Ermittlungstaktische Todesfälle

Kurzgeschichte zum Thema Drogen/ Alkohol

von  Koreapeitsche

Aus ermittlungstaktischen Gründen nahm die Polizei den Heroindealer nicht hoch. Die Cops ließen das Heroingeschäft jahrelang laufen. Bis sie einen großen Fang machen konnten, bis sie überblickten, wer das Heroin lieferte, wer es im großen Stil vertickte und wo es zwischengelagert wurde. Selbst da kapierten die Oberschergen nicht, dass längst zugegriffen werden müsste. Oder sie wollten es nicht kapieren. Vorerst wurde weiter fleißig Heroin angeliefert, und der Dealer vertickte das Zeug fleißig weiter an seine Endkunden. In der Nachbarschaft wusste es fast jeder, doch niemand wollte den Dealer denunzieren. Täglich standen bei ihm Junkies vor der Haustür, die zweimal klingelten, wenn sie reingelassen werden wollten, um in eins der oberen Stockwerke zu fahren und dort entweder mit Bargeld zu zahlen oder sogar Hehlerware abzugeben. Das Problem war bloß, dass im Laufe der Zeit immer mehr Junkies an einer Überdosis starben und sogar substituierte Junkies immer mal wieder reinschauten, um sich nach langer Abstinenz Stoff zu kaufen. Auch junge Menschen landeten hier, Schüler, Azubis und Studenten, ein paar Mitglieder der Partei. Andere waren gerade angefixt und konnten mit dem Heroin nicht so recht umgehen, sodass sie Gefahr liefen, schon als Teenager oder Twens an einer Überdosis zu sterben. All das ließ die Polizei laufen, riskierte, dass sowohl Teenager und gestandene Junkies draufgingen, nur um weiter Ermittlungsergebnisse zu generieren, um angeblich die großen Fische zu fangen. Darf die Polizei das? Dabei war bekannt, dass die großen Fische sich die besten Anwälte leisten konnten, teils Juraprofessoren, die sie schnell rausboxten, sowie ärztliche Gutachten von gewieften Ärzten präsentieren konnten, die eine volle Schuldfähigkeit in Frage stellten. Darf die Polizei ein tödliches Geschäft so lang laufen lassen, bei dem Menschen draufgingen, selbst Jugendliche? Was waren die Beweggründe der Polizist*nnen, den Heroinverkauf nicht sofort zu unterbinden? Erst kürzlich starb eine junge Kundin an einer offenen Sepsis an den Einstichstellen, und ein obdachloser Ex-Punk verreckte in der Nähe seines Schnorrplatzes im Revier des Dealers. Neben dem Hauseingang des Dealers befand sich ein Sozial-Café. Hier saßen regelmäßig die Hausmeister der nahen Disco. Auch die wussten, was läuft. Auch sie wollten sich nicht den Mund verbrennen, ebenso die Sozialpädagoginnen, die im Café arbeiteten, waren sicher nicht so blauäugig, dass sie nicht erahnten, was in dem 4-stöckigen Haus nebenan ablief, wenn wieder ein Junkie am besagten Klingelbrett klingelte und gegebenenfalls durch die Haussprechanlage sprach und codierte Szenesprache verwendete. Manchmal wechselten sie sogar im Café mit starrem Blick Geld oder kauften einen Coffee To Go, desorientiert von Drogen, sodass ihnen das Münzgeld aus dem Portmonee fiel. Das war zur Schau gestellte Drogenkriminalität. Keiner wollte den Stress, keiner wollte, dass die Heroinkunden plötzlich vor dem Nichts standen. Denn der ein oder andere hätte sofort substituiert werden müssen, was vom sozialen und medizinischen Aufwand in dieser Stadt vielleicht gar nicht zu wuppen war. Doch wie weit durfte sich die Polizei durch Untätigkeit aus dem Fenster lehnen, um am Ende im Hamburger Hafen sensationsträchtig einen Container mit kilo- oder tonnenweise Heroin sicherzustellen, das im Extremfall auf Nimmerwiedersehen in den Asservatenkammern verschwand. Anstatt es gleich abzufackeln. Doch die Cops durften das. Wahrscheinlich wurde sie erst aktiviert, wenn die Nichte eines Staatsanwalts durch ebendieses Heroin starb.

Die Orden und Auszeichnungen bekamen die oberen Schergen, während die unteren Cops den Mund halten mussten. Das war schon eine Grauzone, durch die Du erstmal durchsteigen solltest, ohne Dich in Gefahr zu bringen.

 



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (23.04.24, 11:18)
Ich sag' mal so: Niemand wird gezwungen, Heroin zu sich zu nehmen. 
Mir persönlich ist der Text zu sehr Empörungstext. Aber steile These!

 Koreapeitsche meinte dazu am 25.04.24 um 11:26:
Das ist richtig. Es werden jedoch Leute gezwungen, für die Polizei zu arbeiten.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram