Essen und Kränze

Kurzgeschichte zum Thema Essen/ Ernährung

von  Gabyi

Essen und Kränze oder
Der Fleischwolf

Die Schnecke des Fleischwolfes schneidet sich schwer durch den zähen Teig. Die Welle dreht sich unter starker Torsion über eine Handkurbel, angetrieben von der linken Hand einer Frau. Mit der rechten Hand stopft sie den mörteligen Teig emsig und mühsam zugleich in den dunklen Metalltrichter, mit schmalen, verkniffenen Lippen. Die wurstförmigen Teigschlangen, die aus dem Wolf herausgepresst werden, formt sie zu Fragezeichen ähnlichen Gebilden. Durch eine sterngezackte Lochblende hindurch, so dass die Würste nicht glatt aussehen. Bei genauerer Betrachtung von oben sieht man, dass die Buchstaben-Muster ähnlich wirken wie die Abzeichen auf den Schulterklappen der Uniform, die früher einmal an der Flurgarderobe hing. SS. Nur spiegelbildlich angeordnet, die Buchstaben, natürlich.

Mehrere Kuchenbleche werden nun mit diesen Symbolen belegt. "Essen" heißen sie, die Mehrzahl von S. SSSSS... Spiegelbildlich angeordnet deswegen, weil der Frau die Symbolik nicht mehr geheuer ist. Als Nächstes kommen dann die "Kränze" an die Reihe. Kleine runde Kreise, einfacher zu gestalten und mühelos auf die Bleche zu bringen. Die schmalen Lippen der Frau entspannen sich etwas und sie denkt an etwas Schönes. An ihren Liebhaber aus der Nachrichtenzentrale, den sie nach dem Krieg aus den Augen verlor, zum Beispiel. Ihr Ehemann dagegen war nur ein schaler Ersatz gewesen.

Am Ende werden die Bleche auf den Dielen des Fußbodens nebeneinander aufgereiht. Nun kann der Bäcker kommen und sie holen. Abholen zur Weihnachtsbäckerei, denn die Frau traut ihrem Gasherd nicht. Mit Gas hat sie so ihre Probleme. Zu viele, die sie kannte, haben schon den Gashahn aufgedreht. Unter Anderem auch Verwandte ihres Mannes, bevor sie aus Ostpreußen flüchten mussten. Ihr Mann ist jetzt ein Heimatvertriebener.

Sie überlässt das Backen lieber Profis. In der Bäckerei steht ein großer Ofen. Das geht auch viel schneller. Wenn das Gebäck fertig ist, wird sie es, in einem Blecheimer einer deutschen Senfgurkenfabrik verstaut, wieder abholen aus der Backstube. Es wird hoffentlich bis Weihnachten überleben, wenn ihre Kinder nicht heimlich davon naschen.

Essen und Kränze backen hat sie gelernt, als sie ihre Ausbildung machte zur Nachrichtenhelferin. In einem schlesischen Schloss in Oppeln. Für den zweiten Weltkrieg und für Hitler. Jungen Frauen wurde hier einiges beigebracht, damit sie ihrem Ehemann eine gute Hausfrau sein konnten. Schließlich war sie blond, und ihr Mann sollte möglichst bei der SS sein. Zur Zucht einer besseren Rasse hieß es und sie glaubte es aufs Wort, blond wie sie war.

Am Ende kam aber doch alles ganz anders als geplant. Ihre Kinder sind jetzt zwar blond, aber Flüchtlingskinder, Außenseiter eben. Während die einheimischen Kinder verschiedenste Sorten Weihnachtskekse essen können, müssen die ihren vorlieb nehmen mit der einen Sorte. Essen und Kränze.

Und am Silvesterabend, Altjahrsabend sagt man auch, wird hier in der Gegend Rummelpott gelaufen. Die Kinder verkleiden sich, ziehen von Haus zu Haus, singen das Rummelpott-Lied und bekommen jede Menge alte Süßigkeiten, trockene Weihnachtskekse, matschige Clementinen und 10-Pfennig-Stücke geschenkt. Dazu singen sie das Rummelpott-Lied:

"Rummelpottlied"
Lüschen mok de Deur op
de Rummelpott will rin!
Hau de Katt den Swans aff
hau en nich to lang aff
lott'n luettn Stummel stohn
denn wi wuellt noch wieda gohn!
Een Huus wieder wohnt de Snieder
Een Huus achter wohnt de Slachter
Een Huus nebenan
da wohnt de Wienachsmann


(überliefertes Lied)


Doch ihre Kinder dürfen das nicht. Niemals. Denn das wäre Betteln und so etwas tut man nicht. In der Heimat ihres Mannes tat man das auch nicht. Dafür bekommen sie ja Essen und Kränze. Und braune Kuchen. Und Plattdeutsch sprechen ist ihnen auch nicht erlaubt. Denn das ist kein Hochdeutsch.


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