfinden, Herr Polizist.“
Wieder schnaufte er aus.
„Nun, vielleicht war es die Kurzschluss- oder Zwangshandlung eines verschmähten Liebhabers, der das Tier in fetischistischer Absicht und Neigung mitgenommen hat, nachdem er sein begehrtes Liebesobjekt nicht in ihrem Zimmer vorgefunden hat.“ Damit beabsichtigte ich, die Situation zu entschärfen, wie es insgeheim meine „Pflicht“ war angesichts dessen, dass ich die Schuld daran hatte, auch wenn es keiner wusste und so hatte ich versucht zu beschwichtigen.
„Denn ich war nachts ein paar Stunden in der Küche gesessen, weil manchmal...“, ergänzte Gina.
„Oder jemand wollte Gina nur einen Streich spielen. Sie ärgern, was weiß ich, welche unzähligen Motive es da schon gibt“, unterbrach ich sie, weil ich glaubte, dass die Ursachen ihrer Schlaflosigkeit wenig zur Lösung dieses Falles beitragen würde.
„Ein Lausbubenstreich sozusagen!“
„Möglich!“
„Ich wüsste auch schon jemanden, der für dieses Motiv in Frage kommt. In meiner Arbeit...“
Der Polizist schnaubte wie ein Ackergaul.
„Oder...“, ich erlaubte mir, eine weitere Fährte zu legen. „Einer der Maler dort!“ Ich zeigte zum Haus gegenüber, das die letzten Wochen gestrichen wurde. „Gina, war da nicht so ein Malergeselle, der immer wieder heimlich und offen zu Dir herübergeschaut hat?“
„Genau!“
„Und, ist er nicht sogar bis an unsere Häuserfassade herangekommen, um einen besseren Blick durchs Fenster in die Küche zu werfen?“
„Genau!“
Die Malerarbeiten wurden mit einem Hausgerüst bewerkstelligt.
„Dann konnte er zum Beispiel auch vom Gerüst dort rüber durchs Fenster zu uns hereingesprungen, äh, geklettert sein.“ Die Gasse, in der wir uns hier befinden, macht zwar seinem Namen Ehre, sprich ist schon eng, aber ein Sprung herüber war doch sehr, sehr gewagt.
Diese Bedenken äußerte auch der Polizist.
„Na, vielleicht hat er ganz einfach eine Leiter genommen, herübergeklappt und ist darüber hinweggeklettert in mein Zimmer herein.“
„Hm. Und das nachts, wie Sie sagten.“
„Ja, warum nicht?“
„Aber dort drüben ist ein Sisha-Bar, da stehen die Jugendlichen immer vor der Tür, reden, unterhalten sich, rauchen Zigaretten, die müssten doch etwas wahrgenommen haben.“
„Aber es war ja Nacht.
„Ein Stalker, ein Belästiger, ein Aufdringling ist dieser, Herr Polizist!“, setzte ich begeistert hinzu.
„Also, das führt uns zu nichts.“
„Aber Herr Polizist, Sie müssen in alle Richtungen ermitteln!“, meinte Gina mit einem Ausdruck, der in solchen offenen Fällen tagtäglich und obligatorisch von der Polizei in den Medien verkündet wurde.
Der Polizist, der jetzt die Geduld verlor, schien es, unterbrach jegliche weitere Spekulationen und, um die Sache gut abzurunden, sagte er, dass er gleich im Präsidium ein Protokoll auffassen täte, ja, die Ermittlungen aufnehmen, vorantreiben, forcieren würde und auch, ein tiefer Seufzer entrang seiner Kehle, in jede erdenkliche Richtung, und bitte, Gina solle in einer Woche bei ihm im Präsidium nach dem Stand derselbigen nachzusuchen und deswegen unbedingt selbst in persona dort erscheinen. Das betonte er richtig. Ich atmete bei diesem vorläufigen Ende der Ermittlungen der ich merklich Erleichterung verspürte, dass dieses nichts Greifbares ergeben hatte. Der Ermittler musste ergebnislos von dannen ziehen, hurra, Gina einmal so in einer Woche im Präsidium vorbeischauen, prima. Für mich klang das so, als ob der Polizist in weitere Untersuchungen keinen Sinn mehr sah und überhaupt keinen Finger mehr rühren würde. Wer kann es ihm verdenken?
Na denn, Gina, viel Spaß bei der Polizei nächste Woche!

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