Ein Plädoyer für den Alkoholmissbrauch

Gebet

von  nadir

Ein Plädoyer für den Alkoholmissbrauch


1


Der Rausch ist ein ungeduldiger Gast, ein unbeugsamer Gast. Er liebt es, die Ängste in Betrieb zu setzen, den Stromkreis auszudehnen und sich in Sekreten zu wälzen.


2


Zieht man die Delirien dem Asketismus vor, befällt der Wille zum Rausch das Atom, das Fleisch, das Du, das Bakterium. –


3


Eine Gymnastik des Verfalls. Ihr wohnt eine Leichtigkeit inne, eine anzügliche Erotik. Die emotionale Kastration befreit und macht milde, sie schenkt die meditative Leere, Lust, die in Ballettschuhen läuft, die ersehnte Christusgestalt.


4


Alles ist in Auflösung begriffen. Den Organen wird die Tätigkeit erschwert, dem Fleisch die Zukunft verbaut und die Knochen durchsetzen den Sack voller Abfall, der unablässig Geist produziert.


5


Der Geist? - Zwischen Epilepsie und Erlöschen schwankend, ist er, unfähig vor seiner Biographie zurückzutreten, schiffbrüchig.


6


Ein innerer Waschzwang, das Trinken. Und die Verdrängung ist das Exoskelett eines jeden Bedrückten - der Kranke ist ein ruinierter Engel.


7


Das spärliche Brusthaar der Disteln, die nikotingelben Finger der Sonne, das gefrorene Schwimmbad der Arktis - das Konkrete verschwindet, er defiliert abseits der Natur.


8


Mittags 13 Uhr - Alkohol. - Nichts auf nichts folgend, bis ein Knirschen auf das Knacken mit dem Knochen brechen, sich verschieben und neue Formen bilden. Nichts bis auf den Lärm, mit dem den Engeln Raubtiermäuler wachsen.


9


Die Fäuste des Alkohols, die in seinen vier Wänden randalieren.


10


Das Auge des Alkohols, das in ihm weint.


11


Explosionen, die durch seine Adern strömen, Schlaf, abgelagert in den Nervenbahnen, Stürze von Diät zu Orgie und umgekehrt.


12


Alle Liebe hat ihren Anfang hinter dem Horizont - er ist gezurrt in Horizonte?


13


Sein nachternährtes Blut.


14


Plötzlich das Bewusstsein, die Arbeit von Organen zu sein und die Sehnsucht, sie zu schikanieren.


15


Perversionen einer blitzartigen und negativen Erhellung - der Alkohol ist ein Beunruhigungsmittel, eine idiotische Medizin.


16


Das Trinken – also eine Schabe, ein Cello mit weit offenem Mund, die hungernde Leere und ihre Bestürzung.


17


Vergebliche Delirien, absaufen in Sanftmut, sich einnisten in biographischen Brüchen und nirgendwo stranden.


18


Die gedehnten Adern voller Illusionen - Schlagfluss der Verdrängungen - Sterne, die zu Herzen schrumpfen.


19


Trinken heißt: Erinnerung verfälschen, Illusionen stilisieren, Ängste verschütten, Schwärze anstreichen.


20


Man findet den Himmel nicht, indem man schürft.






Eine Reihe von Anrufungen für den Betroffenen.




1


Ihm werde das freie Vergessen zuteil und eine freiwillige Alzheimererkrankung sein Steckenpferd.


2


Möge sein Körper etwas sein, dass der Aufregung nicht wert ist. (Einen Fingernagel, ein Haar abschneiden, was tuts - Sie hatten nie Anteil an ihm, sie wurden nicht vom Ich infiltriert. Und dann? Das Konzept ausweiten: einen Finger, ein Organ weniger - ein Schulterzucken, ein unbeteiligter Blick.


3


Sein Leiden werde zum allgemeinen Prinzip. Nur die Individuation brennt, nur das Individuierte lebt.


5


Kaum ein stärkeres Unglück als die Empfindung, dass er frei ist. Er soll der erste, seiner Unfreiheit selbstbewusste, sich unfrei empfindende Roboter sein: dem Ich einen Neuanfang gönnen.


7


Die Beschränkung des Gewissens werde aufgehoben. Moralisch? Bloß aus Kalkül. Das Gewissen: unablässiges Rädern der Wünsche.


8


Reizaufwurf im Kontrollirrsinn und den Aufwurf in der Kontrollaufgabe in Trümmer schlagen, also alles in libidinöse Korrelationen setzen.


9


Es möge ihm das Gelingen zuteil werden das Licht zu verfestigen, es zu zerschneiden und Körper daraus zu bilden, die er erdrosseln kann.


10


Auf nichts terminieren - ein Hymnus ohne Inhalt sein














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