*Covid ... zum Sterben schön ...

Skizze zum Thema Atem/ Atemlosigkeit

von  alter79


Joss kommt aus dem Kiosk. Mehr geschlichen als gegangen. Seine Bewegungen sehen müde aus. Wie er sich an zwei Bier festhält. Kippe im Mundwinkel. Klemmt unter der rechten Achsel eine Stange Zigaretten. Unter der linken ein sichtbar durchgeschwitztes Baguette; schlurft in meine Richtung. Während sich am Horizont der neue Tag eine Locke aus der Stirn schiebt. Gelb - so was - wie Sonne blinzelt. Prost! sage ich. Prost, sagt er. Weitere Anhaltspunkte für seine Persönlichkeitsstörung ergeben sich aus seiner Visage. Der adlerartig schmalen Nase, dem hageren Gesicht. Dem schlohweißen Haar mit Feder darin, - wie Sitting Bull trug, der sich heute als Sitzsack im Fashionbag präsentiert. Wo alle Lebensfarben sofort verfügbar sind. Zudem das Teil frei Haus geliefert wird. Und wenn man dann drauf sitzt besiegt man den Welt- ekel. Den Tag. Die Gleichgültigkeit. Das ist eins der Ziele. Und genau das kann man auf 3 Mal W Punkt Test- und Preisvergleich nachlesen. Darauf auch ein Foto von ihm: Joss mit langem Haar in Locken. Wie er eine Kassette ins Kassettendeck schiebt. Von Genesis. Seiner Lieblingsband. Einer progressiven Rock Gruppe, - die auch Patrick liebt. Sie ahnen es schon, was? Ja. Die sind eben einer wie der andere, - wie es bei Serienmördern der Fall ist. Und somit bei mir! - Schnell noch ein Bier darauf; auch weil die selten bis überhaupt nicht über Gefühle reden, von Liebe. Sondern nur von sich. Über ihre Taten. Und auch das noch sachlich und kühl. Oder kaltblütig, - wie schon von Capote berichtet. Und Schreiben drüber sowieso eine moralische Tragödie ist. Sogar wenn du, wie die meisten kritzelnden Krakeler, durch ein Familienfoto inspiriert über langweilige Kinderkacke in Neverland schreibst. Doch Neverland ist längst abgebrannt und sein Held an Drogen erstickt. Gut, schon aus dieser Grundidee hätte sich ein interessanter Plot entwickeln lassen, - doch dann krauchen Dämonen aus ihren Gräbern, hört man herzzerreißend den Wind heulen, bumst das Pudels Kern im schottischen Hochland eine Quasselstrippe aus dem Jenseits. Läuft der letzte Akt auf ein Mutter- Vater- Tochterdrama zu, statt endlich den das Mädchen grillenden Massenmörder zu zeigen. - Ich glaube, ich bin heute schon nach einem Bier stoned, denn das schleimige Grauen verdrängter, verpasster Vergangenheit überläuft mich schon wieder kalt. Und das ist nicht (nur) meinem geschmacklichen Problem geschuldet, sondern der Scheiße von heute, gestern und übermorgen; oder der Ermordung von Kennedy, John Lennon. Well, die Reihe ist fortzusetzen, - wie mein unbändiger Hass auf...


Ich lebe allein. Keine Frau, keine Kinder, nur einen Hund. Sonst nichts und niemand. Außer heute. Montag. Und dass ich zum Arzt muss. Der täglichen Spritze wegen. Samstag, Sonntag kommt er ins Haus. Sie wissen ja - warum. Ja, ich weiß. Und das es ein ärztlicher Kunstfehler wäre, mir alles auf einmal zu geben. Betont er. Okay. Ich kann damit umgehen. Und heute noch besser als sonst. Denn die Sonne scheint. Ich kann also das Rad nehmen. Sogar die Temperatur stimmt. Und der Wind. Nordnordost 1-3. Alles in allem also ein Tag zum Sterben schön. - Am Schützenhaus sehe ich gegenüber die Frau mit Stock. Ich begegne ihr fast täglich. Er liegt im Koma. Ruft sie quer über die Straße mit schriller Stimme. Wer. Frage ich. Der alte Mann, den Sie so mochten. Der? Bin ich erstaunt. Mit dem habe ich doch eben noch ... Wenn er gestorben ist, sage ich Bescheid, ruft sie. Und winkt fröhlich. Nicht nötig, will ich antworten, als ein Lastwagen mit Getöse um die Ecke rattert. Ein paar hundert Meter weiter, noch in Gedanken, bemerke ich einen seitlich im Gebüsch geparkten Range Rover mit laufendem Motor. Stimmt, gerochen habe ich den schon zuvor. Wenn ich ehrlich bin. Doch ich habe den Dieselgestank über frisch gemähter Wiese verdrängt, - bin allergisch auf Diesel. Und genau deswegen habe ich den Wagen auch abgeschafft. Beziehungsweise steht der unter einem Tarnnetz verborgen in der Remise auf meinem Hof. Als ich näher komme, höre ich Musik aus dem offen stehenden Seitenfenster. Unzweifelhaft handelt es sich dabei um den Hungarian Suicide Song interpretiert von Sarah McLachlan. Meine Lieblingsmusik seit langem, - denn es stirbt sich so schön dabei. Und wie du weißt, trug ich dich damit auf meinen eigenen Händen zu Grabe. Ja, es war ein schöner Tag damals. Und ein Fest wert. Fast wie heute. - Im Wagen bemerke ich einen Typen, wie ich früher war. Schlanke Figur, langes, dunkles Haar, - den Kopf auf der Brust. Leider bleibt mir deswegen ein Blick auf sein Gesicht verwehrt. In der Hand hält er einen Pappbecher. Halb gefüllt mit was weiß ich was. Es riecht jedenfalls irgendwie vertraut. Auf dem Sitz neben ihm ein Feldstecher und ein Jagdgewehr. Und auch das ... Wie meins. Ich erinnere mich. - Im Wartezimmer ist es leer und die Sache mit der Spritze in Minuten erledigt. Sind Sie mit dem Rad. Fragt der Doktor. Ich weiß nicht. Antworte ich. Dann sollten wir noch mal darüber ..., bevor ... schlägt er irgendwas vor. Doch ich antworte nicht darauf, denn allzu oft schon hat er mir was Unsinniges vorgeschlagen. Auch gilt es den Tag anders zu nutzen, als mit Gewäsch über meine Gesundheit. Der Wind hat sich gedreht, und es fährt sich leichter. Fast wie von einer Maschine unterstützt. ...wenn nur der Gestank nicht wäre.


Ich komme an den Punkt, wo der Range Rover steht. Und sehe jetzt erst, das der keine Nummernschilder hat. Aber eine Delle im Kotflügel... Wie meiner, nach dem Rehunfall. Ich kam damals aus dem Wirtshaus. Und hatte getrunken. Danach warst dann du dran; du erinnerst dich? Ja. Denn bis auf die Nummernschilder ist die Szene von vorhin unverändert. Nur der Fahrer fehlt. Nein, auch das Gewehr! Und auf dem Beifahrersitz liegt ein Zettel. Daneben eine Karte mit Kompass. Eingenordet, wie ich sehe. Ich folge der Richtung. Drei Kilometer, lautete die Anweisung. Und richtig, ich bin nicht verkehrt. Sehe mich am Boden, das Gewehr umklammert. Den blanken Zeh am Abzug. Ein herrlicher Tag. Auch die Temperatur stimmt. Und der Wind. Nordnordost 1-3. Zum Sterben schön.



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