Dienstags bei Inge

Ansichten übers Leben und Sterben und den Rest dazwischen


Eine archivierte Kolumne von  IngeWrobel

Samstag, 19. September 2009, 20:25
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Mittendrin statt nur dabei

Als Kind, Schülerin, Jugendliche und junge Erwachsene interessierte ich mich immer schon für Kunst. Ich überwand meine Hemmungen, als junges Mädchen allein irgendwohin zu gehen, wenn es sich um kulturelle Veranstaltungen drehte. Die Begeisterung und mein bodenloses, unstillbares Interesse ließen mich Kunst aufsaugen wie ein trockener Schwamm. Mein Wissensdurst und meine Aufnahmefähigkeit schienen unersättlich. Damals war ich mittendrin im aktuellen Kunstgeschehen. Ich hörte Autoren, die später berühmt wurden und Literaturpreise einheimsten, beim Lesen ihrer Texte. Ich sah Ausstellungen mit Frühwerken von Malern, die später in Museen und Galerien einen klangvollen Namen hatten, und deren Werke sich ein Normalbürger nicht mehr leisten konnte. Ich saß in der ersten Reihe im Zimmertheater, um Schauspieler agieren zu sehen, die Theatergeschichte schrieben – und deren Speicheltröpfchen mitunter durchaus die ersten Reihen benetzen konnten. In Konzerten hörte ich begnadete Solisten lieber vom Rang aus oder von weit hinten. Nicht wegen der Kartenpreise, oder weil da die Akustik besser gewesen wäre, sondern weil dieses Mädchen Inge dort nicht so auffiel, wenn ihm vor Ergriffenheit die Tränen über die Backen liefen.
Damals gab es diesen im Titel zitierten Werbeslogan noch nicht. Aber der Wunsch war da, mittendrin zu sein – dazuzugehören.

Heute weiß ich, dass ich dazugehörte. Was wäre ein Künstler ohne ein interessiertes und begeisterungsfähiges Publikum? Zum Glanz und der Pracht der Kunst gehören die Bewunderer, die diese Kunst sozusagen aufpolieren, sie zum Strahlen bringen.

Inzwischen habe ich auch eine andere Art von Kunst-Präsentation kennengelernt. Ich meine die Veranstaltungen, bei denen nicht das Werk im Vordergrund steht, sondern die Namensliste. Der oder die Künstler müssen gar nicht mal selbst einen bekannten Namen im Kunstzirkus haben. Freilich hebt es das öffentliche Interesse entsprechend, wenn die Künstler nicht ganz unbekannt sind. Hier spielt es auch keine Rolle, ob man die Namen aus Rezensionen und Besprechungen durch ebenfalls möglichst bekannte Kultureinrichtungen kennt, oder aus den Klatschspalten der Yellowpress. Denn in erster Linie geht es um die Namen der Gäste, Zuhörer und Anwesenden. Das sind nämlich die Schickimickies der Möchtegern-Kunst-Szene. Hier geht es ums Sehen, aber mehr noch ums Gesehenwerden. Und hier gibt es kaum Neues oder Neue, denn es handelt sich um eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich zwar untereinander verachtet und bespöttelt, gegen als nicht standesgemäß empfundene Eindringlinge aber als geschlossene Front steht. Sie haben eine Kleiderordnung wie in der Kirche. Die Leithammel und Alphatierchen zeigen, was Mann und Frau in dieser Spielzeit/Saison zu tragen haben, die „Musts“ und „Outs“. Und mit ihrem Geld sind sie nicht nur sogenannte Trendsetter in Sachen Mode, sondern leider oder gottseidank auch in Sachen Kunst. „Leider“, weil sie durch ihre Kaufkraft die Macht haben, Künstler und sogar ganze Kunstrichtungen zu fördern, berühmt zu machen, oder durch Nichtbeachtung im Keim zu ersticken. „Gottseidank“, weil dabei manchmal auch Künstler lanciert werden, die es wirklich verdient haben. Die Neues und Richtungweisendes schaffen – oder einfach nur gute Arbeit leisten und damit ihr Publikum begeistern können.

Ich selbst bin insofern auch in der Hinsicht mittendrin, als ich öffentlich eigene Texte lese, und von mir Verfasstes als Buch oder CD zum Kauf anbiete. Ich hätte auch überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn ich durch einen Mäzen zur regionalen Berühmtheit avancierte, und mein nächstes Buch bereits finanziert wäre. Zur Künstlerin machte mich das allerdings längst noch nicht.
Aber da ist immer noch die Begeisterung des Kindes Inge in mir. Sie hat mich geprägt und bis heute nicht verlassen. Diese Befähigung habe ich mir erhalten – worüber ich sehr froh bin.
Und manchmal, wenn ich bei einer Lesung in die Gesichter der Zuhörer schaue, entdecke ich dort dieselbe wache Aufmerksamkeit; die Konzentration und das Mitgehen und Verstehen ..... und dann fühle ich mich als Künstlerin. Arm aber glücklich!

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (08.09.09)
Wenn Protagonistin des Kolumnentextes = Inge Wrobel:
Mit "Inge Wrobel" als "Künstlername" hätte wohl jeder Probleme, sich "einen Namen zu machen", wie man so sagt. Nichts für ungut, "Inge Wrobel" ist ein grundsolider, schnörkelloser Name, aber für das beschriebene Schickimicki-Publikum nicht kompatibel, oder?
Was tun? Seine Seele verkaufen oder (künstlerisch) erfolglos bleiben. Dazwischen gibt es, meine ich, nichts.

 IngeWrobel (08.09.09)
Ich bin recht froh über diesen Namen. Literarisch rückt er mich neben Tucholsky, was ich als Ehre und Herausforderung betrachte. Und ich bewege mich zwischen den gesellschaftlichen Gruppen recht gut damit. Da ich nicht mit dem Schreiben meinen Lebensunterhalt verdiene, habe ich auch kein Kompatibilitätsproblem. Bei mir steht an erster Stelle das geschriebene (gesprochene) Wort. Wem das gefällt, prägt sich auch den Namen dazu ein - denke ich. Ergo, Dieter, sehe ich mich durchaus in diesem "Zwischenbereich".
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